Wundern & Wissen

Im Netz verfangen

Achtung, Abmahnung: Wer TV-Serien und Songs illegal herunterlädt, riskiert Post vom Anwalt. Was Familien über freie Inhalte, Tauschbörsen und Streaming wissen müssen


Als der Brief eintraf, war Paul Nossek gerade auf Seminarfahrt in Italien. „Plötzlich war meine Mutter am Telefon und tobte“, erinnert sich der heute 18-jährige Berliner. Eine große Münchner Anwaltskanzlei hatte eine Abmahnung geschickt, adressiert an Pauls Mutter: Von ihrem Internet-Anschluss seien zwei Folgen der amerikanischen Fernsehserie „How I Met Your Mother“ illegal in einer Tauschbörse verbreitet worden. Dies sei eine Urheberrechtsverletzung, hieß es in dem Schreiben. Dafür sollte die alleinerziehende Verwaltungsangestellte über 800 Euro zahlen, und zwar innerhalb von zwei Wochen. „Ihr war sofort klar, dass ich das war“, sagt Paul Nossek, der sich noch heute, fast ein Jahr später, so schämt, dass er seinen richtigen Namen lieber nicht nennen will.

Die Comedyserie, in der ein Vater im Jahr 2030 seinen Kindern erzählt, wie er einst ihre Mutter kennenlernte, ist bei vielen jungen Erwachsenen beliebt – nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, wo die Serie bei ProSieben läuft. Allerdings strahlt der Sender sie mit einiger Verzögerung aus: Wenn Ende März die erste Folge der neunten und letzten Staffel in Deutschland ausgestrahlt wird, läuft eine Woche später in Amerika die letzte Folge. Wer nicht erfahren will, wie die Serie ausgeht, welches Geheimnis am Ende gelüftet wird, wird sich dann einige Tage aus dem Internet fernhalten müssen, bis die öffentliche Diskussion des Finales wieder abebbt. Viele gehen längst einen anderen Weg und schauen die Folgen Woche für Woche parallel zur US-Ausstrahlung, im englischen Original – meist illegal.

Was ist erlaubt, was nicht?

  • Filme und Musik
    Das reine Ansehen oder Anhören eines Werkes ist urheberrechtlich unproblematisch, selbst wenn etwa ein Video illegal auf YouTube eingestellt wurde. Auch private Kopien sind erlaubt, solange sie wirklich „privat“ bleiben – also innerhalb der Familie oder im Freundeskreis.

  • Filesharing
    Die Software ist legal, die Nutzung der Tauschbörsen jedoch oft nicht. Die Programme sind meist so eingestellt, dass Dateien beim Herunterladen zum Download für andere User bereitgestellt werden. Diese Weiterverbreitung ist strafbar.

  • Freie Inhalte
    Viele Urheber geben ihre Inhalte explizit zur allgemeinen Nutzung frei – andere nicht. Deshalb Plattformen nutzen, die ausschließlich legale Filme oder Songs anbieten: Spotify oder last.fm für Musik, MyVideo oder MSN Movies für Filme und Serien.

  • Streaming
    Eine Grauzone. Bislang galt Streaming zwar nicht als legal, es wurde aber auch nicht verfolgt. Die Bundesregierung vertrat Anfang 2014 die Meinung, dass das reine Betrachten eines Videostreams ohne Herunterladen „urheberrechtlich unbedenklich“ sei. Plattformen wie kinox.to sind aber an sich illegal und voller Fallen. Deswegen lieber Finger weg.

„In meinem Freundeskreis haben das fast alle gemacht“, erzählt Paul Nossek. „Die Folgen stehen ja nach wenigen Stunden im Netz zum Download bereit, das war einfach zu verlockend.“ Er wusste, dass es nicht legal war, „aber irgendwie habe ich nicht gedacht, dass die mich erwischen würden“, sagt Paul und fügt dann hinzu: „Ganz schön naiv, ich weiß.“

Seit mehr als acht Jahren verschicken spezialisierte Anwaltskanzleien nun schon solche Abmahnungen, verbunden mit einer Unterlassungserklärung und einer Zahlungsaufforderung. Sie handeln im Auftrag von Musikfirmen oder Filmstudios, die so unterbinden wollen, dass ihre Werke kostenlos konsumiert werden. Dafür lassen sie spezielle Dienstleister in Tauschbörsen nach Urheberrechtsverstößen fahnden und IP-Adressen protokollieren – so kann eindeutig zugeordnet werden, zu welchem Computer und welchem Internet-Anschluss eine Datei führt, die zum Download angeboten wird. Mithilfe dieser Daten verschicken die Kanzleien dann Massenabmahnungen. In solchen Fällen haftet zunächst einmal grundsätzlich der Anschlussinhaber.

Familien sind besonders häufig von Abmahnungen betroffen, denn das Filesharing, also das Tauschen von Daten, ist buchstäblich kinderleicht. Entsprechende Programme finden auch Zwölfjährige mit wenigen Klicks.

„Das Fiese ist, dass die Songs oder Filme oftmals unbewusst hochgeladen und so weiterverbreitet werden“, sagt Johanna Feuerhake, Fachanwältin für Urheberrecht und Medienrecht aus Göttingen. Denn zwar ist weder die für das sogenannte Filesharing notwendige Software, noch das reine Herunterladen strafbar. Allerdings merkt sich die Software beim Download, wo der Song gespeichert wird. Und wenn andere Nutzer zu einem späteren Zeitpunkt nach eben diesem Titel suchen, dann greift die Tauschbörsen-Software auf die Computer von Nutzern zu, die den Titel bereits heruntergeladen haben. Genau diese Weiterverbreitung von Werken, ob unbemerkt oder nicht, ist eine Urheberrechtsverletzung. „Mit Unwissenheit kann sich dann niemand rausreden“, sagt Johanna Feuerhake.

Waren es anfangs meist illegal verbreitete Musiktitel, die Abmahnkanzleien auf den Plan riefen, sind es heute häufig auch aktuelle TV-Serien und Kinofilme. Zwar scheint der Höhepunkt der Abmahnwelle überschritten, aber auch die nutzerfreundlicheren Gesetze und Urteile der letzten Zeit haben nicht für ein Ende dieses Geschäftsmodells gesorgt.

„Ich glaube nicht, dass das Phänomen Massenabmahnung in absehbarer Zeit verschwindet“, sagt der auf Medien- und IT-Recht spezialisierte Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke. „Die Abmahnkanzleien gestalten ihre Schriftsätze einfach entsprechend der geänderten Rechtslage um.“ Seine Kanzlei hat in den vergangenen Jahren mehr als 40 000 Filesharing-Fälle betreut, „täglich rufen 20 bis 30 neue Abgemahnte an“, sagt Solmecke. Erfreulich sei immerhin, dass die Kosten deutlich gesunken sind. Anfangs verlangten die Abmahnkanzleien zwischen 10 000 und 20 000 Euro, heute sind es meist nicht mehr als 1000 Euro.

Selbst 7-Jährige können theoretisch persönlich belangt werden – in Einzelfällen kommt das vor

Trotzdem: Für die meisten Familien ist das eine Menge Geld, der Schock entsprechend groß, wenn eine Abmahnung im Briefkasten landet. Die Eltern, die Anwältin Johanna Feuerhake berät, reagieren völlig unterschiedlich: Manche erscheinen gut informiert und abgeklärt bei ihr in der Kanzlei, andere sind völlig hilflos. „Da fließen dann auch schon mal die Tränen.“ Wieder andere Eltern reagieren aggressiv, schreien im Beisein der Rechtsanwältin ihre Kinder an: „Du mit deinem Computermist, wir sperren dir den Zugang!“

Von einer solchen Bestrafung rate sie dringend ab: „Die Kinder gehen ja trotzdem ins Internet, und heimlich ist immer schlechter.“ Außerdem machten es die Mitschüler meist nicht anders. Feuerhake hat schon erlebt, dass selbst Lehrer ihre Schüler auffordern, Material für Referate in Tauschbörsen zu recherchieren.

Die Anwältin empfiehlt, vor der ersten Internet-Nutzung mit den Kindern die Regeln zu besprechen und als Richtlinie zu vermitteln: Was im Geschäft Geld kostet, kostet auch im Internet Geld – wenn nicht, ist es strafbar. Eine solche Belehrung des Kindes sollte im Kreis der ganzen Familie erfolgen, damit es Zeugen gibt. Rechtsanwalt Solmecke rät sogar dazu, einen kleinen Vertrag unterschreiben zu lassen, Vorlagen dafür gibt es im Netz.

Wer seine minderjährigen Kinder so belehrt, muss nicht für sie haften, hat der Bundesgerichtshof entschieden. „Wichtig ist aber, dass das Kind trotzdem nicht als Täter genannt wird“, sagt Solmecke. Denn theoretisch könnten dann selbst Siebenjährige persönlich belangt werden, in Einzelfällen kommt so etwas immer wieder mal vor. Auch bei volljährigen Kindern, die im selben Haus leben, besteht keine Haftung der Eltern, in diesem Fall auch ohne Belehrung.

Abmahnung, was nun?

  • Vorausdenken
    Eltern sollten sicherstellen, dass die IT-Sicherheit im Haus keine Schwachstellen hat. Ist das WLAN richtig verschlüsselt? Wenn die Sicherheitslücke das Kind ist: verhindern, dass es weitere Rechtsverstöße begeht. Tauschbörsen-Software entfernen!

  • Sofort handeln
    In der Regel setzen die Abmahner enge Fristen. Eine Klage würde die Kosten drastisch steigen lassen. Betroffene sollten nicht zu lange warten und sich Hilfe holen.

  • Beraten lassen
    Trotz Massenabmahnung: Jeder Fall ist anders, nicht jede Abmahnkanzlei neigt gleichermaßen zum Klagen, nicht jede Forderung ist berechtigt. Das beste Vorgehen sollte mit einem Experten besprochen werden. In vielen Städten bietet die Verbraucherzentrale eine Rechtsberatung.

  • Nicht alles unterschreiben
    Zu jeder Abmahnung gehört eine Unterlassungserklärung. Damit versprechen Verbraucher, ihr Vergehen nicht zu wiederholen. Der Text sollte aber von Experten geprüft werden. In manchen Fällen raten Anwälte dazu, nichts zu unterschreiben.

„Es reicht leider nicht zu sagen: Ich selbst war es nicht“, sagt Solmecke. „Als Anschlussinhaber sollten Sie einen denkbaren alternativen Sachverhalt darlegen, wer es außer Ihnen gewesen sein könnte.“ Allgemein darauf zu verweisen, dass prinzipiell auch die eigene Ehefrau Zugang zum Internet hat, sei beispielweise eine Möglichkeit. Die Gegenseite müsste dann nachweisen, wer der Filesharing-Täter ist – in der Praxis ist das kaum möglich.

Wie und ob überhaupt auf eine Abmahnung reagiert werden sollte, ob die Unterlassungserklärung abgeändert unterschrieben oder besser ignoriert werden sollte, darüber sind sich viele Rechtsanwälte uneinig. Grundsätzlich ist bei einer Abmahnung vor allem wichtig, trotz der durch die Kanzlei vermittelten Eile Ruhe zu bewahren. Das heißt vor allem: nichts ohne Recherche oder Beratung unterschreiben und gleich rausschicken, auf keinen Fall bei der Kanzlei anrufen und irgendetwas zugeben, weil man auf deren Nachsicht hofft. „Das wird im Zweifel als Schuldeingeständnis gewertet“, sagt Johanna Feuerhake.

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Als Paul Nossek von der Seminarfahrt in Italien zurückkam, hatte seine Mutter schon die geforderten 800 Euro überwiesen; eine Panikreaktion, wie sie zugab. Die Unterlassungserklärung hatte sie jedoch durch den Tipp eines Bekannten modifiziert, sodass sie sich auf die gesamte achte Staffel von „How I Met Your Mother“ bezog. Paul hatte ihr gleich gesagt, dass er mehr als nur die zwei in der Abmahnung genannten Folgen heruntergeladen hatte. „Ich weiß nicht, woran es lag, aber wir haben zum Glück bis heute nichts mehr von der Kanzlei gehört“, sagt Paul.

 



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