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Malala: Mädchen mit Mumm

Weltweit haben 66 Millionen Mädchen keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Mit seiner Tochter, Friedensnobelpreisträgerin und Kinderrechtlerin Malala, kämpft Ziauddin Yousafzai dagegen an. Zusammen mit Regisseur Davis Guggenheim spricht er über seine Mission und die Filmdokumentation, die das Leben seiner Familie im englischen Exil zeigt


Herr Yousafzai, im Oktober werden Millionen Menschen in 171 Ländern im Kino beobachten können, wie das Leben bei Malala und ihrer Familie zu Hause so abläuft. Wie fühlen Sie sich dabei?
ZIAUDDIN YOUSAFZAI: Es fühlt sich gut an. Die meisten Menschen kennen nur die Malala, die angeschossen wurde und den Friedensnobelpreis erhielt. Sie wissen aber nicht, wie sie zu Hause lebt, wie sie sich mit ihren beiden Brüdern kabbelt oder wie sie mit ihren Freunden Karten spielt. Davis Guggenheim zeigt Malalas Leben und hat es geschafft, die Geschichte dreier Generationen zu erzählen. Wir wollen mit dem Film Menschen aus aller Welt motivieren, sich unserer Kampagne anzuschließen, um jedem Kind eine Schulbildung zu ermöglichen. Wenn ich statt Soldaten Bataillone von Kindern in Schulen marschieren sehe, werde ich eine große Genugtuung verspüren.

VITA

  • Ziauddin Yousafzai, 46, arbeitet für den „Malala Fund“, der sich für das Recht von Mädchen auf Schulbildung einsetzt, und ist Bildungsattaché im pakistanischen Konsulat in Birmingham. Vor dem Anschlag auf seine Tochter Malala kämpfte er in Pakistan gegen das Schulverbot für Mädchen. Er animierte die damals Elfjährige, unter einem Pseudonym einen Blog für die BBC über das von den Taliban kontrollierte Leben im Swat-Tal zu schreiben. Seit drei Jahren lebt Yousafzai mit seiner Frau, zwei Söhnen und seiner berühmten Tochter in Birmingham.

  • Davis Guggenheim, 51, ist Regisseur und Produzent. Sein Film „Waiting for Superman“ beleuchtete das Versagen des
    öffentlichen US-Schulsystems; für die Klima-wandel-Dokumentation „An Inconvenient Truth“, in der er den Ex-Präsidentschaftskandidaten Al Gore begleitete, erhielt er zwei Oscars. Sein Film über Friedensnobelpreisträgerin Malala
    Yousafzai porträtiert die pakistanische Kinderrechtlerin und ihre Familie, die wegen der Bedrohung durch die Taliban ihr Land verlassen mussten. Guggenheim lebt in Los Angeles.

Herr Guggenheim, welche Wirkung erhoffen Sie sich als Regisseur von Ihrem Dokumentarfilm über Malala und ihre Familie?
DAVIS GUGGENHEIM: Ich bin ein großer Anhänger der Idee, dass Bildung Leben verändern kann. Jeder Mensch hat Potenzial, und Bildung ist der Schlüssel dazu. Ich bin überzeugt, dass unsere Dokumentation viel Gutes tun kann, indem sie zeigt, wie dieser unglaubliche Vater hier seine Tochter inspiriert, mutig zu sein und für ihre Rechte zu kämpfen.

Malala wirkt wesentlich älter als 18 Jahre. Wie schafft sie es, mit ihrer Situation klarzukommen?
YOUSAFZAI: Nach dem traumatischen Anschlag auf ihr Leben waren wir extrem besorgt. Würde sie dasselbe Mädchen sein? Mit der gleichen Ausdauer, der gleichen Leidenschaft und dem gleichen Temperament, um wieder mit der gleichen Vehemenz zu sprechen? Gott sei Dank hat sie es geschafft. Wir hatten großes Glück.

Es gab Vorwürfe, Sie hätten auf Ihre Tochter Druck ausgeübt, sich als Aktivistin für Kinderrechte zu engagieren.
YOUSAFZAI: Glauben Sie mir, wenn sie jemals gesagt hätte, Papa, du hast diese Wahl für mich getroffen, und ich möchte nicht mehr weitermachen – ich hätte mich nicht dagegengestellt. Es war ihre Entscheidung, und nach dem Anschlag setzte sie ihren Kampf auf globaler Ebene fort. Sie fühlt sich in beiden Rollen wohl: als normales Mädchen zu Hause und in der Schule, aber als auch als Aktivistin, die Weltpolitiker trifft. Darüber bin ich sehr froh.

Sie sagten, Sie hätten Schuldgefühle gehabt, als Malala im Krankenhaus lag. Wie denken Sie heute darüber?
YOUSAFZAI: In den ersten Tagen nach der Attacke dachte ich, ich hätte Malala stoppen müssen. Ich hatte das Risiko falsch eingeschätzt und nicht geglaubt, dass Radikale nach dem Leben eines Mädchens trachten würden. Aber als ich meine Frau nach ihrer Meinung fragte, antwortete sie: Es war nicht dein Fehler und nicht ihr Fehler. Es war die Schuld derer, die ein Mädchen verfolgten, das für seine Rechte kämpfte. Als ich das hörte, ging es mir besser.

Malala fühlt sich wohl als normales Mädchen, aber auch als AktivistinZiauddin Yousafzai, Malalas Vater

War Ihre Frau in Sachen Erziehung gelegentlich anderer Meinung als Sie?
YOUSAFZAI: Ich denke, wir ziehen am gleichen Strang. Hätte ich nicht die Unterstützung meiner Frau Toor Pekai, dann hätte ich mich als Aktivist nicht so vehement gegen die Talibanisierung ausgesprochen. Ich habe immer mit meiner Frau diskutiert, ob das, was ich und meine Tochter machen, in Ordnung ist. Sie hätte sich gern selbst geäußert, aber sie fand, ihr fehle die Bildung und auch die Freiheit, sich vor eine Kamera zu begeben. Aber wir hatten ihre Unterstützung, und das war eine sehr mächtige moralische Hilfe. Hinter mir und Malala stand immer meine Frau. Nach dem Anschlag fand ich sie stärker als mich selbst.

Wie hat Ihre Frau damals reagiert?
YOUSAFZAI: Statt zu wehklagen, war sie sehr gefasst. Sie bat alle Trauernden, nicht zu klagen, und sagte, Gott werde uns seinen Segen bringen. In der ersten Nacht stand sie mit dem Koran in der Hand da und forderte mit lauter Stimme Hilfe von Gott.

Herr Guggenheim, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Ihr Leben mit dem Ziauddin Yousafzais vergleichen?
GUGGENHEIM: Immer wenn ich vom Filmen in Birmingham an meinen eigenen Küchentisch in Los Angeles zurückkam, erzählte ich meiner Familie Geschichten von diesem inspirierenden Vater und seinem mutigen Mädchen. Natürlich sind unsere Leben sehr unterschiedlich, aber auch im Leben meiner Töchter gibt es noch Benachteiligungen, die sie zu bewältigen haben, obwohl sie legal gleichgestellt sind. Ich wollte ihnen Malalas Geschichte erzählen, weil es immer noch Momente gibt, in denen sie sich diskriminiert fühlen und zögern, das dann auch anzusprechen.

Herr Yousafzai, Sie sagten einmal, Ihr größter Verdienst sei, die Flügel Ihrer Tochter nicht gestutzt zu haben. Sie ist jetzt 18. Was wäre, wenn sie nun ihre Flügel ausbreiten und einen komplett anderen Weg einschlagen würde?
YOUSAFZAI: Damit wäre ich einverstanden. Ich glaube an meine eigene Freiheit, und für meine Freiheit ist es wichtig, dass ich andere nicht kontrolliere. Töchter und Söhne haben jedes Recht, ihr eigenes Leben zu führen. Sollte sie Ärztin oder Ingenieurin werden wollen oder heiraten, dann freue ich mich für sie. Ich fände es toll, irgendwann Großvater zu werden.

FILM-TIPP

  • Die Dokumentation „Malala – ihr Recht auf Bildung“ zeigt das Leben der pakistanischen Schülerin als leidenschaftliche Aktivistin, als Mädchen im englischen Exil, als normaler Teenager. Deutscher Kinostart: 22. Oktober 2015

Wo sehen Sie Ihre Söhne in zehn Jahren?
YOUSAFZAI: Meine Söhne haben große Träume. Mein Jüngster warnt Malala immer, dass sie eines Tages nur durch ihn bekannt sein wird. Er ist sehr lustig und clever und will Astronaut werden. Mein älterer Sohn liebt Computer und Software. Ich möchte, dass sie eine gute Ausbildung genießen und verantwortungsbewusste Bürger Pakistans und Großbritanniens sind. Ich möchte, dass sie Gutes für ihre Gesellschaft leisten, nicht vergessen, wer sie sind, und dass sie ihre Muttersprache im Kopf behalten.

Der Film „Malala“ wird zunächst nicht in Pakistan zu sehen sein. Warum nicht?
GUGGENHEIM: Wir werden die Dokumentation auch dort zeigen, aber der Verleih ist schwierig, und wir überlegen, ob wir den Film besser im Kino oder im Fernsehen zeigen sollten.

Herr Yousafzai, gibt es jemanden, dem Sie den Film besonders gern vorführen würden?
YOUSAFZAI: Ich möchte, dass die muslimische Welt den Film sieht, aber auch der Westen. In den Medien wird die muslimische Welt meistens mit schlechten Nachrichten in Verbindung gebracht. Radikale Muslime werden für die Repräsentanten des Islam gehalten. Aber es gibt Milliarden anderer Muslime. Wir sind eine friedliebende muslimische Familie, die aus tiefstem Herzen an den Islam glaubt.



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