Es war Frühsommer, ein sonniger Tag, und unsere Lehrkräfte hatten uns für den Abschluss-Wandertag der sechsten Klasse das allerbeste Ziel genehmigt: einen Freizeitpark! Schon Wochen vorher hatten wir Jungs uns gefreut – auf Kirmes ohne Geldzählen, auf die coolsten Fahrgeschäfte, auf Disko-Raupe, Wasserrutsche und Achterbahn in Dauerschleife. Je wilder, umso besser. Aber wegen Steffi erinnere ich mich heute vor allem an das Kettenkarussell. Dazu später mehr.
Freizeitparks sind für Kinder Sehnsuchtsorte, damals genauso wie heute. Auf das Volksfest im Ort muss man ein Jahr lang warten, und dann reicht das Kirmesgeld nur ein paar Fahrten lang. Danach gibt es vielleicht noch Zuckerwatte, aber mehr auch nicht, denn „zu Abend gegessen wird daheim“, sagt Mama. Viel besser im Park: Da muss man die Kosten pro Karussell endlich mal nicht kalkulieren, sondern kann einfach „noch maaaal!“ rufen und wieder zum Einlass sprinten. Danach Pommes oder Pizza, dann ins nächste Fahrgeschäft, vielleicht noch eine Show dazwischen – wundervoll.
Freizeitparks sind heute wichtige Kurzurlaubziele
Zumal inzwischen die meisten Funparks weit mehr sind als eine Flatrate-Kirmes. Mit ihren Hotels, Ferienparks und Campingplätzen sind sie ein wichtiges Kurzurlaubsziel geworden, an dem Familien ganze Wochenenden – gern auch verlängerte – verbringen. Die Parks geben sich dabei Mühe, schon die Übernachtung zum Erlebnis zu machen: Im Legoland Deutschland zum Beispiel können Familien in einer Lego-Burg wohnen, im Heide Park Soltau schläft man auf Wunsch im historischen VW Bulli T2, und das niederländische Efteling vermietet idyllische Holzhäuser direkt am See.
Plötzlich waren die Mädchen keine Außerirdischen mehr
Übernachten im Freizeitpark! Das wäre natürlich der Hammer gewesen damals. Aber eine Klassenfahrt mit Übernachtung hatten wir nur in der Fünften Jahrgangsstufe, zum Kennenlernen, und da hielten wir Jungs und die Mädchen uns noch streng getrennt. Jetzt blieb uns zum Abschluss nur dieser eine Tag, denn nach den Sommerferien wurden die Klassen neu zusammengesetzt. Vielleicht war es diese melancholische Abschiedsstimmung, in der die Mädchen plötzlich nicht mehr wie Außerirdische auf meine Kumpels und mich wirkten. Jedenfalls liefen wir bald als gemischte Gruppe durch den Park, je ein halbes Dutzend Schülerinnen und Schüler.
Funparks überbieten sich heute mit Superlativen
Das „Traumland“ der 1980er-Jahre, das wir also durchstreiften, hatte wenig Ähnlichkeit mit dem, was jetzt an seiner Stelle steht. Das längst erheblich erweiterte Gelände in Kirchhellen, einem Stadtteil von Bottrop, beherbergt heute den Movie Park, in dem etliche Achterbahnen, ein Free-Fall-Tower, diverse Über-Kopf-Schleudern und andere Attraktionen die Leute zum Kreischen bringen. Viele Funparks überbieten sich mit Superlativen: Im Phantasialand Brühl steht der schnellste Multi-Launch-Coaster der Welt, im Hansa-Park Sierksdorf der höchste Freifallturm Europas, und im Europa-Park Rust beschleunigt einen der „Silver Star“ mit bis zu 4 g auf maximal 130 km/h.
Würden wir uns heute aus den Augen verlieren?
Vielleicht wäre in so einem Park alles anders gelaufen. Wir Jungs hätten uns bei einer Achterbahn nach der anderen angestellt, den Mädchen wäre das alles zu wild gewesen, und wir hätten uns aus dem Blick verloren. Doch damals ging es in Kirchhellen noch ruhig zu. Man merkte dem „Traumland“ an, dass es – wie übrigens viele Freizeitparks in Deutschland– einst ein Märchenwald gewesen war, in den man nach und nach Schaustellergeschäfte eingebaut hatte. Da bekam die Disko-Raupe einfach ein lustiges Gesicht, und dann passte das schon zu den Märchen.
Das sieht heute anders aus. Der erwähnte niederländische Park Efteling, einer der größten Europas, ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Freizeitparks zu sorgsam komponierten Traumwelten entwickelt haben. Efteling ist als Märchenwelt konzipiert, hier schweben Kinder in „Droomvlucht“ durch eine bezaubernde Welt der Elfen und Trolle, stehen staunend vor dem sprechenden Märchenbaum oder sehen Rittern und Monstern bei der Parkshow „Raveleijn“ beim Kämpfen zu. Waghalsigere gehen an Bord des geheimnisvollen Geisterschiffs „De Vliegende Hollander“ oder stürzen senkrecht in die Tiefe des Minenschachts im „Baron 1898“.
Starke Marken ziehen – auch im Freizeitpark
Andere Parks nutzen Marken und Produkte, die den Menschen schon von anderer Stelle bekannt sind. Im Movie Park sind das Kinofilme, im Disneyland Paris die Figuren des Namensgebers. Auch im Legoland Deutschland im schwäbischen Günzburg liegt das Thema schon im Namen: Vertraute Marken wie „Lego City“ oder „Ninjago“ stehen hier für Attraktionen, die Kinder sausen, wirbeln, lachen lassen. Und im Eingangsbereich faszinieren die maßstabsgetreuen Modelle weltberühmter Bauwerke aus den kleinen, bunten Steinen immer noch jedes Kind.
Ähnlich im Playmobil Funpark in Zirndorf bei Nürnberg: Hier fühlen sich die kleinen Fans, als wären sie selbst zur Playmobil-Figur geschrumpft und würden auf Traktoren fahren, über den See paddeln, eine Burg verteidigen oder im Sand nach Schätzen suchen. Die Marke gibt hier auch die Zielgruppe vor: Wie das Spielzeug richtet sich auch der Park an jüngere Besucher. Entsprechend geht es in Zirndorf weniger um rasanten Fahrspaß als um Klettern, Toben und Träumen.
Und auch das Ravensburger Spieleland hat Familien mit jüngeren Gästen im Blick: Der Freizeitpark am Bodensee will seine Gäste zum Mitmachen und spielerischen Dazulernen anregen. So können sie in der „SchokoWerkstatt“ ihre eigene Lieblingsschokolade herstellen, in der „MobileKids-Verkehrsschule“ Auto fahren oder in der Zirkusschule Jonglieren lernen. Aber Fahrspaß gibt es natürlich auch, etwa in der „Kakerlakak-Riesen-Schaukel“, auf dem Tierkarussell mit Schwein, Gans & Co. oder beim Alpin-Rafting im Rundboot. Mehr als 70 Attraktionen verspricht das Spieleland.
Ein Tag reicht heute nicht für alle Attraktionen
Wenn man sich so einen modernen Funpark-Plan ansieht, kann einem auch ohne Karussell schwindelig werden. Kein Wunder, dass man mehr als einen Tag braucht, um sich alles einmal anzusehen. Für uns damals war auch die etwas zusammengeschusterte Märchen-Rasselachterbahn-Kettenkarussell-Welt großartig, jedenfalls um Längen besser als die Kirmes in unserem Dorf. Anders als geplant verbrachte ich auch weniger Zeit in der Achterbahn und dafür erstaunlich viel an den altmodischen Märchenständen – und eben in dem Kettenkarussell.
Wir Jungs entdeckten den Spaß ohne Action
Nach und nach war unsere Gruppe kleiner geworden. Die einen wollten dann doch mehr Action, die anderen blieben beim Pommesessen länger sitzen. Schließlich waren wir nur noch zu viert: Ich lief neben Steffi, mein Freund neben ihrer Freundin. Die Mädels bestimmten den Kurs. Wir Jungs entdeckten, dass man auch in den harmlosen Fahrgeschäften Spaß haben konnte.
Im Kettenkarussell saßen wir, bis der Park schloss. Dort war es lustig, nach den anderen Sitzen zu greifen, sich gegenseitig zu sich zu ziehen und wegzustoßen. Irgendwann fanden Steffi und ich es praktisch, uns gleich an der Hand zu halten. Und das haben wir dann öfter gemacht. Nicht nur im Freizeitpark …
- „Ein Freizeitpark zum Verlieben“ – Foto: Scott Webb auf Unsplash