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Feiern, bis der Papa kommt

Die erste Party nach dem letzten Kinder­geburtstag: Als Tim ankündigt, dass er seinen 17. Geburtstag groß feiern möchte, freut sich SCHULE-Autorin Beate Strobel zunächst. Dann erzählen andere Eltern von Alko­holexzessen, Zerstörungswut und Taschenkontrollen. Jetzt gruselt ihr vor der Nacht X …


Der 13. Geburtstag war der letzte, den Tim feiern wollte. Fußballspielen, Schatzsuche, Kuchenschlacht – die Klassiker eben, allerdings nicht mehr von allen Kids gleichermaßen goutiert. Danach war Schluss mit Feten. Am Geburtstag ging Tim höchstens noch mit zwei, drei Freunden ins Kino oder ins Spaßbad – alles easy, chill mal, Mama. Also freuen wir uns zunächst, als unser Großer erklärt, den 17. Geburtstag gemeinsam mit einem Kumpel groß zu feiern. Bei uns im Keller, also mit anderen Worten: ohne Erwachsene. Ich sehe vor meinem inneren Auge wohlerzogene ­junge Menschen ins Untergeschoss ziehen, wo bis Mitternacht getanzt und geratscht wird, während wir Eltern ­gepflegt außer Haus etwas trinken gehen. Klar, sage ich, gute Idee. Mach mal, Junge.

Nach nur zwei Stunden war unter den Kids nahezu niemand mehr ansprechbar

Dann erzähle ich anderen ­Eltern von diesem Plan. Die erste Party nach dem letzten ­Kindergeburtstag ist ­heutzutage die real gewordene Chaostheorie, der GAU in engen Räumen, so die Zusammenfassung dieser Gespräche. Eine Bekannte berichtet, um 20 Uhr sei in dem ­Jugendheim, in dem ihre 16-jährige Tochter feierte, noch alles friedlich gewesen. Als sie nur zwei Stunden später Pizzen abliefern wollte, war unter den Kids nahezu niemand mehr ansprechbar dank hochprozentiger Schmuggelware. Ein Mädchen hatte sich in der einzigen (!) Toilette eingesperrt, um sich dort ungestört zu über­geben und danach einzuschlafen – weshalb alle anderen, denen es ähnlich dreckig ging, eben dies vor der Tür erledigt hatten. Der Inhalt einer Flasche Prosecco war in die Stereoanlage des Jugendheims geflossen. Ein Mädchen lag weg­getreten auf der Terrasse – bei zwei Grad Celsius im ­Spaghettiträger-Top. 1,4 Promille Alkohol im Blut wurden bei ihr in der Notaufnahme festgestellt.

15 waren eingeladen, aber dann …

Eine andere Mutter erzählt von einer Party, zu der 15 Jugendliche offiziell eingeladen waren und mindestens 50 ­kamen – die letzten klingelten nachts um drei Uhr Sturm, als eigentlich schon alles beendet war. Ein anderer Vater ­erwähnt, dass er inzwischen die Gäste seiner Kinder nur noch nach eingehender Taschenkontrolle ins Haus lässt, um wenigstens so irgendwie im Griff zu haben, welche ­Alkoholika die Kinder konsumieren.

Der Vater war früher auch nicht besser

Andererseits: Früher war auch nicht alles besser. Fröhlich erzählt mein Mann Felix von einer Party aus dem letzten Jahrtausend, auf der seine Clique damals beschlossen hatte, ein Brandloch im Teppich zu kaschieren, indem ein noch größeres Quadrat aus dem Perser geschnitten und ein Sessel darübergeschoben wurde. Die Feier wurde übrigens durch einen Polizeieinsatz beendet, die Nachbarn hatten morgens um vier Uhr die Nerven verloren.

Teenager müssen Erfahrungen machen. Aber ausgerechnet in unserem Keller?

Was also tun? Am liebsten würde ich nun die Party absagen: zu gefährlich. Lauter Jugendliche in einem Raum, die sich ausprobieren wollen, aber ihre Grenzen nicht kennen? Für die wir Erwachsenen dann irgendwie verantwortlich sind, denen wir uns aber nicht zeigen können, ohne unseren Sohn bloßzustellen? Teenager müssen Erfahrungen machen, auch unangenehme. Aber ausgerechnet in unserem Keller?

 

Wenn Minderjährige feiern – die Rechtslage im Überblick

Christa Brandt, Rechtsanwältin (u. a. Familienrecht) aus Geretsried und selbst dreifache Mutter, klärt die wichtigsten Elternfragen

  • Wie lange darf eine Party für Minderjährige gehen?

    Bei öffentlichen Veranstaltungen ist für alle unter 18 um Mitternacht Schluss. Bei ­privaten Feiern greift das Jugendschutz­gesetz nicht, es darf länger gefeiert werden. Achtung: Zahlen die Gäste etwa einen ­festen Geldbetrag für die Getränke („Eintritt“), könnte das bereits die Grenze zur ­öffentlichen Veranstaltung überschreiten. Auch Partys, die auf Facebook & Co. annonciert werden („Kommen kann, wer will“), ­gelten als öffentlich.

  • Welche Aufsichtspflicht haben Eltern bei einer Privatparty den Gästen gegenüber?

    Generell gilt: Die Eltern des Gastgebers ­haben eine gewisse Fürsorgepflicht („Garantenstellung“). Passiert dem Jugendlichen ­etwas, steht die Haftungsfrage im Raum ­wegen Verletzung dieser Pflicht – etwa wenn sie einen offensichtlich schwer alkoholisierten Jugendlichen nach Hause gehen ­lassen und ihm etwas auf dem Heimweg ­passiert. Im Extremfall kann das als unterlassene Hilfe­leistung gewertet werden. Wer sich rechtlich absichern will, müsste sich von den Eltern der Gäste von der Haftung freizeichnen lassen – in der Praxis macht das wohl niemand. Feiern Jugendliche allerdings in einer Bar, besteht der Wirt meist auf die schriftliche Befreiung von der Haftung.

  • Bedeutet das, dass ich als Elternteil besser mit im Partyraum sitzen sollte?

    Glücklicherweise nicht. Bei Jugendlichen im Alter von 16, 17 Jahren setzt man Eigenverantwortung und Einsichtsvermögen vo­raus, sie haften für sich. Die Mehrheit der Juristen ist aber zugleich der Auffassung, dass die Einladung zu einer Privatparty ein unausgesprochenes „Angebot zur Übernahme der Aufsichtspflicht“ darstellt. Die Jugend­lichen völlig allein feiern zu lassen, ist rechtlich problematisch. Wichtig sind regelmäßige „Kontrollgänge“ und auch Rufbereitschaft, falls die Feiernden mit einer Situation überfordert sind.

  • Wie sieht es mit Alkohol­ausschank bei der Party aus?

    Das Jugendschutzgesetz verbietet den öffentlichen Ausschank von Alkohol an ­Minderjährige unter 16. Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren darf rein rechtlich der ­Verzehr von hochprozentigem Alkohol nicht gestattet werden (gilt auch für das Rauchen!). Im privaten Rahmen greift das Jugendschutzgesetz aber nicht. Als Gastgeber sollte man dennoch dafür sorgen, dass kein harter Alkohol angeboten wird bzw. die Privatvorräte an Schnaps & Co. sicher verwahrt sind. Zur Taschenkontrolle der jugendlichen Gäste ist kein Elternteil verpflichtet.

Andererseits hat Tim begonnen, den Kellerraum auf- und auszuräumen, in dem seine Kindheit in Gestalt von Playmobil- und Lego-Welten in den Regalen verstaubt – etwas, das ich seit Jahren vergeblich einfordere. Soll ich diesen Elan tatsächlich ausbremsen durch ein schnödes Partyverbot? Soll er als Erwachsener – im Gegensatz zu seinem ­Vater – etwa keine lustige Partygeschichte zu erzählen haben?

Gut, er darf feiern. Aber wir bleiben daheim

Ein Nein ist keine Lösung. Taschenkontrolle ebenfalls nicht, ich habe kein Talent zur Türsteherin oder Keller­gouvernante. „Du vertraust mir nicht“, jammert der Sohn, als ich dezent die Frage nach hochprozentigem Alkohol ­anspreche. Chill mal, Mama, echt jetzt!

Wenn die Party ausartet, kommt Papa in den Keller. Und der tanzt dann

Er darf feiern, aber wir werden definitiv daheimbleiben, entscheiden wir schließlich. Keine Einladung zur Party über Social-Media-Kanäle, ins Haus kommen nur Leute, die Tim höchstpersönlich kennt. Und ich drohe: Wenn die Party ausartet, kommt der Papa in den Keller. Und der tanzt dann.

Am Tag X sind die jüngeren Geschwister ausquartiert zu Freunden, die Playlist ist fertig und ausreichend Bier im Kühlschrank. Den Wohnzimmerteppich haben wir vorsorglich beiseitegerollt. Stattdessen steht da die Tischtennisplatte, damit „Beer Pong“ gespielt werden kann – die aktuelle Flüssigvariante von Tischtennis. Einen Kasten Cola hat der Papa noch in den Kellerraum geschmuggelt, ich habe die Bowle heimlich mit Null-Promille-Prosecco angesetzt. Die ersten Gäste kommen: wohlerzogene junge Leute, die artig grüßen, bevor sie in den Keller verschwinden.

Um halb zwei Uhr morgens schließlich schleichen wir hinab

Im Dachgeschoss sitzen mein Mann und ich vor dem Fernseher, lauschen aber in Wirklichkeit angestrengt nach unten: Musik. Lärm. Lautes Lachen. Gepolter. Noch lautere Musik. Noch mehr Lachen. Warum hatten wir die Idee mit der Webcam im Kellerraum nur so vorschnell verworfen? „Ich fühle mich wie auf der Brücke vom Raumschiff Enterprise“, meint Felix: „Captain Kirk an Chekov: Erbitte dringend Schadensmeldung!“ Um halb zwei Uhr morgens schließlich schleichen wir hinab.

Jemand muss die Flaschen in unserer Vorratskammer entdeckt haben

Im Erdgeschoss halten wir erstmals den Atem an: Es riecht nach Glühwein, der aber gar nicht vorgesehen gewesen war; jemand muss die Flaschen in unserer Vorratskammer entdeckt haben. Ein Gast hat augenscheinlich eine Konfettibombe gezündet, das Glitzerzeug liegt nun überall, wirklich überall am Boden, zum Teil mit Glühwein vermischt. Dazu die obligatorischen Chipskrümel, Bierdeckel, Kuchenbrösel. Mit einer Handvoll Restgästen versucht Tim gerade, diese ungute Mischung mit einem Handfeger zusammenzukehren.

Bleiche Gesichter am Tag danach

Da nichts brennt oder anderweitig ein echter Notstand vorhanden ist, erkläre ich die Party für beendet und schicke alle noch vorhandenen Minderjährigen auf ihre Luftmatratzen. Im Bett unseres Jüngsten entdecke ich ein dornröschengleich schlafendes Mädchen. Ihre Mitfahrgelegenheit habe sie versehentlich vergessen, flüstert mein Sohn. Gut, lieber hier als auf einer Parkbank draußen.

Die Kehrseite einer jeden Party erlebt Tim dann am nächsten Vormittag, als er und sein Kumpel mit bleichen Gesichtern das Chaos beseitigen, das von der Nacht übrig geblieben ist. Größere Schäden können wir aber nicht entdecken, mal von den Farbtupfern abgesehen, die in Glühwein eingelegte Konfettischnipsel offensichtlich auf Parkett hinterlassen. Wir rollen den Teppich drüber.

Am nächsten Morgen die Frage: Wer hat all das getrunken?

Staunend sammle ich die leeren Flaschen ein, die überall in den Kellerregalen stehen: Whisky. Wodka. Apfelkorn. Tequila. Italienischer Kräuterlikör. Erdbeerschaumwein mit rosa Einhorn auf dem Etikett. Wer hat all das den Jugendlichen verkauft? Und wer hat all das getrunken? Hätte ich vielleicht doch noch nachts die Straßen nach Promille­opfern absuchen sollen?

„War schon okay“, erzählt mein Sohn anschließend über die Party. Mehr nicht. „Nächstes Jahr mache ich aber ­Taschenkontrolle“, sage ich. Er lächelt müde. „Nächstes Jahr“, sagt er, „bin ich 18.“ Es klingt wie ein Versprechen und eine Drohung zugleich.



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