Meinen & Sagen

„Eltern sind Loser in den Augen ihrer Kinder“

... selbst, wenn sie gern feiern und coole Bücher schreiben! Schriftsteller Wladimir Kaminer über Pubertätsrevolten, peinliche Väter und die unfreiwillige Komik von Ethikunterricht.


Herr Kaminer, Eltern sind ihren Kindern ja sowieso oft peinlich. Sie aber haben jetzt sogar in Ihrem neuen Buch über Pubertät verraten, dass Ihre Tochter der Barbie-Puppe mit Cola die Haare färben wollte und Ihr Sohn sich um die Form seines Schnurrbarts sorgt, den man nicht einmal sieht. Ganz schön grausam . . .
Ach, meine Kinder leben gut damit, Teil eines literarischen Prozesses zu sein. Meine Tochter hat da eine große Portion Selbstironie entwickelt. Mein Sohn erzählt mir ohnehin nicht viel aus seinem Leben, insofern kann ich nur meine Eindrücke schildern. Aber manchmal sagen sie natürlich: Schreib das jetzt nicht! Dann tue ich das auch nicht. Und sie bekommen jede neue Geschichte sofort zum Lesen. Ich glaube, dass sie in 20 Jahren dieses Buch lieben werden, weil es einen Teil ihrer Kindheit abbildet.

Und was ist mit den Freunden Ihrer Kinder, mit anderen Eltern oder Lehrern, die Sie ebenfalls beschreiben?
Ich hatte ein langes Gespräch mit der juristischen Abteilung des Verlags. Wir haben alles verändert, wodurch sich jemand auch nur ansatzweise erkennen könnte. Außerdem: Ich schreibe ja nichts Schlechtes, weder über Kinder noch über Erwachsene. Meine Geschichten sind immer von viel Liebe und Verständnis für die Gesamtsituation durchdrungen.

Trifft der Eindruck aus Ihren Erzählungen zu, dass Sie ein ziemlich erziehungsfauler Vater sind?
Ich habe zu oft gesehen, wie Erwachsene ihr eigenes Scheitern, ihre unerfüllten Träume auf ihre Kinder projizieren und sie damit quälen. Jedes Kind hat etwas sehr Eigenes in sich – jenseits der Erbanlagen von Mama und Papa. Etwas, das manche Gottes Antlitz nennen oder das eigene Schicksal. Natürlich können Sie da herumerziehen, aber dieser eigene Kern wird sich über kurz oder lang herausbilden. Erziehung heißt für mich: die Kinder verwöhnen! Das Leben geht hart genug mit ihnen um. Gleichzeitig sollte man als gutes Beispiel – was aber nur heißt: als man selbst! – vorangehen. Ich will meinen Kindern nicht vorspielen, ich hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen und wüsste genau, was richtig und falsch ist.

Reifen lassen ist also wichtiger als erziehen?
Ja, Job der Eltern ist es, Kinder wie Pflänzchen zu gießen, zu düngen und ab und zu den Boden umzugraben. Wachsen müssen sie selbst.

Gibt es im Hause Kaminer irgendwelche Regeln?
Na, das hoffe ich doch! Wir leben ja nicht in einem luftleeren Raum. Auch unsere Kinder habe ihre Pflichten, wie Schule eben. Mein Sohn hat gerade versucht, sich ohne wirkliche Anstrengung durch die 10. Klasse zu mogeln. Es hat nicht funktioniert, er wäre fast durchgefallen. Dafür war sein gemeinsamer Urlaub mit uns in Kroatien eben dahin. Er musste in Berlin bleiben und Französisch lernen. Das hat er allerdings selbst eingesehen – endlich!

Wie sieht es mit Alkohol, Rauchen, Ausgehzeiten aus? In Ihren Geschichten werden ja größere Mengen diverser alkoholischer Getränke konsumiert . . .
Da habe ich mich nie als Moralapostel aufgespielt – meine Frau und ich, wir trinken gern, feiern Partys, rauchen gelegentlich, gehen selten vor zwei Uhr ins Bett. Was soll ich also, ohne völlig lächerlich zu wirken, meinen Kindern dazu erzählen? Außerdem glaube ich, dass in der künftigen Welt ganz andere Herausforderungen warten als die, alkohol- und nikotinfrei zu leben und früh zu Bett zu gehen. Was ist die Folge? Beide Kinder rauchen nicht, trinken nicht. Mein Sohn spielt nicht mal mehr Computerspiele! Er skatet und fährt Fahrrad. Ansonsten leben beide im Bermuda-Dreieck zwischen Facebook, Kühlschrank und Berliner Mauerpark, wo sie ihre Freunde in der Wirklichkeit treffen.

Für die Kinder sind meine Frau und ich alte Menschen aus einer anderen Zeit

Zur Pubertät gehört die Revolte. Wie können Ihre Kinder gegen einen so coolen Papa rebellieren, der Partys veranstaltet und für alles Verständnis hat?
Ach, egal wie cool sich Eltern darstellen wollen, sie sind in den Augen ihrer Kinder trotzdem Loser, allein schon dadurch, dass ihre Zeit im Grunde vergangen ist. Selbst wenn sie die „richtige“ Musik hören, verstehen sie sie nicht und haben mit der Welt ihrer Kinder eigentlich nichts zu tun. Ich glaube, meine Kinder finden mich gar nicht mal uncool, aber meine Frau und ich sind für sie einfach alte Menschen aus einer anderen Zeit.

Wie verlief Ihre eigene Jugend in der Sowjetunion?
Oh, ich sage ja immer, wir hatten dort keine Pubertät. In meinem Buch spitze ich diese Unterschiede zwischen meiner Jugend und der meiner Kinder natürlich sehr zu, aber Hand aufs Herz: Es ist dasselbe. Immer wollen die Erwachsenen den Kleinen zeigen, wie die Sache läuft, die Kinder rebellieren, zeigen ihnen den Stinkefinger und suchen sich auf eigene Faust den Weg ins Leben. Auf diese Weise kommen sie dann irgendwann als selbst gealterte Erwachsene an und wundern sich total.
Ich habe selbst wenig Erziehung genossen. Ich hatte sehr liebevolle Eltern und war ein Wunsch- und Einzelkind. Erst mit 16 habe ich verstanden, dass meine Eltern von der Weltkultur überhaupt nichts mitbekommen haben und keine Ahnung vom Leben hatten, weil sie eben nur die Bücher gelesen haben, die diese bescheuerte Sowjetunion gedruckt hat: immer wieder John Updike oder Hemingway!

Engagieren Sie sich in schulischen Belangen Ihrer Kinder?
Helfen kann ich ihnen mittlerweile kaum noch, außer in Philosophie oder Ethik. Ethik ist in seiner ganzen unfreiwilligen Komik überhaupt mein Lieblingsfach! Diskussionsrunden wie „Wozu brauchen wir alte Menschen?“ oder „Wie sieht ein typischer Deutscher aus?“! Das hatten wir in der Sowjetunion nicht, insofern lerne ich jetzt immer begeistert mit und frage mich, wie ich ohne einen solchen Unterricht bislang durchs Leben kommen konnte. Manchmal greift meine Tochter Nicole sogar auf meine Hilfe zurück, vor allem, wenn sie sich mit Themen beschäftigen muss, die sie nicht besonders interessieren, Marxismus zum Beispiel. Mein Sohn Sebastian versucht es dagegen auf eigene Faust. Letztens habe ich ihm sogar angeboten, einen Aufsatz über eine Schullektüre für ihn zu schreiben . . .

VITA

  • Wladimir Kaminer, 48, wurde in Moskau geboren und studierte dort am Theaterinstitut Dramaturgie. 1990 kam er nach Berlin und blieb. Zehn Jahre später veröffentlichte er unter dem Titel „Russendisko“ seine ersten Kurzgeschichten. Mittlerweile sind 17 weitere Bücher dazugekommen. Kaminer veranstaltet immer noch regelmäßig seine legendären „Russendisko“-Partys und lebt mit seiner Frau Olga und seinen Kindern Nicole, 18, und Sebastian, 16, in Berlin. Sein jüngstes Buch heißt „Coole Eltern leben länger“ (Manhattan, 17,99 Euro).

Das ist nicht Ihr Ernst!
Doch, warum nicht? Es war ein Notfall, er hatte eine Menge anderes zu tun – wie gesagt, sein Schuljahr lief nicht besonders gut. Jedenfalls wollte er den Aufsatz lieber selbst schreiben und hat das auch besser gemacht, als ich es gekonnt hätte. Das Problem ist ja, dass ich nicht lügen will, wenn ich die Aufsätze meiner Kinder schreibe. Ich schreibe also das, was ich empfinde und für richtig halte. Aber das ist meistens etwas anderes als das, was meine Kinder für richtig halten.

Was haben Sie aus Ihrer eigenen Schulzeit fürs Leben mitgenommen?
Zu meiner Zeit war die Schule ein klarer Feind. Aber Schule lehrt vor allem Kompromissbereitschaft, das ist ihre Hauptaufgabe – früher wie heute, ob in der Sowjetunion oder in Deutschland. Die Kinder sehen, dass die Welt nicht nur aus Freunden besteht, sondern auch aus manchmal bösen Lehrern und idiotischen Mitschülern. Unangenehme Zeitgenossen trifft man im späteren Leben auch. Um damit klarzukommen, braucht man ein großes, nein: ein dickes Herz! Und das lehrt die Schule.



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