Meinen & Sagen

„Als Vater habe ich gelernt zu vertrauen“

In dem Kinderfilm „Pettersson und Findus“ spielt er den Hauptdarsteller. In unserem Interview erzählt Ulrich Noethen über die Lust an Verschrobenheit, späte Väter und den ganz normalen Wahnsinn einer quirligen Patchwork-Familie


Ulrich Noethen, als Pettersson müssen Sie es doch wissen: Schmeckt Pfannkuchentorte nun wirklich so lecker, wie der Kater Findus uns glauben machen will?
Oh nein. Unsere jedenfalls schmeckte grauenhaft. Wir hatten Pfannkuchentorten aus vorgefertigtem Pfannkuchenteig am Set. Wirklich nicht toll.

Sie übernehmen einerseits ernste Rollen wie in der Martin-Walser-Verfilmung „Das fliehende Pferd“ oder „Der Untergang“, dann spielen Sie wieder in Kinderfilmen. Was hat Sie am alten Pettersson gereizt?
Pettersson und Findus lagen schon bei meiner Tochter herum. Ich habe die Bilderbücher sehr geliebt, später die Computerspiele. Die Vorstellung, mir einen Bart wachsen zu lassen und so einen Hut aufzusetzen, hat mich einfach gelockt. Und ich liebe die Abwechslung.

Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Diese unglaublich detailgetreue Umsetzung der Bücher von Kinderbuchautor Sven Nordqvist. Der ganze Film wurde im Studio gedreht, die Ausstattung war sensationell, der Bauernhof, die Werkstatt mit ihren merkwürdig verschrobenen Erfindungen …

VITA

  • By Siebbi (Ulrich Noethen) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

    Ulrich Noethen, 54, wurde am 18. November 1959 in München geboren. Er studierte Schauspiel in Stuttgart, stand auf Theaterbühnen in Freiburg, Köln und am Berliner Schauspielhaus. Der Durchbruch als Kinodarsteller gelang ihm 1997 in Joseph Vilsmaiers „Comedian Harmonists“, für den er mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Weitere Filme: „Das Sams“, „Der Untergang“. Er erhielt unter anderem den Grimme-Preis und die Goldene Kamera. Noethen hat eine große Tochter aus erster Ehe und lebt heute mit der Schriftstellerin Alina Bronsky und deren drei Kindern aus erster Ehe in Berlin. Die beiden haben eine gemeinsame kleine Tochter.

    Foto: By Siebbi (Ulrich Noethen) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Pettersson und Findus führen eine Art Vater-Kind-Beziehung. Auch wenn Pettersson sich lieber als älterer Freund bezeichnet. Was macht das Duo in Ihren Augen so erfolgreich?
Zum einen natürlich die Herzlichkeit, das Schrullige und Kindliche der Beziehung. Zum anderen ist es das bewährte Muster alt–jung, Opa–Enkel. Egal ob bei den Autoren James Krüss, Paul Maar oder Sven Nordqvist – solche Beziehungen funktionieren wunderbar, weil sie den Figuren mehr Freiheiten lassen. Die Eltern als Störer fehlen, Gesetzmäßigkeiten der Eltern-Kind-Beziehung sind aufgehoben, man kann nach Herzenslust Regeln umstoßen. Pettersson und Findus begegnen sich als Fremde und haben die Chance, eine eigene Ebene für ihr Miteinander zu schaffen.

Wo finden Sie sich in der Figur des Pettersson wieder?
In der schrulligen Offenheit des alten Mannes, seiner Spontaneität. Findus will eine Pfannkuchentorte backen? Gut, dann backen wir eine Pfannkuchentorte. Findus will dreimal im Jahr Geburtstag feiern? Warum nicht, dann feiern wir wenigstens zweimal im Jahr Geburtstag. Ich finde mich wieder im Abenteuerlichen, in der Fantasiewelt. Das gemütliche Häuschen von Pettersson, seine Werkstatt, sein Hof, seine Bude, in der er kochen und kruschteln kann –mein absoluter Traum.

Sie sind Vater zweier Töchter, leben mit ihrer zweiten Frau, der Schriftstellerin Alina Bronsky und deren drei Kindern in Berlin. Geben Sie im Familienalltag mal den Pettersson oder Herrn Taschenbier aus dem Kinderfilm „Das Sams“?
Bloß nicht! Für jede Schauspielerfamilie ist es eine Horrorvorstellung, dass der Alte nach Hause kommt und meint, er stünde immer noch auf der Bühne. Schon beim Vorlesen hat meine Tochter früher zu mir immer gesagt: „Papa, mach mal normal, mach nicht immer diese Stimmen.“ Kinder möchten Vater pur haben, den echten Papa. Klar mache ich Witze, zieh mal Grimassen. Aber am besten komme ich an, wenn ich einfach für sie da bin.

Wenn Sie auch nicht in Rollen schlüpfen, träumen Sie sich mit Ihren Kindern manchmal in Fantasiewelten?
Das ist eher der Part meiner Frau. Ich bin kein Geschichtenerfinder. Meine Fantasie setzt eher da ein, wo es darum geht, Geschichten schauspielerisch zu interpretieren. Meiner Tochter habe ich viel vorgelesen, bei den neuen Kindern ist das bei meiner Frau verankert, so sind sie aufgewachsen.

Im vergangenen Sommer sind Sie mit 53 noch mal Vater geworden. Wie erleben Sie den Alltag als Patchwork-Familie?
Die Umstellung ist schon gewaltig: von der Kleinfamilie mit einem Kind zur Großfamilie mit fünf Kindern. Da ist natürlich immer etwas los. Es ist nicht leicht, sich zu siebt in einer Charlottenburger Altbauwohnung aus dem Weg zu gehen. Man muss sich langsam aneinander gewöhnen, gemeinsame Rituale entwickeln, Regeln aufstellen. Jede Familie hatte eigene Spielregeln, eigene Erziehungsgrundsätze. Was bei dem einen ein No-go ist, ist beim anderen selbstverständlich.

Pettersson-findus-DVD
Aufwendig bearbeitet ist die deutsche Verfilmung der beliebten Kinderbücher von Sven Nordqvist. Die DVD „Pettersson und Findus: Kleiner Quälgeist – große Freundschaft“ ist für 10 Euro im Handel erhältlich

 

Zum Beispiel?
Ich bin selbst mit vier Geschwistern aufgewachsen. Es war eine glückliche Kindheit. Das Familienleben war sehr geregelt, mit klar definierten Grenzen. Bei Tisch durften wir nicht aufstehen, mussten abwarten, bis wir mit Reden dran waren, damit nicht alle durcheinanderquasseln. Dabei habe ich gelernt, mehr auf das Gemeinsame zu achten, als die eigenen Bedürfnisse spontan zu befriedigen.
In der neuen Familie sind die Kinder mehr gewöhnt, ihre eigenen Bedürfnisse auszuleben. Da muss ich mich erst reinfinden und höre mich oft sagen: Eins nach dem anderen, ich habe auch nur zwei Ohren.

Wie entwickeln Sie gemeinsame Spielregeln?
Natürlich besprechen meine Frau und ich uns erst mal untereinander: Was ist dir wichtig, was ist mir wichtig? Oft ist dafür allerdings kaum Zeit, das Leben geht schneller voran, chaotischer. Deshalb muss man immer wieder einen Schritt zurücktreten und sich sagen, ah, so ist das … da müssen wir noch mal überlegen! Dieses Gemeinsame zu entwickeln erfordert in einer Patchwork-Familie Aufmerksamkeit und Gelassenheit.

Können Sie auch streng werden, wenn es mal nicht so läuft?
Ja. Wobei ich Strenge nicht schlimm finde. Ich sage klar, was ich von den Kindern erwarte. Strenge darf nur nicht zur Prinzipienreiterei werden. Tischmanieren bloß wegen der Tischmanieren durchzuziehen? Unsinn.
Man muss sich selbst genau fragen: Was ist der Sinn dahinter? Zum Beispiel: Es ist angenehmer, wenn das Gegenüber nicht schlürft. Es geht um zivilisierte Formen des Miteinanders. Wer diese beherrscht, wird sich als Erwachsener relativ unbefangen normal bewegen können. Tischmanieren sind aber auch Übungen der Selbstdisziplin, der Selbstbeobachtung. Wenn es mir gelingt, den Kindern zu vermitteln, warum wir uns an Tischmanieren halten oder nicht alle durcheinanderquatschen sollten, bin ich zufrieden. 

Keine Sorgen! Mein Grundgefühl ist: Alles wird gutUlrich Noethen

Mit einem kleinen Baby drückt man als Eltern noch mal den Knopf für Neustart. Erleben Sie Ihr Papa-Sein anders als vor 20 Jahren?
Schon, weil ich alles bereits einmal durchgemacht habe. Meine große Tochter ist jetzt 19, sie möchte bald ausziehen. Ich habe gelernt zu vertrauen: Das Kind wird gut aufwachsen, ich kann ihm viel Gutes mitgeben. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Natürlich weiß man nie, was in der langen Zeit bis zum Erwachsensein wirklich auf einen zukommt, aber das Grundgefühl bleibt: Alles wird gut.

Welche Werte wollen Sie Ihren Kindern mitgeben?
Für mich ist wichtig, dass ein Kind zu sich selbst Ja sagen kann. Dass es seinen eigenen Weg findet, selbstbewusst Entscheidungen treffen kann. Dass die Kinder lernen, freundlich und zugetan miteinander umzugehen.

Was genießen Sie heute an Ihrem gemeinsamen Familienalltag?
Die langen, entspannten Gespräche, wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen und sich dann mit Menschen so unterschiedlichen Alters Diskussionen entwickeln, an denen alle teilhaben. Die Kinder machen mein Leben rund. Sie bereichern es enorm, auch wenn sie manchmal anstrengend sind oder mir auf die Nerven gehen, die mitgebrachten genau wie die eigenen. Die kleinen Konflikte, das frühe Aufstehen und Sich-aus-dem-Bett-Quälen gehören aber eben genauso dazu wie die guten Gespräche und der Quatsch.

Wenn Sie für Dreharbeiten unterwegs sind, können Sie an diesem Alltag allerdings kaum teilnehmen.
Dann halte ich Kontakt per SMS, Mail und What’sApp. Eine kleine Nachricht, ein Bild, ein Gedanke. Anteil nehmen ist enorm wichtig, auch wenn man vor Ort im Moment nichts tun kann. Ich bin eben wie ein Vater auf Montage. In Drehpausen stehe ich aber als Erster auf, schmiere Schulbrote, setzte die Kinder auf die Spur zur Schule. Dann übernehme ich zu Hause den Löwenanteil.



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