Denken & Diskutieren

Fit für die Zukunft

Die digitale Revolution verändert die Arbeitswelt. Was können wir unseren Kindern jetzt mitgeben, damit sie für ihr Berufsleben gut gerüstet sind?


Als der Amerikaner Thomas Suarez 2010 seine erste App für das iPhone entwickelte, war er zehn Jahre alt. Alles, was er dazu benötigte, waren ein paar Programmierkenntnisse und 99 US-Dollar von seinen Eltern, um sich im App-Store von iTunes als Entwickler anzumelden. Danach hatten 47 Millionen Menschen weltweit Zugang zu seiner Schöpfung und konnten sie bei Interesse für weniger als einen Dollar herunterladen. Heute besitzen 1,5 Milliarden Menschen ein Smartphone, nur sieben Jahre, nachdem das erste dieser Geräte 2007 auf den Markt kam. Das zeigt zweierlei: Der Fortschritt digitaler Technologie verläuft rasend schnell, und Nutzung und Entwicklung sind im Prinzip kinderleicht.

Wir leben an der Schwelle einer der größten kulturellen Errungenschaften der Menschheit, vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks. In unseren Taschen tragen wir Geräte mit mehr Rechenleistung, als die gesamte NASA für die erste Mondlandung zur Verfügung hatte. Ein „Touch“ mit unserer Fingerspitze verbindet uns mit Sozialpartnern, eröffnet uns das komplette Wissen der Menschheit oder liefert Klatsch und Tratsch.

Die digitale Revolution hat das Potenzial, jeden Bereich unseres Lebens tiefgreifend zu verändern. Zahlreiche weitere Branchen profitieren von dieser Schlüsseltechnologie. Allgegenwärtige Vernetzung, billige Rechenleistung und Fortschritte in der Robotik treiben die Innovation auch in anderen Bereichen voran, von Medizin, Biotechnologie und Neurowissenschaften über die Energieversorgung bis hin zu Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz (mehr dazu in unserer nächsten Ausgabe 26/2015, ab 21.12.15 online). Sinnvoll genutzt, verspricht diese Entwicklung einen enormen Zuwachs an Wohlstand und Lebensqualität.

Die Nebenwirkung: Manche Berufe werden aussterben. Neue werden entstehen. Sichere Jobs, die ein Arbeitsleben lang andauern, werden eher die Ausnahme sein. Was können wir unseren Kindern jetzt mitgeben, damit sie für die neuen Herausforderungen gewappnet sind – und eine zukunftssichere Berufswahl treffen?

Eine Studie kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass 47 Prozent der heutigen Jobs innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte automatisiert werden könnten. Betroffen sind vor allem Transport- und Routinearbeiten sowie mittlere Hierarchieebenen – darunter Verwaltungsangestellte, Abteilungsleiter, Buchhalter, Steuerberater, Makler, sprich alle Tätigkeiten, die sich gut durch Maschinen und Algorithmen erledigen lassen. Relativ sicher bleiben hingegen nach Ansicht von Experten Jobs im Gesundheits- und Sicherheitswesen. Jedenfalls werden Berufsanfänger gezwungen sein, laufend dazuzulernen und sich immer wieder neu zu erfinden.

Diese Entwicklung wird durch das zu erwartende Bevölkerungswachstum noch zugespitzt. Die Weltbank schätzt, dass innerhalb der nächsten 15 Jahre 600 Millionen neue Arbeitsstellen entstehen müssten, um den Zuwachs an neuen Arbeitskräften aufzufangen. All diese Menschen stehen vor dem gleichen Problem: Sie müssen ein Mindestmaß an Qualifikation erwerben, um auf dem künftigen Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein. Bereits jetzt sind weltweit 73 Millionen junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren ohne Arbeit, immerhin jeder achte in dieser Altersgruppe, schreibt die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen. In einzelnen Ländern wie Griechenland oder Spanien liegt die Quote sogar bei 50 Prozent oder höher. Viele dieser jungen Menschen verbringen die entscheidenden Jahre ihres Berufslebens in schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs, ohne Aussicht auf eine bessere Anstellung in der Zukunft.

Für unsere Kinder bedeutet das: Ihr Eintritt ins Berufsleben wird ihnen Fähigkeiten abverlangen, die die Schule nur in begrenztem Ausmaß vermitteln kann (siehe Soft Skills). Die gute Nachricht ist, dass uns die digitale Revolution nicht nur Automation und Stellenabbau beschert, sondern auch Mittel an die Hand gibt, auf dem künftigen Arbeitsmarkt nicht nur zu bestehen, sondern mit der Entwicklung sogar zu wachsen.

Der klassische Frontalunterricht wird bereits heute immer mehr durch interaktives Lernen und virtuelle Lehrer ergänzt. In Schulen mit zukunftsweisenden Konzepten wie beispielsweise der Flex-Academy in San Francisco hat jeder Schüler einen Computer-Arbeitsplatz und die Möglichkeit, einem personalisierten Lernplan zu folgen, zugeschnitten auf seine Interessen, Stärken und sein Lerntempo. Lernen findet in virtuellen Mikroeinheiten statt, das Online-Curriculum wird von einer Lehrkraft individuell begleitet und durch Gemeinschaftsaktivitäten ergänzt.

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Kreide und Tafel sind passé. Das Lernen der Zukunft lautet: interaktive Tutorials, Lerntreffs als Chat und Online-Spiel

Einrichtungen wie diese sind sicher die Ausnahme, doch im Prinzip stehen ähnliche Möglichkeiten jedem offen, der einen Internet-Zugang und die passenden Sprachkenntnisse besitzt. Nie war es leichter, Neues dazuzulernen, Fähigkeiten auszubauen, in die unterschiedlichsten Sparten und Technologien hineinzuschnuppern und zu sehen, was einem liegt. Lernen ist längst nicht mehr nur auf Schulen und Universitäten beschränkt, sondern kann von jedem ergänzt und erweitert werden. „Massive Offene Online-Kurse“, sogenannte „MOOCs“, führen Zehntausende von Teilnehmern via Internet durch Themenbereiche wie App-Entwicklung, Online-Marketing oder Musikproduktion, oft auf Universitätsniveau und kostenlos.

Das Internet ermöglicht neue Formen der Wissensvermittlung: interaktive Tutorials, kollaborative Lerntreffs als Chat und sogar Lerninhalte, die als Online-Spiel umgesetzt sind. Die Zeit, die Jugendliche am Bildschirm verbringen, muss also nicht zwangsläufig nur Unterhaltung und passiven Konsum bedeuten. Je attraktiver solche Lernangebote werden, desto eher werden auch Kinder ein aktives Interesse entfalten, daran teilzunehmen. Der Vorteil bei selbst gesteuerten Lerneinheiten ist, dass die Schüler motivierter sind und dass sie gleichzeitig Werkzeuge an die Hand bekommen, sich weiterzubilden.

Das vielleicht effektivste Mittel dabei sind jedoch ganz klassische Vor-Ort-Veranstaltungen. Bei sogenannten Hackathons, Meet-ups und Makeshops treffen sich Gleichgesinnte und widmen sich intensiv ihrem Tüftler-Hobby. Ursprünglich standen vor allem Computer und Netzwerke im Zentrum dieser Veranstaltungen, inzwischen gibt es aber zu vielen spannenden Gebieten ähnliche Treffen rund um Wissenschaft, Technik, Kunst und Handwerk. Als gemeinsamer Nenner fungiert die Überzeugung, dass heute jeder ein „Maker“ (engl. für Macher) sein kann, dass es möglich ist, aus einfachen Komponenten und immer günstiger werdender Mikroelektronik eigene zum Teil erstaunlich leistungsfähige Erfindungen zu kreieren.

Das jüngste Aufkommen von 3-D-Druckern hat diese Maker-Bewegung zusätzlich inspiriert. Überall werden neue Workshops gegründet und beziehen zunehmend auch jüngere Teilnehmer mit ein. Messen wie die „Make Munich“ sind ein guter Einstieg, ebenso speziell an Kinder gerichtete Initiativen wie die Berliner „HacKIDemia“. Dort kann jeder zum Thomas Suarez werden, seinen Roboter zusammenlöten, DNA aus Erdbeeren extrahieren oder Musikinstrumente aus Knetmasse basteln.

Unsere Kinder (und übrigens auch wir, denn nur so können wir sie sinnvoll begleiten) haben also zahlreiche Möglichkeiten, Neues zu lernen. Nicht jeder muss Programmiersprachen beherrschen, auch wenn Grundkenntnisse zu Rechnern und Programmen zunehmend zur Allgemeinbildung gehören. Nicht alle können sich für Gentechnik, Nanopartikel oder Ener-gieformeln erwärmen, auch wenn uns erst das Grundwissen dazu zu gut informierten Bürgern macht. Weil technische und naturwissenschaftliche Berufe der Entwicklung am nächsten sind, werden sie den Löwenanteil an Innovationen beitragen, fähige Informatiker, Ingenieure, Bio-, Geo- und Nanowissenschaftler haben daher gute Berufschancen. Das gilt aber auch für Menschen in Heil- und Pflegeberufen.

4 Soft-Skills, die Ihr Kind besitzen sollte

Quelle: u.a. „The Global Trends Fieldbook: From Data to Insights to Action“, T. S. Keys und T. W. Malnight, 42,80 Euro

  • SOZIALE INTELLIGENZ UND TEAMFÄHIGKEIT helfen, sich in Arbeitsgruppen mit häufig wechselnder Zusammensetzung zurechtzufinden. Globale Teams bearbeiten Projekte über mehrere Zeitzonen hinweg und mithilfe virtueller Treffen und flacher Hierarchien. Einzelne werden am Erfolg ihres Teams gemessen, wichtig sind Einfühlungsvermögen, Moderationsgabe und persönliche Integrität, die Vertrauen schafft. Schulen sollten diese Fähigkeiten zur Zusammenarbeit vermitteln, anstatt nur die individuelle Leistung zu honorieren und damit Konkurrenzdenken zu fördern.

  • KREATIVITÄT UND ERFINDUNGSREICHTUM sind in einer sich rasch verändernden Umgebung besonders wichtig. Die technischen Möglichkeiten werden unüberschaubar, zugleich kann der spielerische und kreative Umgang mit Problemen Lösungen zutage fördern, an die bisher niemand gedacht hat. Genau dieses Denken außerhalb gewohnter Kategorien ist bereits jetzt die treibende Kraft vieler Innovationen und wird auf dem künftigen Arbeitsmarkt eine große Rolle spielen. Um Kinder darauf vorzubereiten, sollten Schulen weniger auf reine Wissensvermittlung und mehr auf kreatives Erarbeiten von Inhalten setzen und den souveränen Umgang mit Komplexität und Mehrdeutigkeit lehren.

  • MENSCH-MASCHINEN-KOLLABORATION wird in dem Maß zur Selbstverständlichkeit werden, in dem künstliche Intelligenz und Robotik Einzug in Arbeitsleben und Gesellschaft halten. In vielen Bereichen ersetzt der technische Fortschritt nicht den Menschen, sondern erweitert dessen Fähigkeiten. Bei Schachturnieren, in der Bilderkennung und sogar in der Fahrzeugherstellung zeigte sich, dass ein Team aus Mensch und Computer leistungsfähiger ist als jeder für sich. Um Kinder auf den künftigen Roboter-Kollegen vorzubereiten, sollte der Informatikunterricht nicht nur grundlegende Kenntnisse zu Algorithmen und Rechnerarchitekturen vermitteln, sondern auch zu aktuellen Schnittstellen wie tragbaren Computern und virtueller Realität.

  • INTERKULTURELLES VERSTÄNDNIS UND FLEXIBILITÄT erweitern die Chancen auf einem global ausgerichteten Arbeitsmarkt. Die rasche weltweite Verbreitung von Smartphones und Mobilgeräten wird neue geografische Märkte erschließen, die von Unternehmen und ihren Mitarbeitern internationale Präsenz und Tätigkeit in multinationalen Teams verlangen. Wer schulische Sprachkenntnisse durch Reiseerfahrung und ganz allgemein die Bereitschaft, sich auf andere Menschen und deren Kultur einzulassen, kontinuierlich ausbaut, hat hier gute Voraussetzungen.

Zukunftschancen bestehen auch für Geistes- und Sozialwissenschaften und musische Berufe – vorausgesetzt, sie werden mit einer der boomenden Branchen oder mit technologischen Ansätzen verknüpft. Wer als Künstler, Musiker oder Schauspieler seinen Weg mit Leidenschaft geht und die Möglichkeiten der digitalen Revolution geschickt für sich nutzt, ist für die Zukunft sicher besser gewappnet als ein halbherzig überzeugter Jurist oder Betriebswirt. Allgemein gilt: Die Welt von morgen braucht kreativen Input ebenso wie fundiertes Urteilsvermögen, analytische Fähigkeiten und gesunden Menschenverstand, denn das werden Maschinen auf absehbare Zeit nicht leisten können. Daneben wird es immer Bedarf für klassische Handwerks- und Dienstleistungsberufe geben, die sich kaum automatisieren lassen: Maurer, Müllmänner, Polizisten, Gärtner und Installateure.

Was künftig jedoch für ambitionierte Menschen von unschätzbarem Wert sein wird, ist eine frühe belegbare Erfahrung mit technologischer Entwicklung. Unternehmen werden Lebensläufe vermehrt nach Teilnahme an Open-Source-Projekten, Maker-Camps und Mini-Start-ups durchkämmen; Bewerbungsgespräche werden sich ebenso um Soft Skills drehen wie um die Inhalte klassischer Berufsausbildung. Um die „Cyber-Alphabetisierung“, die Fähigkeit, sich in der digitalisierten Welt zurechtzufinden, kommt in Zukunft niemand herum.

 

Lesen Sie ab Montag, 21.12.2015 den zweiten Teil unserer Serie „Fit für die Zukunft“. Wir lassen den Technologie-Experten Ludwig Siegele zu Wort kommen und betrachten einzelne Berufsbranchen – von Medizin bis Energieversorgung.

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