Leserautoren

Ein Hoch auf unsere Kutsche

Wo kann man die Geschichte einer Familie wie ein Archäologe nachvollziehen? Im Auto, erklärt Leserautor Ulrich Mehner


Ich weiß nicht, wann es begonnen hat, dass unsere Familienkutsche uns zur zweiten Heimat wurde. Natürlich nutzen die meisten Familien ihr Fahrzeug oft: Dass bei uns jedes Kind und jeder Kegel mit dem Auto in den Kindergarten oder in die Schule gebracht wird, ist ja leider heutzutage eher normal und kaum mehr der Rede wert, zumindest, wenn man sich morgens das Chaos vor den Schulen ansieht. Bis in die dritte Parkreihe gehen die Verteilungskämpfe und sind oft spannender als Fernsehen!

Aber unser Familienauto ist längst mehr als ein Transportmittel. Es ist der Sozialisierungs(h)ort unserer Familie schlechthin. Es ist unser Rückzugsraum, unser Diskussionszimmer, der ideale Ruheort für Zwiegespräche: einfach Türen zu – und schon geht was. Üblicherweise gilt ja der Esstisch als traditioneller Dreh- und Angelpunkt einer Familie, als der Patz, an dem Austausch und allerlei interfamiliäre Dramen stattfinden. Klappt bei uns aber irgendwie nicht: Daddeln am Tisch macht Spaß, aber Essen oder Reden? „Will ich nicht, mag ich nicht, schmeckt nicht!“ Und als ultimative Ausrede: „Ich muss jetzt Hausis machen.“ Soso, aha, Hausaufgaben. Auf einmal . . .?!?

Nichts spiegelt uns so wider wie unser Auto

Anders im Auto: Sobald der Motor startet, werden wir zur Schicksalsgemeinschaft. Oft kommt es sogar zu trauten Gesprächen zwischen Vater und Tochter, die dann stolz auf dem Beifahrersitz sitzt. Aber auch der Trubel, wenn alle Kinder drin sind und um die Sitzordnung auf der Rückbank streiten, löst irgendwie ein Gefühl von Familie aus. CDs und Hörspiele werden aufgelegt, es wird diskutiert und sogar Radio gehört. Ich weiß nicht, warum im Auto alles so prima klappt. Vielleicht, weil wir dort alle auf engstem Raum zusammengeschweißt sind?

Oder ganz einfach, weil wir es im Auto so gemütlich haben? Denn im Grunde ist unsere Familienkutsche ja längst ein erweiterter Wohnraum „first class“. Es ist kuschelig warm, und dank diverser Adapter lassen sich auch Smartphone nebst Tablet betreiben. Musik und Hörspiele gibt’s in Dolby Surround mit Superbass: Welches Wohnzimmer hat das schon? An unserem Auto kann man lernen, wie man Platzprobleme löst: Sollten Sie zu Hause einen Arbeits- oder Spielraum zu wenig, dafür aber das Glück haben, über einen Stellplatz vorm Haus zu verfügen – dann nutzen Sie ihn!

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Nichts spiegelt uns so wider wie unser Familienauto. Arktische Bohrkerne geben Einblicke in die Erdgeschichte. Unser Wagen aber verbirgt in sich die Geheimnisse unserer familiären Frühgeschichte. Bei „Ausgrabungen“ kommen manchmal längst vergessene Kleinodien unvermutet wieder zum Vorschein und erzählen ihre Geschichte: Fotos, Haargummis, Eintrittskarten, der erste Schnuller. Ein halbes Kinderleben findet, wer nur tief genug „bohrt“.

Ganz andere Geschichten hingegen erzählt unsere Rücksitzbank mit ihrer „Vintage-Patina“ aus klebrigen Lutschern und Flecken unidentifizierbarer Herkunft. Das Polster ist leider sehr aufnahme- und saugfähig. Klar hätte es auch Schutzbezüge gegeben . . . hätte! Aber nun ist es auch schon egal, und die Kinder lieben das Auto. Sie fühlen sich pudelwohl darin, mehr als in der von uns Eltern bevorzugten pflegeleichten, aber steril-langweiligen „Wisch und weg“-Ledergarnitur im Wohnzimmer! Wir werden unsere Kutsche wohl fahren müssen, bis die Kiste auseinanderfällt. So ist es eben in einer Familie, man hält zusammen. Komme, was da kommen wolle!

 



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