Meinen & Sagen

„Kinder müssen toben dürfen“

Schauspieler Simon Böer über seine Freude am Erziehen, Beutekinder und den anhaltenden Einfluss von Waldorfschule-Lehrern, die die „Internationale“ singen


Herr Böer, in der Serie „Herzensbrecher“ spielen Sie einen Pfarrer und alleinerziehenden Vater von vier Jungs. Ihre eigenen beiden Kinder leben in Berlin und haben in diesem Jahr schon oft auf ihren Papa verzichten müssen, weil Sie im Rheinland drehen. Gibt’s da Eifersucht auf die Filmsöhne?
Gott sei Dank nicht. Meine Kinder und meine Filmfamilie verstehen sich hervorragend. Anfangs hatte ich schon Bedenken, dass gerade mein 7 Jahre alter Sohn Milon eifersüchtig werden könnte, mein jüngster Filmsohn ist ja fast im selben Alter. Das Gegenteil ist der Fall: Beide Kids schwärmen für die Serie, auch wenn die Produktion für sie Verzicht bedeutet.

Von Ihrer Tochter Mia, 15, sprechen Sie augenzwinkernd als Ihrem „Beutekind“, weil Ihre Frau sie als Vierjährige mit in die Beziehung gebracht hat. Was haben Sie vom Modell „Patchwork“ gelernt?
Heutzutage ist Patchwork ja nichts Exotisches mehr. Liegt in der Natur der Sache, dass uns dieses Modell allgemein geläufiger geworden ist. Es funktioniert allerdings nur, wenn die Chemie stimmt. Selbst wenn mich Mias Pubertät gerade hin und wieder zweifeln lässt: In unserem Fall haben wir das Glück, dass einfach alles passt. Mia ist meine Tochter, und ich bin ihr Papa – ganz gleich, wie das biologisch aussieht. Wir haben beide das Gefühl, dass wir uns gesucht und gefunden haben. Der Kontakt zum leiblichen Vater besteht, und das halte ich auch für wichtig. Ich erlebe hin und wieder, dass in Patchworkfamilien versucht wird, das zu unterbinden, einfach um die „neue“ Familie zu etablieren. Aber so was geht nach hinten los. Ein entspanntes Miteinander zum Wohl des Kindes sollte immer das Ziel sein.

Erziehen Sie eher lässig, oder haben Sie strenge Regeln?
Erziehung muss vor allem liebevoll sein. Lässige Erziehung kommt oft eher nachlässiger Erziehung gleich und ist eine Ausrede für Eltern, die den leichten Weg gehen. Ich halte es für unabdingbar, dass Kindern Grenzen aufgezeigt werden, dass sie eine Führung und somit Halt erfahren und lernen, dass es Regeln gibt, an die man sich in einer Familie und seinem sonstigen sozialen Umfeld zu halten hat. Wenn ich mit Kindern zu tun habe, merke ich sehr schnell, ob dieser Rahmen zu Hause gegeben ist oder ob sie sich an anderen Menschen abarbeiten müssen, um ihre Grenzen zu erfahren. Gerade in unserer heutigen Welt mit ihrem medialen Overkill ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, als Eltern eine Richtung zu weisen und Werte zu vermitteln.

Was unternehmen die Kinder am liebsten mit Ihnen, wenn Sie zu Hause sind?
Mit meinem Sohn gehe ich oft kicken. Er ist jetzt im Fußballverein, und ich, der nie wirklich was mit Fußball am Hut hatte, muss mich jetzt mit Bundesliga und Champions League beschäftigen. Milon hat mir den „kicker“ als Pflichtlektüre verordnet. Mit Mia fahre ich viel Longboard, dann tanzen wir während der Fahrt auf unseren Brettern. Das tut gut und macht den Kopf frei, ich liebe das! Meine Frau fährt auch gern mit, und wenn Milon sein Fahrrad nimmt, ist die ganze Familie unterwegs.

VITA

  • Simon Böer, 40, gebürtiger Bonner, spielt in der ZDF-Serie „Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen“ einen verwitweten
    protestantischen Pfarrer und steht auch für das ARD-Projekt „Die Kuhflüsterin“ vor der Kamera (Sendetermin 2015). Nach Abitur und Zivildienst studierte er ab 1996 an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Sein Theaterdebüt gab er während des Studiums, es folgten Film- und TV-Rollen. Böer lebt mit seiner Frau Anne und den beiden Kindern Mia, 15, und Milon, 7, in Berlin. Er engagiert sich u. a. für Unicef.

Klingt nach viel Bewegung …
Die ist auch nötig! Kinder sind doch in der Schule in puncto Bewegung schlimm benachteiligt. Vor allem bei Jungs schreit der Hormonspiegel nach körperlicher Ertüchtigung. Stattdessen sollen sie sich mit sieben Jahren stundenlang still auf ihren Platz setzen, aufmerksam sein, und wenn sie anfangen rumzuhampeln, heißt es oft, sie hätten ADHS und bräuchten Ritalin. Das macht mich wirklich wütend. Diese Kinder müssten zwischendurch oft einfach nur mal toben, rennen und balgen dürfen. Aber so läuft das leider nicht: Dass sich ein gesunder, ausgeglichener Geist und ein gesunder, ausgeglichener Körper bedingen, ist im staatlichen Schulsystem leider nur in Ausnahmefällen angekommen.

Haben Kinder Ihrer Meinung nach heute zu viel Stress?
Ich denke eher, wir erwarten von ihnen, in einem System zu funktionieren, das eben nicht kinderfreundlich ist. Viele Kinder kommen schon in der Grundschule so unter Druck, dass ich das Gefühl habe, die werden zu Leistungsmaschinen erzogen. Der emotionale Aspekt geht total flöten. Und die Anforderungen im Gymnasium sind nicht besser: Mia hat oft bis 15 Uhr Unterricht und kommt dann mit Hausaufgaben heim, die zeitlich nicht zu schaffen sind, wenn man noch Freunde treffen, lesen, träumen will. Um fürs Leben zu lernen, bleibt doch gar keine Zeit. Da bin ich als Waldorfschüler ein bisschen anders eingeschworen.

Haben Sie Ihre Schulzeit genossen?
Es war natürlich nicht alles toll. Ich habe schon auch auf die Schule geflucht. Aber die Einstellung dem Lernen gegenüber war anders. Das Feldvermessungspraktikum war die praktische Vermittlung von Mathematik, nur nicht aus dem Lehrbuch. Wir haben geschmiedet und gepflanzt – soweit ich weiß, ist keiner Schmied und nur wenige sind Landschaftsbauer geworden. Was dieses konkrete Lernen mit einem macht, kapiert man erst viel später. Unser Klassenlehrer hat uns eingeschärft, das Wichtigste sei, gerade und aufrecht in die Welt hinauszugehen. Dann hat er die Fenster geschlossen und mit uns die „Internationale“ gesungen. Nicht, weil er ein krasser Kommunist gewesen wäre, sondern weil ihm die Haltung am Herzen lag. Im Nachhinein betrachtet, hab ich da wahrhaftig fürs Leben gelernt. Und mit dieser Erfahrung würde ich mich auch gern an der Schule engagieren.

Warum besuchen Ihre Kinder dann keine Waldorfschule?
Mia wollte mit ihren Freundinnen auf die weiterführende Schule wechseln, Milon besucht die Grundschule in unserem Kiez, direkt bei uns gegenüber. Ich habe aber schon Kontakt zu meiner alten Waldorfschule aufgenommen – hier im Rheinland, wo ich aufgewachsen bin. Wenn ich weiterhin so viel in Köln und Bonn arbeite, denken wir über einen Umzug nach. Meine Mutter lebt hier, meine Frau und die Kinder mögen die Gegend auch gern. Und mich zieht es nach 17 Jahren Großstadtleben und langen Kreuzberger Nächten jetzt auch immer stärker aufs Land. Für Kinder ist es toll. Ich bin als Junge nach dem Mittagessen abgezischt und hab gerufen: „Ich bin wieder da, wenn es dunkel wird!“ Dieses Erleben von Freiheit im Einklang mit der Natur wünsche ich mir auch für meine Kinder.



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