Schulnoten sind wichtig, sich einzuschätzen - Magazin SCHULE
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„Schulnoten helfen, sich einzuschätzen“

Schüler und Eltern haben ein Recht darauf zu erfahren, wo sie stehen, meint die Gymnasiallehrerin Martina Hagemann. Deshalb seien Schulnoten wichtig – und zwar schon in der Grundschule: damit in der fünften Klasse nicht das böse Erwachen kommt


Frau Hagemann, kriegen wir heute die ­Mathearbeit wieder? Ist sie gut ausgefallen?“ Bereits auf dem Gang laufen mir aufgeregte Sechstklässler entgegen, einige mit sorgen-, andere mit erwartungsvollen Blicken. Sie sehen meine schwere Tasche, ich nicke, und schon rasen die kleinen Botschafter in die Klasse zurück: „Frau Hagemann hat die Mathearbeit dabei!“ Neben 25 Heften trage ich mit mir das Wissen herum, dass heute Nachmittag einige Kinder ein Eis mit drei Kugeln essen dürfen, andere hingegen erwartet zu Hause ein enttäuschter Blick oder im schlimmsten Fall ein Haufen Ärger. Und das alles nur wegen einer Zahl zwischen eins und sechs. Muss das wirklich sein? Sind Schulnoten wirklich so wichtig? Zumal ich zugeben muss: Ich korrigiere gern, denn es gibt mir ein Feedback, was meine Schülerinnen und Schüler wirklich verstanden haben. Aber: Ich hasse das Benoten!

Eigentlich hasse ich das Benoten!

Bei einer Mathearbeit gelingt es noch relativ gut, die Notengebung transparent und fair zu gestalten. Es gibt Punkte für den Rechenweg und das Ergebnis, und wenn man die Punktzahl in Excel eingibt, berechnet das Programm über den prozentualen Notenschlüssel die End­note. Doch selbst da kommen schon die ersten ­Proteste der Kinder: „In der Parallelklasse waren die Aufgaben viel leichter, und es gab auch keine einzige Fünf!“, ­kritisieren meine Schüler den Ausfall ihrer Arbeit. Das mag sein, aber weder sie noch ich waren im Unterricht der 6 b – möglicherweise war die Klasse noch nicht so weit im Stoff? Und vielleicht ist die Klasse ins­gesamt einfach leistungsstärker?

Mit den Noten für die Klassenarbeiten ist es aber nicht getan, die Lernenden erhalten zu Recht auch Rückmeldungen über ihre mündliche Beteiligung. Auch diese Schulnoten sind wichtig: In sie gehen Mitarbeit, Qualität und Quantität der Beiträge, die Bearbeitung der Hausaufgaben, aber auch soziale Aspekte wie Einsatzbereitschaft mit ein. Bekommt ein sehr guter Rechner, der jedoch ständig Papierkugeln durch die Gegend schnipst, eine mündliche Eins? Nein, urteile ich, auch wenn sich der Schüler darüber ärgert.

Schulnoten sind wichtig, um die eigene Leistung einzuschätzen

So schwer es mir auch fällt, Noten zu geben: Kinder und Eltern haben ein Recht darauf, über den Leistungsstand – in der Regel in Form von Noten oder Kreuzen in einem Kompetenzraster – informiert zu werden. Wie wichtig Schulnoten sind, musste zum Beispiel meine Schwester erfahren: Ihr Sohn erhielt in der Grundschule keine Noten und erledigte seine Aufgaben fast alle in der Schule. So wusste meine Schwester jahrelang nicht, dass ihr Kind kaum Rechtschreibregeln beherrschte. Mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule kam das böse Erwachen. Im Nachhinein hätten Mutter und Sohn sich eine etwas deutlichere Rückmeldung als „Jannes macht Fortschritte im ­Schreiben“ sehr gewünscht. Noten helfen Kindern einzuschätzen, wo sie stehen und wo sie Schwächen haben. Nur so ­können Defizite in Angriff genommen werden. Wenn die Eltern am Ende der Grundschulzeit das Zeugnis ihres Kindes lesen, sollten sie anhand der Noten eine Orientierung ­erhalten, welche weiterführenden Schulen infrage kommen.

Die Kunst besteht darin, nicht nur Noten zu vergeben

Die Kunst beim Notengeben besteht darin, die Note zu begründen und gegebenenfalls Vorschläge zu machen, wie es besser laufen kann. Fast immer gibt es auch etwas, was man loben kann, selbst wenn die ­Gesamtnote nicht gut ist. Wenn mich jemand lobt, bin ich eher bereit, auch die Kritik anzunehmen und daran zu arbeiten. Warum sollte es Kindern anders gehen? Und manchmal helfen auch aufmunternde Worte – nicht nur der Lehrkräfte. Eine Fünf unter einer Mathearbeit löst gerade bei jüngeren Schülerinnen und Schülern oft Tränen aus. Steht aber noch „Schade, nächstes Mal läuft es sicher wieder besser!“ darunter, fühlt sich das Kind verstanden und ein wenig getröstet.

Einmal habe ich einem sehr guten Schüler in Mathe mündlich eine Zwei statt der sonst für ihn üblichen Eins gegeben mit der Begründung, dass er häufig andere Schüler ablenkt. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er sich einfach langweilte. Nun bearbeitet er immer dann, wenn er fertig ist, Zusatzaufgaben einer höheren Klassenstufe, ist wieder motiviert und lenkt niemanden mehr ab. Die Note und das Gespräch haben mir und dem Schüler geholfen, seine Bedürfnisse besser zu erkennen.


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Dies setzt allerdings eine Bereitschaft des Austauschs zwischen Lehrkraft, Eltern und Kind voraus. Dass das nicht immer klappt, weiß ich aus eigener Erfahrung: Als Fünftklässlerin habe ich mich, sportlich leider nie besonders talentiert, aber „stets bemüht“, wahnsinnig über die in meinen Augen ungerechte Drei im Zeugnis geärgert und ein halbes Jahr lang kein Wort mehr mit meiner Sportlehrerin geredet. Dummerweise hat diese das nicht einmal bemerkt, sodass sich weder etwas an meinem getrübten Verhältnis zur Lehrerin noch an meiner Note änderte. Frau Feger, es tut mir leid, heute bin ich klüger!

Wenn alle eine „1“ bekommen, sind die Guten die Deppen – und die Schlechten haben nichts davon

Gern würde ich allen meinen Schülerinnen und Schülern gute und sehr gute Noten attestieren. „Geben Sie doch einfach ­allen eine Eins“, schlug mir ein Schüler nach einer hitzigen ­Besprechung der Biologieklausurnoten vor, weil die Klasse aus ihrer Sicht nicht wusste, „was die ­Hagemann hören will“, bzw. weil sie aus meiner Sicht die Aufgabenstellung nicht verstanden hatte. Hach, welch verlockendes­ Angebot. Schnell überall 15 Punkte ein­tragen, und ich habe eine zufriedene Klasse. Wirklich? Ist der Schüler, der vorher als Einziger 15 Punkte ­bekommen hatte, nicht jetzt der Depp? Seine individuelle ­Leistung zählt nun nichts mehr, er hätte weder lernen noch sich anstrengen müssen, wenn ohnehin alle die Bestnote ­bekommen.

Und die Schülerin, die vorher leider nur 0 Punkte ­unter der Klausur stehen hatte? Freut die sich wirklich? Ich glaube nicht. Die Note hat nichts mit dem zu tun, was sie geleistet hat, und vermutlich erkennt auch sie, dass sie die Note in keiner Weise verdient hat. Zudem suggeriert sie ihr, alles verstanden zu haben, was später bei der Abiturklausur verhängnisvoll sein könnte. Schülerinnen und Schüler schätzen es, wenn sie gerecht und fair beurteilt ­werden, sie sind schließlich nicht blöd und wissen oft selbst ziemlich gut, was sie können und was nicht.

Mein Vorsatz: Erwisch sie, wenn sie gut sind!

Trotzdem möchte ich immer noch gern ­viele gute und sehr gute Noten vergeben. Entgegen irriger Schülermeinungen wollen Lehrer ihre Schützlinge nämlich nicht in die Pfanne hauen, um anschließend mit einem ­hämischen Grinsen eine rote Sechs in ihr geheimes ­Notenbüchlein einzutragen. Vor einigen Jahren habe ich einmal einen tollen Ratschlag erhalten, den ich mir seitdem zum Vorsatz mache: „Erwisch sie, wenn sie gut sind.“ Neben den ­Pflichtaufgaben wie Klassenarbeiten und kurzen Tests können meine Schülerinnen und Schüler zusätzlich Aufgaben abgeben und so eine positive Note bekommen. Dies kann beispielsweise eine freiwillige Monatsaufgabe, welche in meinem ­Unterricht die Hausauf­gabe ersetzt, oder die Abgabe eines nicht verpflichtenden Tests sein. Nicht selten sagen die Kinder dann nach der Bearbeitung dieser Aufgaben: „Jetzt hab ich es wirklich verstanden.“ Na bitte, mehr will ich doch gar nicht!

„Schulnoten sind wichtig, um sich einzuschätzen“ – Foto: Freepik



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