Gastbeitrag

Wie KI die Anforderungen an unser Bildungssystem verändert

Herkömmliche Lehrmethoden stoßen an ihre Grenzen, je weiter die Digitalisierung voranschreitet: Davon ist Stephanie zu Guttenberg überzeugt. In ihrem Gastbeitrag zeigt die Expertin, Speakerin und Autorin für digitale Bildung und Medienaufklärung auf, was sich an unseren Schulen ändern muss


Technologische Innovationen verändern unsere Welt derzeit so rasant wie selten zuvor. Künstliche Intelligenz (KI) steht im Zentrum lebhafter Debatten, eröffnet neue Horizonte und stellt in vielen Bereichen unseres Lebens grundlegende Fragen. Der Bildungssektor ist da nicht ausgenommen: Angesichts des schnellen technologischen Wandels stellt sich die Frage, ob traditionelle Bildungskonzepte noch zeitgemäß sind – oder ob wir sie womöglich grundlegend hinterfragen müssen.

Klar ist: Herkömmliche Lehrmethoden stoßen an ihre Grenzen, je weiter die Digitalisierung voranschreitet. Doch fundamentale Reformen unseres Bildungssystems lassen nach wie vor auf sich warten. Schließlich haben sich dessen Strukturen und Konzepte über Jahrhunderte bewährt. Vielen Akteuren im Bildungssystem widerstrebt daher der Gedanke, diese vermeintliche Komfortzone zu verlassen.

Doch die Zukunft unserer Kinder in einer Welt, die von disruptiven Technologien wie KI geprägt ist, hängt davon ab, wie gut wir sie darauf vorbereiten. Was wir also brauchen: neue Bildungsparadigmen und -strategien, die aktuelle technologische Entwicklungen einbeziehen – um nachfolgende Generationen auf Erfolg in der sich rasch entwickelnden KI-Ära vorzubereiten.

Sind Bildung und Technologie im Zeitalter der KI noch im Einklang?

KI und Bildungssystem - Stephanie zu Guttenberg - Magazin SCHULE
Stephanie zu Guttenberg ist Expertin, Speakerin und Autorin für digitale Bildung. In ihrem Buch „Wir können das besser!: Erziehung, Bildung und Leben in der digitalen Realität“ gibt sie Eltern Tipps, wie sie ihr Kind sinnvoll in die digitale Welt begleiten

Nicht zuletzt die Einführung von ChatGPT hat grundlegende Fragen zu den Auswirkungen von Technologie auf unsere Lern- und Bildungskonzepte aufgeworfen. Dabei wird immer deutlicher, dass wir die Potenziale von KI erkennen und verstehen müssen, um ein Bildungssystem zu gestalten, das zukunftsfähig ist und auch die Weichen für eine neue Ära des Lernens stellt.

Deutsche Schulen wissen mit KI aktuell noch wenig anzufangen – ganz im Gegensatz zu Ländern wie den USA oder Japan, wo KI-Systeme zum Beispiel genutzt werden, um Stundenpläne individuell und leistungsabhängig zusammenzustellen oder die Aufmerksamkeitsspanne von Schülerinnen und Schülern zu erhöhen. So können beispielsweise KI-Algorithmen den Fortschritt, die Schwächen und Stärken eines Schülers im Laufe der Zeit bewerten und so den Bildungsinhalt und die Lehrstrategien an die individuellen Bedürfnisse jedes Schülers anpassen. Dies hilft, ein maßgeschneidertes Lernerlebnis zu schaffen, welches das Lernen beschleunigen und Frustrationen reduzieren kann.

Die Kernprobleme der traditionellen Bildung:

  • Auswendiglernen vs. kritisches Denken: Traditionell wird in unserem Bildungssystems viel auswendig gelernt und dann in standardisierten Prüfungen abgefragt. Noch heute eignen sich Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Fächern teils große Mengen an Detailwissen an, ohne dabei Zusammenhänge zu verstehen. Aber wozu? KI kann riesige Mengen an Informationen speichern und verarbeiten – und übertrifft dabei die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns bei Weitem. Was in Zukunft viel wichtiger sein wird: Kritisches Denken, praxisnahe Problemlösungskompetenzen und Kreativität – also Fähigkeiten, die in konventionellen Klassenzimmern oft zu kurz kommen.
  • Die gleiche Lernmethode für alle: Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler individuelle Stärken und Schwächen haben und das Lerntempo sich mitunter stark unterscheidet. Unser traditionelles Bildungssystem fördert jedoch nur einen ganz bestimmten Lerntyp. Viele Schülerinnen und Schüler bleiben in diesem System mit ihren Talenten auf der Strecke. Digital- und KI-Tools haben das Potenzial, personalisierte Lernerfahrungen zu bieten und Schülerinnen und Schülern damit eine individuelle Förderung zu ermöglichen.
  • Veraltete Lehrpläne: An vielen öffentlichen Schulen haben sich Lehrpläne und -methoden über Jahrzehnte nicht grundlegend verändert. Zwar wurde immer wieder versucht, auf den technologischen Fortschritt zu reagieren, doch finden sich in unseren Lehrplänen immer noch erschreckend wenig Inhalte zu Digitalisierungsthemen – die jedoch in unserer technologiegetriebenen Welt zunehmend überlebenswichtig sind. Auch mit Blick auf den starken Fachkräftemangel im IT-Bereich.

Bildung neu gedacht: Was wir stattdessen tun sollten

  • Anpassungsfähigkeit und lebenslanges Lernen fördern: Rasante technologische Entwicklungen machen es für uns alle erforderlich, anpassungsfähig zu sein – und zu bleiben. Entsprechend muss unser Bildungssystem sich darauf konzentrieren, diese Anpassungsfähigkeit zu fördern und lebenslanges Lernen als Ziel zu vermitteln – statt nur einen starren, angestaubten Wissenskanon.
  • Emotionale Intelligenz und menschliche Fähigkeiten: Im gleichen Maße, in dem KI uns viele technische und analytische Aufgaben abnehmen kann, wird die Förderung menschlicher Fähigkeiten wie emotionale Intelligenz und Empathie immer wichtiger. Denn das sind Fähigkeiten, die eine KI nicht nachbilden kann – und die in vielen Berufsfeldern zu den Kernkompetenzen zählen.
  • Digitale Kompetenz und KI-Verständnis: Ein grundlegendes Verständnis für digitale Tools, KI und deren Auswirkungen ist heute unerlässlich. Dabei geht es nicht nur um das Benutzen der Technologie, sondern auch um ihre allgemeinen Auswirkungen auf unser Leben und damit verbundene ethische Überlegungen.
  • Projekt- und erfahrungsbasiertes Lernen: Projekt- und erfahrungsbasierte Lernkonzepte sind dem lehrbuchzentrierten Lernen überlegen, da sie realitätsnahe Problemlösungsfähigkeiten sowie Innovation und Zusammenarbeit fördern – und damit eine Reihe zentraler Kompetenzen, die in der modernen Arbeitswelt immer wichtiger werden.

Herausforderungen für den Wandel

Gerade im öffentlichen Sektor fehlen oft die Mittel für neue Technologien, Lehrerausbildung und Lehrplanaktualisierungen. Es ist eine Sache, von moderner Technik im Klassenzimmer zu träumen, aber eine andere, sie zu finanzieren. Zudem trifft der Ruf nach Veränderung in unserem Bildungssystem auf starke institutionelle und kulturelle Widerstände. Viele Lehrkräfte, Verwaltungsangestellte und politische Entscheidungsträger halten es für falsch, vermeintlich bewährte Methoden und Ansätze zugunsten neuer Konzepte aufzugeben.

Bildungsreformen erfordern das Überwinden komplexer politischer und bürokratischer Hürden, die den Einführungsprozess für neue Lehrmethoden und Lehrpläne erheblich verlangsamen. Um diese Hindernisse zu überwinden wäre es notwendig, dass Bildungspolitik den Stellenwert in der öffentlichen Diskussion bekommt, den sie eigentlich haben müsste.

All diese Faktoren gelten für jede Art von Innovation in der Bildung – und wirken sich bei einer relativ neuen Technologie wie der aktuellen KI-Generation besonders stark aus.

Der Ruf nach Veränderung: Eine Chance für die Zukunft der neuen Generationen

In der Ära der Künstlichen Intelligenz öffnen sich neue Wege für unser Bildungssystem, die Kreativität und kritisches Denken in den Vordergrund stellen. Trotz aller Unwägbarkeiten und Widerstände sollten Eltern und Lehrer sich bemühen, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, die unsere Kinder mit den nötigen Fähigkeiten für Erfolg ausstattet. Indem wir uns dieser Herausforderung mit Offenheit und Optimismus stellen, schaffen wir eine Lernumgebung, die bereit ist für das Morgen. Ergreifen wir gemeinsam die Chance, unsere Kinder für eine Welt voller Möglichkeiten zu rüsten.

„Wie KI die Anforderungen an unser Bildungssystem verändert“ – Foto: zinkevych auf Freepik



Unsere Themen im Überblick

Kommentieren