Die Tatsache war bekannt, aber das Ausmaß ist doch erstaunlich: Die Bildungschancen von Kindern aus guten Verhältnissen sind viel besser als jene, deren Eltern weder Abitur haben noch besonders wohlhabend sind. Das haben Forschende des ifo Instituts an der Ludwig-Maximilians-Universität München errechnet (hier ist der Link zur Studie). Sie bestätigen damit eine Erkenntnis, die aus den aktuellen Ausgaben der Pisa-Studie, des IQB-Bildungstrends und der IGLU-Studie bekannt ist – und seit Jahrzehnten weitgehend unverändert bleibt.
Die Münchner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun auch ein Bundesländer-Ranking mitgeliefert: Wer fördert sein Bildungsbürgertum am effektivsten? Demnach ist die Bevorteilung in Bayern und Sachsen am größten und in Berlin und Brandenburg am kleinsten. Wobei „klein“ eigentlich der falsche Begriff ist: Auch hier haben der Studie zufolge Kinder aus „günstigen Verhältnissen“ fast doppelt so gute Aussichten auf einen Gymnasialplatz wie der Rest.
Wohlhabende und gebildete Familien werden bevorteilt
Was sind diese „günstige Voraussetzungen“ genau? Die Forschenden schreiben in der Studie von einem „hohen sozioökonomischen Hintergrund“. Sie definieren ihn so, dass ein Kind …
- mindestens ein Elternteil mit Abitur hat und/oder
- die Familie zum obersten Viertel der Haushaltseinkommen zählt, das sind mehr als 5000 Euro monatlich.
Im deutschen Durchschnitt trifft das auf 45 Prozent der Familien zu. Allerdings ist auch der Wohlstand an Bildung und Einkommen in Deutschland ungleich verteilt: In Hamburg gehören gut 58 Prozent der Familien zu den Bevorteilten, in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind es nur 32 Prozent. Überall haben Kinder aus diesen Familien allerdings bessere Bildungschancen.
Nun findet Bildung nicht nur am Gymnasium statt. Bayerns Wirtschaftsminister und Stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger wies nach Veröffentlichung der Studie in einem Social-Media-Post („SKANDALLL!“) auf das Schulsystem in seinem Bundesland hin, das alternativ zum Gymnasium den Besuch einer Realschule oder einer Mittelschule (ehemals Hauptschule) vorsieht. An diesen beiden Schularten erwerben Schülerinnen und Schüler kein Abitur, sondern werden auf eine Ausbildung im international viel beachteten Dualen System vorbereitet.
Andere Bundesländer bieten alternativ zum Gymnasium unter anderem Gemeinschaftsschulen an. Dort können Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Abschlüsse erwerben, in vielen Fällen sogar das Abitur. Zudem haben in ganz Deutschland Menschen mit Mittlerer Reife die Möglichkeit, anschließend noch das Fachabitur oder die Allgemeine Hochschulreife zu machen. Allerdings werden diese Wege den Forschenden zufolge wiederum überwiegend von Kindern aus bevorteilten Haushalten genutzt. Als Indikator für die Chancengleichheit hat das ifo Institut daher nur die Kinder im Haushalt herangezogen, die ein Gymnasium besuchen, bereits ein Fach- oder allgemeines Abitur haben oder aktuell studieren.
Gelbildete haben gebildete Kinder, reiche haben reiche
Es ist ein doppelter Kreislauf: Wenn Eltern selbst Abitur haben, erwerben ihre Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit auch diesen Abschluss. Und sind die Eltern wohlhabend, erhöht das ebenfalls die Chance, dass die Kinder Abitur machen – und dadurch wiederum mehr verdienen: Durchschnittlich haben Menschen mit Abitur in Deutschland 42 Prozent mehr Netto-Einkommen als Menschen ohne Abitur, wie der Mannheimer Wissenschaftler Majed Dodin kürzlich mit Kollegen zusammen in einer anderen Studie herausgearbeitet hat.
So kommt es, dass der Anteil von Kindern mit Abitur linear mit dem Einkommen ihrer Eltern steigt: 25 Prozent der Kinder am unteren Ende der Einkommensverteilung erwerben die Hochschulreife, am oberen Ende sind es 80 Prozent. Dieser Effekt ist Majed Dodin zufolge für die zwischen 1980 und 1996 Geborenen gleich geblieben, obwohl in diesem Zeitraum insgesamt viel mehr Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs das Abitur gemacht haben. Auch die Studie des ifo Instituts findet keinen Unterschied in der Bevorzugung gebildeter und wohlhabender Familien zwischen Bundesländern mit einer hohen und solchen mit einer niedrigen Abiturquote.
Diese Faktoren führen dazu, die Vorteile für bevorzugte Familien zu erhalten
Unter den aktuellen Voraussetzungen bleiben die Bildungsvorteile für bevorzugte Familien also erhalten. Was führt jedoch dazu, dass diese Vorteile in einigen Bundesländern kleiner sind als in anderen? Auch darauf gibt die ifo-Studie Hinweise.
Als einen Faktor führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das längere gemeinsame Lernen an. In Berlin und Brandenburg, den beiden Bundesländern mit den kleinsten Vorteilen für gebildete und wohlhabende Familien, bleiben Kinder bis zur sechsten Klasse in der Grundschule. Erst zur siebten Klasse wechseln sie entweder auf ein Gymnasium oder eine andere Schulform. Diese spätere Aufteilung verringert offenbar die Unterschiede in den Bildungschancen – die vierjährige Grundschule hingegen erhält die Vorteile der Bevorzugten.
Das gleiche gilt für gegliederte Schulsysteme wie in Bayern, wo auf zwei der drei weiterführenden Schularten kein Abitur angeboten wird. In Hamburg oder dem Saarland hingegen können Kinder genauso in Gemeinschaftsschulen das Abitur erwerben – was deren Bildungschancen laut Studie etwas angleicht. Auch international seien die Vorteile für gebildete und wohlhabende Familien in den Ländern geringer, in denen es weniger weiterführende Schularten gebe.
Darüber hinaus könnten laut den Autorinnen und Autoren unter anderem frühkindliche Bildungsangebote, kostenlose Nachhilfe, Mentoring-Programme und Unterstützung bei der Erziehung die Bildungschancen für Kinder aus benachteiligten Familien verbessern und somit den Abstand zu den Bevorzugten verringern. Das kann zudem dann passieren, wenn Schulleitungen und Lehrkräfte an Schulen mit vielen benachteiligten Kindern speziell ausgebildet und gefördert werden.
„Chancengleichheit: Bayern bevorzugt am besten“ – Foto: master1305 auf Freepik