Meinen & Sagen

Lehrer sein ist eine Berufung!

Mehr positives Feedback, mehr Engagement, mehr Freude am Miteinander: Robert Rauh, Träger des „Deutschen Lehrerpreises“ 2013, wünscht sich eine neue Schulkultur – im Interesse von Lehrern, Schülern und Eltern


Demotivierte Schüler, Dauerstress durch permanente Reformen, marode Gebäude, nörgelnde Eltern – Schule klingt nicht nach einem Traumarbeitsplatz. Warum tun Sie sich das an?
Weil ich richtig gern Lehrer bin. Dabei wollte ich eigentlich gar nicht an die Schule. Mein Weckruf kam bei einem Studentenjob in einer privaten Nachhilfeschule. Ich habe gemerkt, dass ich gut erklären, mich leicht in die Situation der Schüler eindenken und herzhaft mit ihnen lachen kann. Es ist einfach toll, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden zu begleiten, ihnen zu helfen, eine selbstständige Persönlichkeit zu werden, kritisch denken zu lernen und für gute Noten zu kämpfen. Ich bin Motivator, Mutmacher und Regisseur im Klassenzimmer, der die Richtung vorgibt.

Bis zu 34 Kinder in einer Klasse, die einen hören nicht zu, die anderen legen die Füße auf den Tisch oder streiten. Sind Kinder schwieriger geworden?
Nein. Das Sozialverhalten der Schüler hat sich nicht groß verändert. Schüler in einer siebten Klasse zum Beispiel waren noch nie vernünftig. Man fängt immer wieder von vorn an, ihnen beizubringen, sich zu organisieren, zuzuhören, respektvoll miteinander umzugehen.

Es ist einfach toll, Kinder auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden zu begleiten

Wie bekommt man das denn hin?
Manche Lehrer besitzen eine natürliche Autorität. Strenger Blick – und keiner muckst sich. Die anderen, wie ich, müssen sich die Autorität erarbeiten. Das ist ein ganz schöner Kraftakt. Ich hatte am Anfang auch Disziplinprobleme, galt als zu nett. Dann habe ich klare Regeln aufgestellt und konsequent durchgesetzt. Wer quatscht, wird sofort ermahnt. Genauso wichtig sind Offenheit und Transparenz. Ich erläutere jeder Klasse detailliert, welche Inhalte ich im Schuljahr behandeln will, was ich von ihnen erwarte und nach welchen Kriterien ich ihre Leistungen bewerte.

Interessiert das die Schüler wirklich?
Das fragen mich manche Kollegen auch. Anfangs sind die Schüler etwas irritiert, aber letztlich finden sie es gut – weil sie sich ernst genommen fühlen. Außerdem ist es wichtig, dass Schüler ein sicheres Gefühl haben, nicht nur eine gute Note bekommen zu können, wenn sie die Meinung des Lehrers teilen. Das ist die Grundlage für ein Vertrauensverhältnis.

Und wenn einer trotzdem dumme Sprüche klopft?
Da heißt es, gelassen und locker zu bleiben. Wer gereizt reagiert und alles persönlich nimmt, stresst sich und die Kinder. Gemeinsam zu lachen ist äußerst entspannend. Und wenn man danach wieder in den Unterrichtsmodus umschaltet, gehen auch die Schüler mit. Das ist wie auf einem Kongress, auf dem der Speaker zwischendurch das Publikum aufheitert.

So lässig scheint das vielen Kollegen nicht zu gelingen.
Es gibt leider Lehrer, die den falschen Beruf gewählt haben. Das betrifft übrigens alle Altersgruppen. Wir hatten gerade eine Veranstaltung mit Lehramtsstudenten, die sich über das Referendariat informieren wollten. Bemerkenswert war: Alle Interessenten haben nur organisatorische Fragen zur Ausbildung oder Verbeamtung gestellt. Keiner hat nach den Schülern gefragt. Und nur ein Drittel sagte, Lehrer sei ihr Wunschberuf. . .

Für den Rest war es eine Verlegenheitslösung?
Genau. Diese Menschen machen sich doch unglücklich. Lehrer sein ist eine Berufung, davon bin ich überzeugt. Ich frage mich immer, wie die Kollegen das aushalten, wenn sie nie ein positives Feedback von ihren Schülern bekommen. Eine Kollegin hat mir kürzlich beim Abiball erzählt, dass sie von ihrem Kurs kein Abschiedsgeschenk bekommen hat. Keine Wertschätzung, nichts. Sie war ziemlich frustriert. Einige Kollegen gehen auch gar nicht mehr zur Abifeier, aus Angst, plötzlich für die Schüler Luft zu sein.

Auch das Verhältnis zwischen Eltern und Lehrern scheint immer angespannter zu werden. Warum eigentlich? Beide haben doch ein Ziel: die beste Bildung für die Kinder.
Ja, das Verhältnis ist angespannt. Eltern machen Lehrer für die schlechten Leistungen ihrer Kinder verantwortlich. Sie beklagen, dass das Familienleben unter dem Leistungsdruck leide. Dabei sind sie meist Mittäter wider Willen, weil sie fürchten, dass ihr Kind ohne einen guten Abschluss in der Gesellschaft nicht Fuß fassen kann.Gleichzeitig sind sie verunsichert, weil Schule so unübersichtlich geworden ist. Präsentationen machen, Projektarbeit, jahrgangsübergreifendes Lernen, G8, mittlerer Schulabschluss, Reformwahnsinn. Ein Vater meinte neulich zu mir, er sieht seine Tochter zum Versuchskaninchen der Bildungspolitiker werden.

VITA & BUCH-TIPP

  • ROBERT RAUH, 48, erhielt im Jahr 2013 für sein pädagogisches Engagement den „Deutschen Lehrerpreis“. Er absolvierte ein Lehramtsstudium für Geschichte und Germanistik, ist seit 2001 als Lehrer für Geschichte, Politik und Deutsch tätig und seit 2008 als Fachseminarleiter Geschichte am 2. Schulpraktischen Seminar in Berlin-Mitte. Als Autor von Sachbüchern plädiert Rauh für eine neue, engagierte Schulkultur, die Lehrer, Schüler und Eltern verbindet und motiviert. Seine Überzeugung: Sinnvolle Schulreformen kommen von unten.

  • „Schule, setzen, sechs – von Lehrern und Eltern, die trotzdem nicht verzweifeln“ von Robert Rauh wirbt für eine neue, freudvolle Schulkultur und für ein besseres Miteinander von Lehrern und Eltern  (Kösel Verlag, 17,99 Euro).

Und die Lehrer?
Sind genauso verunsichert. Manchmal hagelt es Beschwerden per E-Mail, manchmal kommt auf Eltern-abenden alles zusammen: Die einen wollen einen neuen Mathelehrer, die nächsten streiten um eine bessere Note. Es gibt Eltern, die während des Elternabends aufstehen und einfach nach Hause gehen.

Was raten Sie einem Vater oder einer Mutter, wenn die das Gefühl haben, ihr Kind wird falsch bewertet?
Das Gespräch wertschätzend beginnen, indem man zum Beispiel von einem Unterrichtsthema erzählt, das dem Kind Spaß gemacht hat. Dann ist das Eis gebrochen, und man kann konkret nachhaken: Was können wir, Lehrer und Eltern, genau tun, damit sich der Schüler verbessert? Lehrer können sich da nicht einfach mit Floskeln wie „Er macht zu wenig mit“ herausreden. Wenn Eltern mit einer Note nicht einverstanden sind, sollten sie auch nach den Bewertungskriterien fragen.

Was erwarten Lehrer denn von Eltern?
Dass sie ihr Kind zu Hause in Schuldingen unterstützen und mit einem Frühstück im Bauch pünktlich zur Schule schicken. Dass sie sich für den Schulalltag ihres Kindes interessieren, an Elternabenden teilnehmen, in den Gremien mitarbeiten oder einen Kuchenbasar unterstützen. Ein Teil der Eltern tut das ja bereits.

Nicht alle aber haben Lust oder Zeit dazu, im Alltag zwischen Job und Familie.
Daher sollten wir starre Rituale wie den Elternabend aufbrechen: gemeinsam grillen oder zusammen zum Bowling gehen. Ein Kollege von mir hat das mal gemacht und anschließend eine Liste herumgegeben, die zum Engagement einlud. Und plötzlich kamen den Eltern viele kleine Ideen.

Elternarbeit, Vergleichsarbeiten, Reformen – der Schulalltag ist stressiger geworden in den vergangenen Jahren. Auch als Vollblutlehrer: Haben Sie schon mal daran gedacht hinzuschmeißen?
Noch nie. Lehrer ist für mich einfach der tollste Beruf der Welt.

 

Foto: Silvia von Eigen



Unsere Themen im Überblick

  1. von Astrid Pauli

    Astrid Pauli
    10 Min ·
    So geht’s doch auch. Warum sind nicht alle so wie dieser Lehrer? Eine erhebliche Anzahl von Lehrern hat die soziale Kompetenz von Finanzbeamten oder Jobcenter-Mitarbeitern und außerdem die Ausstrahlung einer Tiefkühltruhe.
    Ich meine grad, diese Lehrer haben Angst und glauben, wenn sie nicht ständig die Schüler grob angehen und auf Konfrontation gehen, dass sie dann ihre Autorität verlieren. Aber mit dem Verhalten bekommen sie keine echte Autorität und keinen Respekt, sondern nur Angst und Ablehnung. Keine gute Grundlage fürs Lehren und Lernen. Autorität erwirbt sich der Lehrer, wenn er souverän, gütig und trotzdem konsequent ist. Mein letzter Klassenlehrer hat niemals geschrien oder jemanden beleidigt. Er hat nie was persönlich genommen und musste auch keine Verweise oder schriftliche Tadel verteilen. Ein Hoch auf Longin Reinhard, ehemals Lehrer am Wirtschaftsgymnasium Wertheim-Bestenheid!

Kommentieren