Denken & Diskutieren

Sexualkunde im Unterricht

Müssen Grundschüler wissen, wie sich ein Orgasmus anfühlt? Und soll Homosexualität wirklich in jedem Schulfach Pflichtthema werden? Wenn es um Sexualkunde an der Schule geht, stehen sich Eltern, Pädagogen und Politiker zunehmend unversöhnlich gegenüber. Warum eigentlich?


Wie sage ich es meinem Kinde? Mit dieser Frage haben sich schon viele Elterngenerationen vor uns abgeplagt. Dabei hatten die es doch vergleichsweise leicht: Sie konnten sich bei der Aufklärung noch auf den Klapperstorch berufen. Und niemand musste so hässliche Wörter wie „Penis“ oder „Scheide“ verwenden oder so blöde Sätze sagen wie: „Wenn der Papa und die Mama sich ganz doll lieb haben …“ Nein, noch unsere Großeltern konnten einfach auf die Bienen verweisen, wenn es um Sexualtrieb und Befruchtung ging.

Und heute? Heute werden wir mit präzisen Nachfragen der lieben Kleinen konfrontiert. „Was ist, wenn ich mit dem Penis drinstecke und plötzlich pinkeln muss?“, wollte zum Beispiel der beste Freund meines Sohnes wissen. Da waren die beiden in der dritten Klasse! „Ihr könnt alles fragen“, hatte ich ihnen zuvor leichtfertig versichert. Aber nur, weil die Jungs mich total schockiert angestarrt hatten, als ich beim Bleistiftspitzen aus Quatsch genervt zu stöhnen begann. Wie konnten zwei Neunjährige dabei auf schmutzige Gedanken kommen?

5-2015_Sexualkunde_GrafikSeien wir doch mal ehrlich. Insgeheim sind wohl die meisten Eltern froh, dass die Schule uns die Aufklärung weitgehend abgenommen hat. In Deutschland bekommen manche Kinder schon im Kindergarten und die allermeisten spätestens in der Grundschule in einfachen Worten erklärt, wo die Babys herkommen. Und so heikle Themen wie Verhütung, Geschlechtskrankheiten, Blow Jobs oder Missbrauch übernehmen dann üblicherweise die Lehrer im Biologieunterricht der 8. Klassen oder Experten von Organisationen wie Pro Familia.

Auch meine Kinder haben unter dem Gekicher ihrer Mitschüler gelernt, einer Banane ein Kondom überzuziehen. War auch gut so, denn in der Regel reden gerade pubertierende Kinder mit allen, nur nicht mit den Eltern über Sex. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) würden zumindest bei den Jungen gerade mal zehn Prozent zu Hause von ihrem „ersten Mal“ erzählen, zwei Drittel reden mit ihren Freunden darüber und der Rest mit niemandem. Es ist also wichtig, dass die Schulen die Eltern bei der Aufklärungsarbeit unterstützen.

Doch in den letzten Jahren, so scheint es, ist dieser stillschweigende Konsens aufgeweicht. Immer häufiger reagieren Eltern schockiert und empört, wenn sie mit den Realitäten und Materialien staatlicher Aufklärungsbemühungen konfrontiert werden. In Nordrhein-Westfalen flammen seit Jahren immer wieder Proteste gegen die angebliche Frühsexualisierung auf. Zuletzt gingen Kölner Eltern auf die Straße, um gegen Bücher wie „Das kleine Körper-ABC“ zu protestieren, in dem schon Grundschüler unverblümt erklärt bekommen, was ein Orgasmus ist. Und es waren Elternproteste in Berlin, die den Loewe-Verlag veranlassten, ein seit 1991 anerkanntes und beliebtes Aufklärungsbuch aus dem Programm zu nehmen. Stein des Anstoßes waren kindgerechte, aber eindeutige Zeichnungen unter anderem von einer Frau, die den erigierten Penis ihres Mannes berührt.

Was aber regt die Eltern von heute so auf, was noch vor 20 Jahren niemanden gejuckt hat? Zwei gesellschaftliche Phänomene spielen offenbar eine wichtige Rolle:

  • Die in den meisten gängigen Aufklärungsbüchern vertretene Sexualpädagogik ist noch weitgehend geprägt durch den libertären Umgang mit Sexualität der 70er-Jahre. Damit steht sie aber im Widerspruch zum gestiegenen Bewusstsein für sexuellen Missbrauch und zu den massiven Ängsten vieler Eltern. Wer heute noch zu behaupten wagt, auch kleine Kinder könnten Lust empfinden, rückt in der öffentlichen Wahrnehmung schnell in die Nähe der Pädophilie.
  • Bei vielen Eltern wächst zudem das Unbehagen vor einer zunehmenden Sexualisierung und vermeintlichen Pornoisierung der Gesellschaft. Sie wollen ihre Kinder vor dem Schmutz im Internet und der Außenwelt bewahren. Fast scheint es, als erlebten wir gerade die Umkehr zu einer amerikanisch anmutenden Prüderie. Unstilisierte Nacktheit wird zunehmend als hässlich und abstoßend empfunden, auf jeden Fall aber als ungeeignet für Kinderblicke.

Und noch etwas lässt immer mehr Eltern auf die Barrikaden gehen. Es ist die zunehmende Vermischung des Unterrichtsfachs Sexualkunde mit dem Thema Gender. Dabei geht es darum, die Vielfalt der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten und Lebensformen anzuerkennen. Viele Lehrer, Pädagogen, Politiker und Verbände empfinden es als unzeitgemäß, rein technisch aus biologischer oder medizinischer Sicht aufzuklären. Sie würden den Sexualkundeunterricht lieber aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen heraus gestalten. Und sie wünschen sich mehr Prävention gegen die Diskriminierung von schwulen oder lesbischen Schülern.

Öffentliche Erregung: Sexualkundeunterricht

  • 2007
    Nach Protesten
    wird die Kinder-gartenbroschüre „Kinder, Liebe, Doktorspiele“ deutschlandweit zurückgezogen.

  • 2013
    Streit um Schulbuch:
    Nach Elternprotesten in Berlin legt der Loewe-Verlag „Wo kommst du her?“ (von 1991) nicht weiter auf.

  • 2014
    Ein Plakat des Münchner Familienreferats entfacht Ärger: Es zeigt nur homosexuelle Paare mit Kindern.

    In Hamburg wird das Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von der Empfehlungsliste für Lehrer gestrichen.

  • Petition und Proteste gegen „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“  als Bestandteil des Lehrplans in Baden-Württemberg.

    Streit in Niedersachsen um Antrag der rot-grünen Fraktionen, „Vielfalt“ zur Pflicht in Schulbüchern zu machen.

Vielen Vertretern dieser Gender-Pädagogik geht es indes nicht nur um den Abbau von Vorurteilen. Das eigentliche Ziel ist die konsequente Gleichstellung homosexueller Lebensformen mit dem klassischen Familienbild.

Genau das geht vielen Eltern zu weit. In Baden Württemberg liefen Eltern – unterstützt von Kirchen- und Lehrerverbänden, aber auch von ultrakonservativen Kreisen – Sturm, weil die rot-grüne Regierung das Genderthema ab 2015 verpflichtend und fächerübergreifend im Lehrplan verankern will. Immerhin 192 000 Unterschriften und zahlreiche Demonstrationen bewirkten, dass die Regierung den Entwurf im Herbst 2014 wenigstens leicht abmilderte und die Umsetzung zunächst probeweise realisiert wird.

Auch in Niedersachsen demonstrierten Elternverbände gegen einen Entschließungsantrag der SPD- und Grünen-Fraktion, das Genderthema für Schulen und Schulbücher zur Pflicht zu machen.

Ins Visier der neuen Anti-Gender-Bewegung ist vor allem ein Standardwerk der modernen Sexualpädagogik geraten. Es heißt „Sexualpädagogik der Vielfalt“ und soll Lehrkräften als Leitfaden für die Unterrichtsgestaltung dienen – inklusive 70 praktischen Übungen. Hier geht es um Sex ohne Tabus: Da können zum Beispiel Schüler in Gruppen einen Puff für verschiedene Zielgruppen entwerfen oder ihre Gedanken zum Thema „mein erster Analverkehr“ vortragen. Der Streit um das Buch ist symptomatisch für die gesamte Debatte, es gab sogar Morddrohungen gegen die Autorin, die  Kasseler Professorin Elisabeth Tuider. Manche Kritiker, darunter auch Kinderschutzexperten, sehen in der von ihr vertretenen „neo-emanzipativen“ Sexualpädagogik eine gefährliche Aufhebung der Geschlechterrollen und Negierung aller Werte. Die Anhänger dieser Schule wiederum argumentieren, die Lebenswelt der Jugendlichen habe sich nun einmal verändert. Ihre Art der Aufklärung greife nur auf, was längst Realität sei und helfe den Jugendlichen im Gegenteil, stark und selbstbestimmt zu agieren.

Für Laien ist es kaum möglich, zu beurteilen, wo da die Wahrheit liegt. Ich gebe zu, auch ich finde die Unterrichtsvorschläge teilweise bedenklich und hätte nicht gewollt, dass meine Kinder mit zwölf Jahren Aufsätze über homoerotische Fesselspiele schreiben. Aber Morddrohungen gegen eine Wissenschaftlerin? Das klingt nach Hexenjagd. Außerdem: Das Buch ist kein Schulbuch, und kein Lehrer ist verpflichtet, dieses Material für seinen Unterricht zu verwenden. Dennoch hat zum Beispiel die Stadt Hamburg mittlerweile auf die Kritik reagiert und das Buch aus ihrer Empfehlungsliste gestrichen.

5-2015_Sexualkunde_Grafik_2So heftig tobt der Streit, dass es manchmal scheint, dass niemand mehr an die eigentlichen Adressaten denkt – die Kinder. Und die sind mitunter viel, viel weiter, als manch ein besorgtes Elternteil denkt. Meine Teenager-Kinder zum Beispiel können mein Unwohlsein bei dem Gedanken, dass die klassische Mutter-Vater-Kind-Familie in unserer Gesellschaft nicht mehr als „normal“ gelten soll, überhaupt nicht verstehen. „Ja, sind Homosexuelle nun gleichberechtigt oder nicht?“, hat meine 15-jährige Tochter am Familientisch jüngst argumentiert. „Und wenn ja, dann doch wohl mit allen Konsequenzen!“

Auch die Sorge vieler Eltern, eine zu drastische und frühe Aufklärung könne die Kinder in ihrer eigenen Identität verunsichern, scheint unbegründet. Die pairfam-Studie kommt zu dem Schluss, dass Jugendliche ihr erstes Mal im geschätzten Mittel erst mit 17 Jahren erleben. Und eine Studie der BzgA zeigt vor allem einen Rückgang sexueller Aktivität bei Jugendlichen im Alter von 14 Jahren. Bei einer Befragung der Hamburger Soziologin Silja Mathiesen gaben zwar ein Drittel der befragten Jungen zwischen 16 und 19 an, sie würden einmal pro Woche Pornos gucken, aber meist mit Freunden und nur zum Spaß. Und sie unterschieden sehr klar zwischen Fiktion und Realität. Wenn es um realen Sex geht, sind die Jungen und Mädchen von heute laut Studien alles andere als promiskuitiv. Sie legen Wert auf ganz viel Kuscheln, die allermeisten erleben das „erste Mal“ in einer festen Beziehung. Offenbar kann die Mehrzahl unserer Kinder sehr wohl erkennen, was gut für sie ist.

Auch die Jugendforscherin Eva-Verena Wendt rät zu mehr Gelassenheit. Sie hat das Phänomen ebenfalls beobachtet, dass es „eine Diskrepanz gibt, zwischen den sexuellen Reizen, mit denen Jugendliche schon sehr früh etwa durch Bilder oder Sexszenen im Fernsehen konfrontiert werden, und ihrem tatsächlichen Sexualverhalten“. Gleichzeitig würden die Kinder heute früher reifen und müssten sich früher mit körperlichen Veränderungen auseinandersetzen. Die Jugendforscherin findet es daher umso wichtiger, dass die Kinder in diesem Spannungsfeld unterstützt werden: „Von kompetenten Pädagogen, altersgerecht und nicht nur punktuell, wenn es in der 8. Klasse gerade auf dem Lehrplan steht.“

Plüsch-Vaginas zum Anfassen für Fünftklässler mögen uns Erwachsenen auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Aber für neun- oder zehnjährige Mädchen, von denen manche schon bald zum ersten Mal ihre Menstruation erleben werden, kann es sehr beruhigend sein, wenn sie schon mal „aus Spaß“ eine Vagina berührt haben. Ohne allzu große Ängste können „die Tage“ dann ruhig kommen.

 



Unsere Themen im Überblick

  1. „Warum wird es so kontrovers diskutiert?“
    Wahrscheinlich weil was falsch ist!
    Kein Thema ist so emotionsgeladen wie Sex.
    Kinder haben gefälligst kleine alte Große noch klein zu sein.
    Kinder bekommen in Lebensaltern Dinge präsentiert, mit denen
    sie nichts anfangen können/wollen.
    Und sie sollen das Erlernte auch gar nicht umsetzen/anwenden.
    Oder: Doch?
    Unsere Politiker sehen ja weit …
    Wir müssen unsere Kinder frühest zeitigst mit allem möglichen bekannt machen (was in unseren Breiten noch lange Zeit gehabt hätte) für den Fall: Das wir sie demnächst auch als 10-12jährige
    verheiraten müssen? Nein nicht morgen und auch nicht nächstes Jahr aber offenbar sehen da welche schon lange etwas was nicht da ist aber werden kann.
    Oder: Die CDU-regierten Länder reden – belehren Die SPD_machts
    Oder: Die Länder die von Recht/Gesetz/GG/Verfassungen möglichst nichts wissen wollen – alle Fremden am Liebsten an den Grenzen zurück schicken (bis schiessen) – oder die Unterkünfte anzünden, müssen natürlich irgendwie ablenken. Wie immer…
    Wenn das „die schönste Sache der Welt ist“! kann man sie bestimmt
    zerreden, zunichte machen zu Gunsten von Ekelgefühlen/Übelkeit, sich fernhalten wollen vom Unterricht > das wieder weg zu kriegen >in Zukunft haben wir Sexneurotiker wegen Sexualkundeunterricht
    also: Zu Gunsten von Missbrauch und Gewalt und das lesen wir ja auch täglich. – Alles Gefühl muss weg.
    „Wir gehen alle im Gefühl!“ da können wir nicht noch Gefühl haben.
    Es reicht doch: Wenn alle wahnsinnig sind.
    In Bayern ist: Leben verboten! In anderen Ländern auch!
    zu Gunsten von Missbrauch, Gewalt …
    Der Staat will eben überall seine Nase rein stecken …auch in absolut privates, intimes, persönliches …
    In dem Fall: Will er immer die Kinder zuerst …
    Wir leben wie im Lager und merken es gar nicht.
    Seit dem 3. Reich – nicht viel bis nichts gelernt.
    „Wir Bayern müssen nicht …!“ nichts wissen, Nicht mit x-sprechen usw. „Wir Bayern machen alle was wir wollen!“ Das ist Gesetz!

    • von Natalia Eckhof

      Kondomführerschein mit 14 Jahren, Sexfilmen mit 7 Jahren, Vagina zum anfassen usw.
      Antworten vielen Kinder mit denen ich gesprochen habe auf das „ich habe eine Woche Alpträume“ „es war so peinlich die Jungs haben uns ausgelacht“ „es war eklig und peinlich den Penis für Übungszwecke überhaupt anzufassen“ „vieles wissen wir allein von den Kinofilmen, Presse usw. Wieso müssen wir das so machen“ „Mama schreib mich krank bitte es ist grausam“ „deine Meinung Mama, Papa interessiert niemand ob du willst oder nicht der Sexualunterricht ist Pflicht“
      Hallo sind wir nur Eltern für Kindergebären und sonst nichts? Hat jemand gedacht das solche Aufklärung an Kinderentwicklung angepasst werden soll? Und dabei sind alle anders als hier beschrieben ist sehr empfindlich und verletzend. Erstens weil auch in dem Alter solche Sachen bespricht man unter sich Mädchen und nicht vor der ganzen Klasse. Es tut mir weh die Qual der Kinder anzusehen die es über sich ergehen müssen weil das Schulministerium das fordert und nicht nur die Schüler verzweifeln daran???? Es ist für mich eine Psychische Vergewaltigung der Kinder. Ein Aufklärungsunterricht muss einfühlsam, sanft und getrennt für Mädchen und Jungs geführt werden. Und bestimmt nicht mit 7 Jahren Sexkino zeigen, oder Binden und Tampons, Kondome in der Klasse verteilen als ob es Bonbons sind. Ich will als Elternteil meine Stimme gegen solche Vorfälle erheben und meine Kinder eine Erklärung bitten die sie mit schönen Erinnerungen prägen und wann wo und wie auch selber mitentscheiden was gut ist für mein Kind.

      • von Brigitte

        Es ist staatlich verordnete verbale vergewaltigung. Hab nichts gegen Aufklärung lt. Biologie in der Schule, was darüber hinausgeht, müssen die Eltern einbezogen werden. Altersgerecht ist nicht gleich reifegerecht

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