Kleinere Klassen bingen nichts – Magazin SCHULE
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Kleinere Klassen bringen schwächeren Schülern nichts

Ob Eltern, Kinder oder Lehrkräfte, alle hätten gern kleinere Klassen. Doch das bringt wenig, sagen Wissenschaftler – und schlagen etwas anderes vor


Wenn jemand einen Wunschzettel schreiben darf für ein besseres Schulsystem, steht eine Sache ganz sicher darauf: kleinere Klassen! Je weniger Schülerinnen und Schüler in einer Klasse sind, umso besser kann die Lehrkraft auf die einzelnen eingehen, so der Gedanke. Gerade die Lernschwächeren sollten davon profitieren, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommen. Doch leider sieht die Realität wohl anders aus, wie eine aktuelle Studie (wieder einmal) zeigt: Kleinere Klassen bringen nichts. Im Gegenteil, gerade die Schwächeren entfalten dort möglicherweise seltener ihre Möglichkeiten.

Weniger als 15 oder mehr als 50 Mitschüler? Egal

Zu dem Resultat sind Forschende gekommen, nachdem sie Daten der PISA-Studie zum naturwissenschaftlichen Unterricht von über 2700 sozial benachteiligten Jugendlichen in China und Japan analysiert hatten. Einige der 15- bis 16-Jährigen waren zum Zeitpunkt der Erhebung in Klassen mit weniger als 15 Schülerinnen und Schülern, andere hatten über 50 Mitschüler. Auf die Noten der Jugendlichen hatte das jedoch kaum Auswirkungen; die japanischen Jugendlichen schnitten sogar etwas besser ab, wenn sie in größeren Klassen saßen.

Und noch etwas konnten die Forschenden aus den Daten lesen, wie sie im International Journal of Science Education schreiben: Auch die Anzahl der Lehrkräfte pro Klasse hatte keinen Einfluss auf die Noten der benachteiligten Schülerinnen und Schüler. Mehr Lehrkräfte gleich bessere Lernleistungen? Nicht einmal diese Formel stimmt einfach so.

Kleinere Klassen bringen nichts – aber was dann?

Was hilft den Lernenden denn dann? Auf diese Frage geben die Wissenschaftler um Tao Jiang von der Universität Taizhou eine klare Antwort: Es ist die Qualität der Lehrkräfte. Deren Lehrmethoden spielten eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Resilienz der Schüler, also deren Fähigkeit, trotz sozialer Benachteiligung gute Schulergebnisse zu erzielen. Der Studie zufolge profitieren die Jugendlichen von Klassendisziplin, lehrkraftgeleitetem Unterricht, forschendem Lernen und der individuellen Unterstützung durch die Lehrkraft. In Japan war dabei das forschende Lernen der wichtigste Faktor, in China der lehrkraftgeleitete Unterricht.

Wichtig ist die Qualität der Lehrer, nicht die QuantitätHauptautor Tao Jiang

„Unsere Studie stützt die Ansicht, dass die Qualität der Lehrer und nicht die Quantität die wichtigste Garantie für die Widerstandsfähigkeit der Schüler ist“, sagt Hauptautor Tao Jiang. „Qualitativ hochwertige Lehrer, die effektive Lehrmethoden anwenden und die Disziplin im Klassenzimmer kontrollieren, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Schüler resilient werden. Anstatt finanzielle Mittel für die Verringerung der Klassengrößen bereitzustellen, wäre es effektiver, in die Qualität der naturwissenschaftlichen Lehrkräfte zu investieren.“

Die Daten stammen aus Japan und China. Und bei uns? Das gleiche.

Nun kann man einwenden, dass die Situation in japanischen und chinesischen Schulen möglicherweise eine andere als in Deutschland ist. Die Gesellschaften und ihre Lerngewohnheiten sind unterschiedlich, Disziplin etwa spielt dort eine größere Rolle als hierzulande. Doch auch für Europäische Schüler haben vergangene Studien ähnliche Ergebnisse gebracht.

Auf die Lehrer kommt es anBildungsforscher John Hattie

Großes Aufsehen erregte vor allem der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie, als er 2013 eine Metastudie aus über 50 000 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 250 Millionen beteilig­ten Schülerinnen und Schülern veröffentlichte. Auch deren Leistungen hatten sich im Schnitt durch kleinere Klassen nur wenig verbessert. Auch die profitierten statt dessen von Disziplin im Klassenzimmer und von lehrkraftgeführtem Unterricht. Und Hattie schlussfolgerte schlicht: „Auf die Lehrer kommt es an.“

Man muss mit kleineren Klassen auch etwas anfangen können

Tatsächlich liegt es nahe, dass kleinere Klassen nichts bringen, wenn die Lehrkräfte nichts damit anzufangen wissen. Hattie beobachtete jedenfalls, dass nur wenige Lehrerinnen und Lehrer kleine Klassen für mehr Interaktion mit den Lernenden, für mehr Gruppenarbeiten oder mehr Feedback nutzen. Schlechter Unterricht bleibt auch vor 15 Kindern schlecht.

Schlechter Unterricht bleibt auch vor 15 Kindern schlecht

Das ist kein gutes Argument für eine ziemlich teure Maßnahme. Um die durchschnittliche Klassengröße in Deutschland von aktuell 24 auf 20 Schülerinnen und Schüler zu senken (in diesem Bereich haben z. B. Forschende des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Grundschulen größere, positive Effekte gesehen), müssten die Bundesländer 20 Prozent mehr Lehrkräfte einstellen. Das sind ca. 200.000 Pägagoginnen und Pädagogen – die gut 17 Milliarden Euro pro Jahr kosten würden.

Und selbst wenn das Geld dafür aufgebracht würde: Woher sollen die 200.000 Extra-Lehrkräfte kommen? Noch dazu „qualitativ hochwertig“? An den meisten Schulen herrscht derzeit Lehrkräftemangel, die Eltern wären schon froh, wenn der reguläre Unterricht stattfinden könnte. Dann lieber ein, zwei Kinder mehr in der Klasse und dafür eine ausgebildete Lehrkraft vorne.

Vielleicht ist der Stichpunkt „kleinere Klassen“ daher ohnehin schon ein bisschen nach unten gerutscht auf dem Wunschzettel, zumindest bei den Eltern und ihren Kindern. Aus wissenschaftlicher Sicht scheint das vernünftig.

„Kleinere Klassen bringen nichts“ – Foto: kimmi jun/Pexels



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