Leserautoren

Wie eine Babymassage, nur für Große

Zwischen ihren drei Kindern rieb Leserautorin Maren Hackl-Koger sich auf: Wie sollte sie jedem gerecht werden? Doch dann kam ihr eine Idee – und die hat ihren Alltag umgekrempelt


Es ist Nachmittag, und unsere Dreijährige möchte spielen. Doch mit wem? Ihre größeren Geschwister habe ich gerade von ihren Handys an die Schreibtische geschickt, und dort bin ich jetzt auch gefordert: Paul braucht Hilfe bei den Hausaufgaben, und bei Nele müsste ich eigentlich längst Vokabeln abhören. Drei Kinder, drei Bedürfnisse – und alles gleichzeitig.

Darüber hatte ich mir vor Emmas Geburt keine Gedanken gemacht. Wie einfach waren die Zeiten, in denen sich meine Großen, heute zehn und zwölf Jahre alt, einfach über gemeinsame Nachmittage auf dem Spielplatz freuten. Als ihre Interessen noch ähnlich waren. Seit die Kinder zu dritt sind, ist das anders: Jeder hat seinen eigenen Tagesablauf, seine Freunde, Interessen und Bedürfnisse. Trotzdem habe ich lange versucht, weiterhin jedem Kind gerecht zu werden.

Ich zerriss mich. Zwischen Hausaufgaben und diversen Mamataxifahrten täglich, um Nele und Paul von A nach B zu bringen, stillte ich die Kleine. Der Haushalt musste nebenbei laufen. Es war teilweise chaotisch, aber ich bekam es irgendwie hin, auch weil die Jüngste gut und viel schlief. Doch sie wurde älter und forderte immer mehr Zeit ein – irgendwann kam ich an meine Grenzen. Mir wurde klar, dass in einer Familie jeder mal zurückstecken muss, wenn man einander gerecht werden will. Das mussten nun auch meine Kinder lernen. Nur wie?

Plötzlich fiel mir auf, dass ich mich nur an wenige Momente mit einem Kind allein erinnern konnte

In Erziehungsratgebern las ich, wie wichtig das Zugehörigkeitsgefühl für Kinder ist. Je stärker es sei, umso größer sei auch die Bereitschaft, sich für den anderen zurückzunehmen und den Eltern im Alltag zu helfen. Um diese Zugehörigkeit zu schaffen, solle man sich mit jedem Kind auch einmal allein beschäftigen. Am besten 60 Minuten täglich. Wie soll das gehen mit mehreren Kindern?

Zu dieser Zeit besuchte ich eine Fortbildung zum Thema Babymassage und hörte dort den Begriff „ungeteilte Aufmerksamkeit“: Augen- und Körperkontakt, Nahrung für die Seele. Plötzlich fiel mir auf, dass ich mich nur an wenige Momente mit einem Kind allein erinnern konnte. Aus Angst, einer meiner Sprösslinge könne sich ausgegrenzt fühlen, hatte ich bis dahin immer alles mit allen Kindern zusammen gemacht.

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In kleinen Schritten versuchte ich, das zu ändern: Ich führte Unterhaltungen bewusst unter vier Augen, las dem einen oder der anderen ein Buch vor, verabreichte kleine Massagen. Und siehe da: Die Kinder öffneten sich mir gegenüber viel mehr, erzählten von ihren Wünschen und Träumen. Mit der Zeit konnte ich sogar immer ungestörter Momente mit einem Kind allein verbringen, ohne dass die anderen hereinplatzten. Die Zweisamkeit wurde akzeptiert, weil jeder wusste, dass seine Zeit auch kommen würde. Auch wenn es an manchen Tagen nur für Hausaufgaben oder Vokabeln reichte.

Gleichzeitig wurden die Kinder selbstständiger. Emma spielte schon mit zwei Jahren gern allein, wenn sie wusste, dass sie danach meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekam. Die Großen verabreden sich selbst mit Freunden, und ich fahre sie gern hin – wobei sie inzwischen sogar oft großzügig ablehnen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Sogar ich selbst konnte mir Freiräume schaffen, weil die Kinder begriffen haben, dass auch ich Bedürfnisse habe.

„Ungeteilte Aufmerksamkeit“: Das ist unser Stichwort. Wir haben für uns festgestellt, dass wir nicht alles zusammen machen müssen. Nicht die Menge an Zeit, die wir miteinander verbringen, ist wichtig, sondern deren Qualität. Und wenn jeder seine Zeit und Aufmerksamkeit bekommen hat, beschäftigen wir uns alle miteinander – oder auch nicht. Wie wir wollen.



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