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Mama will’s wieder wissen

Es ist fast in allen Familien das Gleiche: Sind erst mal Kinder da, bleiben die Mütter zu Hause, während für Väter das Berufsleben weiterläuft. Doch wenn Frauen wieder in den Job einsteigen wollen, beginnt das Jonglieren mit Büro, Kinderbetreuung und Freizeit. Zwei Mütter erzählen von ihrem Wiedereinstieg in den Beruf


Christiane Bott-Flügel schwingt sich aufs Fahrrad. Die Arztpraxis, in der die Erdingerin seit eineinhalb Jahren als Assistenzärztin arbeitet, liegt nur zwei Minuten von ihrem Zuhause entfernt. „Ein echter Glücksfall“, wie die 42-Jährige sagt. Der Wiedereinstieg in den Beruf lässt sich mit den Kindern so „gut vereinbaren“. Selbst wenn der Sohn, 11, oder die Tochter, 8, krank ist, muss sie nicht unbedingt ihrem Chef absagen, sondern kann zwischendurch Fieber messen, Tee kochen, Wärmflasche füllen und dann wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Zehn Jahre lang hat Bott-Flügel ihren Job als Ärztin an den Nagel gehängt. Wobei das nicht bedeutet, dass sie nicht gearbeitet hat. Mal hat sie als Dozentin an einer Münchner Heilpraktikerschule unterrichtet, mal ihre Doktorarbeit ­geschrieben: „Das ist ganz typisch für Frauen wie mich.“ Vor zwei Jahren hat Bott-Flügel ein Seminar zum Thema Wiedereinstieg an der Bayerischen Landesärztekammer besucht. Mit ihr im Raum: 70 Frauen um die 40. Alle haben nach ­ihrem Studium als Ärztinnen gearbeitet und sind nach der Geburt ihrer Kinder länger zu Hause geblieben. Gejobbt wurde meist berufsnah nebenher, vormittags, während die Kinder im Kindergarten waren. Manche haben auch ihre Eltern ­gepflegt oder ihrem Partner im Geschäft geholfen. Von den Seminarleiterinnen wollten sie wissen: Gibt es für mich noch ­einen Sprung zurück? Kann ich mich nach all den ­Jahren wieder meiner Karriere widmen? Und was bedeutet das für die ­Familie?

Es ist nie zu spät für ein berufliches ComebackInga Fischer, Verein für Fraueninteressen

Nach der Familiengründung müssen Eltern die Entscheidung treffen, wie sie das Leben mit dem Nachwuchs organisieren wollen. Meist sind es die Frauen, die eine ­Weile zu Hause bleiben. Zwar geht seit Einführung des Elterngelds vor zehn Jahren der Trend zu kürzeren Elternzeiten: Im Schnitt kehren die meisten Frauen nach 19 Monaten an den Arbeitsplatz zurück – dennoch entscheidet sich ein Teil der Mütter nach wie vor für eine längere Auszeit, manchmal sind es fünf Jahre oder sogar zehn Jahre. Grund zur Panik sieht Inga Fischer vom Münchner Verein für Fraueninteressen für die späten Rückkehrerinnen in den Job nicht: „Es ist nie zu spät für ein berufliches Comeback.“ Nicht alle, aber doch viele Arbeitgeber hätten mittlerweile erkannt, dass sie auf das Know-how der Frauen nicht verzichten können. Oft ist mehr möglich, als man meint.

Der Wiedereinstieg in den Beruf wird einfacher

Für Christiane Bott-Flügel hat sich der Wind gedreht. Der Medizin geht der Nachwuchs aus, insbesondere Haus­ärzte werden gesucht. Insofern „versucht man, ausgebildete Ärztinnen zurückzugewinnen“, so Bott-Flügel, Arbeitszeiten werden flexibler, Vollzeit ist nicht mehr die Regel. Inzwischen beantragen auch männliche Kollegen Elternzeit, ohne schief angeschaut zu werden. Bott-Flügel selbst arbeitet 20 Stunden pro Woche, den Donnerstag hält sie sich frei – für Haushalt, Arztbesuche, Sport. „Jede Frau muss für sich selbst herausfinden, was sie sich zutrauen kann“, sagt sie. Pauschale Ratschläge gehen ihr genauso auf die Nerven wie prominente Übermütter, die scheinbar alles perfekt schaukeln: „Jede Frau befindet sich in einer anderen Situation.“

 

Hilfreiches für den Wiedereinstieg

Schnelle Verbindung: Zwei Minuten ist ­Christiane Bott-Flügels Arbeitsstelle von zu Hause entfernt – ­praktisch, wenn die Tochter mal krank ist. Was Müttern sonst noch bei der Rückkehr in den Job hilft:

Mama will's wieder wissen – Wiedereinstieg in den Beruf – Christiane Bott-Flügel
  • Das Ziel im Kopf behalten

    Kinderalltag, Schulstress, Haushalt, da tritt der Gedanke an den Wiedereinstieg leicht in den Hintergrund. Aber Verdrängen macht die Rückkehr schwerer!
    Gut: frühzeitig gemeinsam mit dem Partner festlegen, wann man wieder arbeiten möchte.

  • Den Partner einbinden

    Welches Modell passt zur Familie? Lieber ganze Tage arbeiten oder halbtags über die Woche verteilt? Was kann der Partner übernehmen? Wie viele Stunden im Beruf sind realistisch?

  • Die Branche verfolgen

    Je nach Berufsfeld verändert sich die Arbeitswelt schnell. Wer irgendwann wieder in sein altes Arbeitsgebiet zurückmöchte, sollte die Entwicklungen im Blick behalten. Egal ob durch Onlineberichte, Zeitungslektüre, Fachpublikationen oder den gelegentlichen Austausch mit Exkollegen.

  • Klar entscheiden

    Eine längere Familienphase bietet auch Chancen: Rückkehr oder Neustart? Selbstständig oder angestellt? Genau überlegen, welcher Weg passt. Argumente zusammentragen, Informationen sammeln, Expertenrat suchen. Seminare, Workshops, Stammtische – es gibt viele Anlaufstellen, zum Beispiel unter
    www.perspektive-wiedereinstieg.de

  • Unterstützung holen

    Eine Reinigungshilfe, ein Nachmittag bei den Großeltern, Hausaufgabenbetreuung verschaffen Luft im Familienalltag.

  • Prioritäten setzen

    Was ist wirklich wichtig, was kann warten? Kinder, Haushalt, Partnerschaft, Job – nicht alles kann 100-prozentig funktionieren.

  • Zutrauen

    Kinder können oft mehr, als man denkt. Und freuen sich – auch wenn sie erst einmal meckern – ebenfalls über gewonnene Freiräume.

  • Nicht kirre machen lassen

    Auch wenn Freunde und Bekannte längst
    wieder in der Arbeitswelt Fuß gefasst haben, es ist nie zu spät für einen Neuanfang.

Sind ­Eltern oder Großeltern in der Nähe, reicht das Geld für eine Tagesmutter, haben wir Platz für ein Au-pair, bieten Kindergärten und Schulen eine Mittagsbetreuung an, wie flexibel ist der Arbeitgeber tatsächlich, und wie sehr kann und will sich der Partner einbringen? Bott-Flügels Mann ist als Chefarzt schon zu 150 Prozent eingespannt. Ihr Tipp: sich nicht an anderen messen. Und „lieber klein anfangen und peu à peu aufstocken ­anstatt in die Vollen gehen und dann zurückrudern.“

Was man einmal gelernt hat, geht nicht verlorenInga Fischer

Auch Inga Fischer hält von Ratschlägen nicht viel, schon allein weil „in dem Begriff das Wort Schlag steckt“. Frauen müssten selbst erkennen, wie sie den Wiedereinstieg anpacken können. In ihrem dreimonatigen Seminar „Neuer Start“ sitzen Frauen von Anfang 30 bis Mitte 50. Zu Beginn seien die Vorstellungen oft diffus. Viele meinen, umsatteln zu müssen, weil sie fürchten, den Anschluss verloren zu haben. Die beiden klassischen Ideen: die Ausbildung zur Heilpraktikerin oder zur Yogalehrerin. Doch im Laufe des Kurses wird den allermeisten Frauen bewusst: Was man einmal gelernt hat, geht nicht verloren – und die Zeit zu Hause war keine verlorene Zeit.

„Neue Kompetenzen kommen hinzu“, sagt Fischer, „Empathie, Planungskompetenz, Flexibilität, Aufgeschlossenheit, Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit.“ Das sehen zu können sei die größte Aufgabe, sagt ­Fischer. Und Voraussetzung dafür, selbstbewusst auf den Arbeitsmarkt zu treten. Fischer erzählt von einer Juris­tin, die in ihre Bewerbung „leidenschaftliche Mutter“ geschrieben hatte. Die angeschriebenen Arbeitgeber waren ­irritiert, fanden es aber durch die Bank weg gut.

Was Frauen beim Wiedereinstieg hilft: Selbstbewusstsein

Isabel Pfeffermann sieht das ähnlich. Die Münchner ­Beraterin stellt immer wieder fest: Die meisten Frauen stehen sich vor allem selbst im Weg. „Sie geben sich zu passiv und zu wenig selbstbewusst. In Personalgesprächen verhalten sie sich so, als hätten sie sich etwas zuschulden kommen lassen. Das ist völlig unangebracht.“ Frauen sollten zu ihren Entscheidungen stehen und Antworten parat haben: Warum war es mir wichtig, mehrere Jahre ausschließlich für meine Kinder da zu sein? Wie stelle ich mir den Wiedereinstieg vor? Warum bringen vier halbe Arbeitstage mehr als zwei volle? Wie organisiere ich die Zusammenarbeit mit den Kollegen?

 

Für die Kölner Einzelhandelskauffrau Desiree Holz stand bereits vor der Geburt ihrer Tochter fest: „Ich möchte viel Zeit mit ihr verbringen, die ers­ten Schritte und Wörter nicht verpassen. Aber nach zwei Jahren will ich wieder zurück.“ Nicht nur, weil es dann kein Elterngeld mehr gibt. Sondern auch, weil der Firmenalltag beim Einzelhändler REWE zu schnell­lebig ist. Stellen werden neu besetzt, Abteilungen umstrukturiert: „Die Gefahr, den Anschluss zu verpassen, war mir dann doch zu groß.“ Erfolgreich hatte sich Holz in ihrem Berufsleben von der Verkäuferin im Toom-Markt ins Kundenmanagement der REWE-Zentrale hochgearbeitet. Ohne ihre Mutter hätte ihr Plan jedoch nicht geklappt. Weil es von den Kitas nur Absagen hagelte, erklärte sich Oma bereit: „Ich übernehme!“ Holz: „Das war unsere Chance, denn die Ausgaben für Tagesmutter oder Au-pair hätten meinen Verdienst in einem Halbtagsjob großteils wieder aufgezehrt.

Es geht – aber irgendwie hinkt man in Schul­sachen doch immer hinterherDesiree Holz, Einzelhandelskauffrau

Wie viel schwieriger es ist, den Wiedereinstieg mit zwei Kindern zu stemmen, hat Holz nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Maxime gemerkt. Doppelter Organisationsaufwand, doppelte Herausforderung. Nur mit „präziser Organisation“ lassen sich der Alltag eines Kitakindes mit dem eines Schulkindes und dem Job verbinden. 5.30 Uhr aufstehen, frühstücken. Ihr Mann, ein IT-Angestellter beim WDR, bringt die Kinder in Kita und Schule, Holz eilt um kurz nach sieben in den Job, um die Erstklässlerin Viktoria gegen 13.30 Uhr an der Schule abholen zu können. Mittagessen, Hausaufgaben machen, spätestens um 15 Uhr die Kleine im Kindergarten abholen. „Es geht – aber irgendwie hinkt man in Schul­sachen doch immer hinterher“, sagt Holz. „Schule bedeutet viel mehr Aufwand als Kindergarten.“ Es stehen Projektwochen an, Schulfeste und Brückentage, Ausflüge mit Elternbegleitung. Und natürlich die Ferien. Für Herbst, Weihnachten und Ostern haben sich die Eltern die Urlaubstage aufgeteilt, im Sommer übernehmen die Schwiegereltern drei Wochen.

Vor allem Flexibilität ist wichtig

An ihren alten Arbeitsplatz konnte Desiree Holz nicht zurück. Die Abteilung war aufgelöst worden, Holz landete in der Datenpflege. Viel Computer­arbeit, keine Kundenkontakte, eine „holprige Umstellung“. „Doch die Firma hat mich gut unterstützt“, sagt sie. REWE wurde für Familienfreundlichkeit ausgezeichnet, es gibt einen Strauß an Maßnahmen, die Eltern den Wiedereinstieg erleichtern – von Teilzeitmodellen bis zu Eltern-Kind-Büros, in die Eltern ihren Nachwuchs im Notfall mit zur Arbeit bringen können. Der Chef gab ihr einen Paten zur Einarbeitung an die Seite, ging auf ihre Bitte nach einem freien Tag für Wocheneinkäufe und Erledigungen ein, statt auf der Fünftagewoche von acht bis zwölf zu bestehen, und stellte der jungen Mutter für Notfälle einen Firmencomputer mit vollem Zugang auf das Firmensystem zur Verfügung. Und die Kinder? Holz lacht. „Für beide ist es selbstverständlich, dass ich arbeite – und trotzdem als Teilzeitkraft viel für sie da sein kann.“

„Neuer Start“-Leiterin Fischer beobachtet oft, dass es die Familienangehörigen gut finden, wenn die Frau den Wiedereinstieg in den Beruf wagt: „Vieles wird aus der Rechtfertigung heraus gemacht, dass man ja sowieso zu ­Hause ist“, sagt Fischer – Hausaufgaben kontrollieren, zu Musikschule und Fußball kutschieren, das Sozialleben des Kindes mitgestalten. Wenn der Nachwuchs auf sich selbst gestellt ist, muss er all das allein schaffen. „Das stärkt und macht selbstständig.“

Letztlich tut es den Kindern gut, wenn ich nicht ständig um sie kreiseChristiane Bott-Flügel, Ärztin

Christiane Bott-Flügel sieht das heute auch so. „Letztlich tut es den Kindern gut, wenn ich nicht ständig um sie kreise.“ Sie brauchen Freiraum. Je ­älter sie sind, desto mehr. Zehn Jahre würde die Ärztin heute nicht mehr aussteigen, die mangelnde Anerkennung setze einem mit der Zeit zu. „Hausarbeit und Kindererziehung sind nichts, wofür einem gedankt oder man gar gelobt wird, nicht von den Kindern, nicht vom Mann, nicht von der Gesellschaft.“ Am Anfang gab es zwar die Befürchtung, dass zu Hause nicht mehr alles wie gewohnt laufen werde, ­erzählt sie. Aber der Unterschied sei „minimal“. Die Wäsche ist trotzdem gewaschen, der Kühlschrank ist gefüllt, die Noten sind auch nicht abgerutscht. Und abends, wenn die Familie im Wohnzimmer zu Abend isst, erzählt nicht mehr nur der Papa von seinem tollen Tag.

Fotos: Bettina Theisinger/Magazin-Schule



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