Halbjahreszeugnis schlecht? Magazin SCHULE
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Halbjahreszeugnis schlecht? – „Realistische Ziele sind wichtig!“

Es ist Winter, das Halbjahreszeugnis ist schlecht und die Familie im Stress? Nur nicht verzweifeln! Warum Zeugnisse selten motivieren, welche Rückmeldung Eltern lieber wäre und was ein langjähriger Schulberater bei schlechten Noten rät


Bin ich dabei, meine Lernziele zu erreichen? Oder reicht es bislang noch nicht? Zwischenzeugnisse sollen Schülerinnen und Schülern eine Rückmeldung darüber geben, wo sie stehen. Doch einen Motivationsschub bekommen nur diejenigen, die ohnehin gute Noten haben. Allen anderen Familien bringen sie vor allem Stress nach Hause, wie eine Umfrage des Nachhilfeanbieters Studienkreis ergeben hat – und zwar nicht nur, wenn das Halbjahreszeugnis schlecht ausfällt: 17 Prozent der Eltern befürchten eine belastende Wirkung des Zeugnisses, obwohl nur 13 Prozent mit überwiegend schlechten Noten rechnen.

Kein Wunder also, dass Eltern wie Pädagogen immer wieder über Sinn oder Unsinn von Noten diskutieren. Aber was wäre die Alternative? Individuelle Rückmeldungen, findet der Pädagogische Leiter des Studienkreises, Max Kade: „Wenn sie gut gemacht sind, können sie besser vermitteln, wo sich die Schülerinnen und Schülern auf ihrem Lernweg befinden – und dass sie es schaffen können, auf diesem Weg noch weiter zu gehen, auch wenn sie vielleicht etwas länger dafür brauchen.“ Tatsächlich würden die Hälfte der Grundschuleltern und zwei Fünftel der Eltern mit Kindern in weiterführenden Schulen solche individuellen Rückmeldungen klassischen Zeugnisnoten vorziehen.

Was tun, wenn das Halbjahreszeugnis schlecht ausfällt?

In der Realität haben Eltern wie Kinder allerdings meist keine Wahl: Wenn ein Zeugnis hereinkommt, stehen zumindest in den höheren Klassen fast immer Noten darin. Was also tun, wenn das Halbjahreszeugnis schlecht ausfällt? Dazu haben wir Michael Storch befragt. Er hat war Englisch- und Sozialkundelehrer in München und hat als Beratungslehrer und stellvertretender Leiter der staatlichen Schulberatung jahrzehntelang Kindern und Eltern in Krisensituationen geholfen.

Herr Storch, wie wichtig ist überhaupt so ein Zwischenzeugnis?

Es ist eine Orientierungshilfe, ein Zustandsbericht zum Halbjahr.

Von drei gefährdeten Schülern erreichen zwei das Klassenziel

Der uns Eltern manchmal verzweifeln lässt. Kann es überhaupt ein Ansporn für Kinder sein, wenn das Zwischenzeugnis schlecht ausfällt?

Durchaus. Einige fangen erst an zu lernen, wenn sie merken, dass es knapp wird. Von drei versetzungsgefährdeten Schülern erreichen erfahrungsgemäß zwei am Ende das Klassenziel. Aber es klappt natürlich nicht immer.

Genau dieses Gefühl macht Eltern rasend: Unser Kind könnte, wenn es wollte – aber es tut nichts. Oder jedenfalls zu wenig. Was raten Sie als Schulberater?

Reden. Am besten zuerst mit den betreffenden Fachlehrkräften. Wenn man weiß, wie die schlechten Noten zu Stande kommen, kann man
Strategien festlegen – und zwar gemeinsam mit dem Kind. Das ist wichtig.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Manche Siebt- oder Achtklässler sind mit dem Zeitmanagement noch überfordert. Es fällt ihnen schwer, zwischen Schule und Fußballtraining die Hausaufgaben unterzubringen.

Heißt das, Eltern sollen klare Vorgaben machen?

Nicht Vorgaben, sondern Vorschläge. Die Ansage: „Du setzt dich sofort hin und lernst Mathe!“, provoziert Widerstand. Und ständige Ermahnungen wie „Hast du schon die Hausaufgaben gemacht?“ nerven. Der Nachwuchs schaltet auf Durchzug. Zeigen Sie ganz konkret: Vor dem Sport und nach dem Abendessen hast du Zeit zum Lernen. Das Kind darf entscheiden, muss sich aber an die Vereinbarung halten.

Nach einer Fünf ist eine Vier minus schon eine Verbesserung.

Und das funktioniert?

Nicht immer. Seien Sie tolerant, und schrauben Sie die Erwartungen nicht zu hoch. Das Kind soll merken: Es ist machbar, ich kann es schaffen. Das gilt übrigens auch für den Lernstoff. Täglich zehn Minuten Vokabeln wiederholen ist sinnvoller als drei Stunden Pauken am Wochenende. Gerade für Kinder, die sich schwer motivieren können, sind realistische Ziele wichtig. Machen Sie Ihrem Kind immer wieder Mut, und loben Sie auch kleine Schritte. Nach einer Fünf ist eine Vier minus schon eine Verbesserung.

Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich beim Lernen nicht ständig danebensetze?

Nein! Flächendeckende Elternhilfe oder Dauernachhilfe mögen gut gemeint sein. Aber die Eigenverantwortung bleibt auf der Strecke. Gerade die „Überversorgten“ entwickeln Prüfungsangst, weil zu Hause immer einer da ist, wenn’s hakt – nur bei der Klassenarbeit nicht. Diese Kinder kommen bei den einfachsten Aufgaben ins Schleudern.

Was raten Sie?

Als „Lern-Coach“ zur Verfügung stehen, wenn man gefragt wird, und mit befristeter Nachhilfe Lücken schließen. Das langfristige Ziel sollte sein, dass Kinder selbstständig lernen.

Ab der Zehnten wendet sich meist das Blatt

Und wie macht man das einem 14- oder 15-Jährigen klar, für den Schule ein rotes Tuch ist?

Keine Frage, in der Mittelstufe stoßen Eltern und Lehrer oft an die Geduldsgrenze. Entwicklungspsychologisch ist es ungünstig, dass in der achten Klasse am Gymnasium Kernfächer wie Physik oder die dritte Fremdsprache dazukommen. Ab der Zehnten wendet sich meist das Blatt.

Und bis dahin? Soll man etwa tatenlos zusehen, wie es immer weiter den Bach runtergeht?

Auf keinen Fall. Auch wenn einem manchmal auf der Zunge liegt: „Mach doch deinen Mist alleine!“ Für die Jugendlichen bedeutet dieser Satz: Ist doch egal, was ich mache, es interessiert sowieso keinen. In dieser schwierigen Phase braucht Ihr Kind die Botschaft: Du liegst mir am Herzen, es interessiert mich, was du tust. Beziehen Sie Stellung, lassen Sie sich nicht zurückweisen.

Was halten Sie von Belohnungsanreizen?

Punktuell ja – etwa ein Kinobesuch für eine mühsam errungene Drei in Mathe. Aber nicht drei Euro für jede Zwei. Das ist inflationär.

Kann freiwilliges Wiederholen sinnvoll sein?

Den meisten Kindern gelingt es nicht, die Chance wirklich zu nutzen und Lücken zu schließen. In acht von zehn Fällen bringt es nichts.

Was sagen Sie, wenn ein Schüler durchgefallen ist und die Versetzung wieder gefährdet ist?

Ich frage, was er oder sie erreichen möchte. Manche sagen: „Ich will unbedingt auf dem Gymnasium oder der Realschule bleiben, etwas anderes kommt gar nicht in Frage.“ Meine Antwort: „Das wirst du nicht schaffen, wenn du nichts an deinem Lernverhalten änderst.“ Die meisten fangen dann schon an nachzudenken.

Wenn Eltern das sagen, wirkt es nicht.

Glauben Sie, meine eigenen Kinder hätten mir das abgenommen? Wenden Sie sich an den Beratungslehrer, die Schulpsychologin oder die Schulberatungsstelle. Vielleicht stellt sich in einem gemeinsamen Gespräch heraus, dass das Kind überfordert ist und ein Schulwechsel die „kindgerechtere“ Lösung wäre. Es gibt 25 Wege zum mittleren Schulabschluss und über 30 zur Hoch- und Fachhochschulreife. Wenn Eltern und Schüler das erkennen, sind sie oftmals schon enorm erleichtert. Das ist mein Ziel: das Licht am Ende des Tunnels aufzuzeigen. 

Halbjahreszeugnis schlecht? – „Realistische Ziele sind wichtig!“ – Foto: Racool_studio auf Freepik – Das Interview mit Michael Storch wurde 2011 geführt und der Artikel seitdem erweitert und aktualisiert. Das Datum oben bezieht sich auf die jüngste Aktualisierung.



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