Denken & Diskutieren

Mama, bloggst Du das jetzt?

Das Internet ist voller Mütter, die mit einem Blog private Einblicke in ihr Familienleben gewähren. Der Grat zwischen informativem Austausch und Selbstinszenierung auf Kosten der Kinder ist dabei manchmal schmal


Henriette Zwick ist skeptisch. Gerade hat sie Freunden davon erzählt, wie die anderen Mütter im Rückbildungskurs über sie gelästert haben – wegen der Tattoos auf ihren Armen. „Schreib doch einen Blog über deine Erlebnisse“, schlägt daraufhin einer vor. Ihre erste Reaktion: „Wen soll das denn interessieren?“

Trotzdem setzt sich die Betriebswirtin abends an den Laptop und hackt ihre Wut über die „Latte-Macchiato-Mütter“ in die Tasten. Drei Jahre sind seit diesem ersten Blog-Eintrag vergangen. Sie haben gezeigt: Das interessiert eben doch sehr viele Menschen. Zwicks „Supermom“-Blog (www.supermom-berlin.de) wird mittlerweile rund 1000-mal am Tag angeklickt und hat eine treue Fangemeinde. Die Mischung aus Berliner Schnauze, schonungsloser Ehrlichkeit über das Elterndasein und süßen Fotos der Töchter Florentine, 1, und Marlene, 3, kommt im Internet gut an.

Frech, fröhlich, unkonventionell: So bloggt die Berlinerin Henriette Zwick über ihre Kinder Florentine und Marlene

Die „Supermom“ ist nicht die einzige, die ihren Alltag mit der digitalen Öffentlichkeit teilt. Mütterblogs sind in den vergangenen Jahren ein echtes Phänomen geworden. Mehr als 1000 davon sind auf der Internet-Seite der Zeitschrift „Brigitte Mom“ gelistet, fast täglich kommen neue hinzu. Vorbei sind die Zeiten, in denen vor allem Mütter aus den USA in Online-Tagebüchern über Windelwechseln, Augenringe, Hausaufgabenterror und Pausenbrote schrieben. Mittlerweile hat sich in Deutschland eine eigene Szene entwickelt, Mütter schreiben über ihren Alltag, teilen Erfahrungen und Fotos oder testen Produkte. Zynische Zeitgenossen sehen darin nicht viel mehr als das übersteigerte Geltungsbedürfnis gelangweilter Muttis, die sich ihren Frust von der Seele schreiben und ihre Kinder herumzeigen wollen. Angesichts der Schreibwut auf der einen und den Leserscharen auf der anderen Seite greift diese Erklärung aber offenbar zu kurz.

„Elternblogs erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe“, sagt Susanne Mierau, die im Mai auf der Digital-Konferenz re:publica einen Vortrag zum Thema gehalten hat. Seit zwei Jahren bloggt die zweifache Mutter (www.geborgen-wachsen.de), bringt aufgrund ihres beruflichen Hintergrunds aber auch ein wissenschaftliches Interesse mit. „Heute gibt es kaum noch klassische Großfamilien, viele Eltern sind auf sich allein gestellt“, sagt die Pädagogin. In gewissem Rahmen sei das Internet ein Ersatz für diese verloren gegangenen sozialen Strukturen. „Eltern können sich dort über Generationen hinweg austauschen und auf die Tipps und Erfahrungen anderer zurückgreifen.“  Man finde Gleichgesinnte, könne sich Feedback und Hilfe holen: „Durch die diversen Kanäle wie Facebook, Twitter und Co. sogar rund um die Uhr.“ Dieser Austausch reicht von kleinen Praxis-Tipps wie Hausmitteln zur Fieberbekämpfung bis hin zu handfesten Hilfsaktionen. So finanzierte die Online-Community im April einer allein-erziehenden Mutter (mama-arbeitet.de) die Klassenfahrt ihrer Tochter nach Schottland via Twitter.

"Ich sehe nicht ein, warum nur meine Kinder albern sein dürfen": Nina Massek verarbeitet ihre Erfahrungen mit jeder Menge Humor
„Ich sehe nicht ein, warum nur meine Kinder albern sein dürfen“: Nina Massek verarbeitet ihre Erfahrungen mit jeder Menge Humor

Henriette Zwick sieht neben dem Wunsch nach Verständigung noch einen weiteren Grund für das ausgeprägte Lesebedürfnis. Viele Mütter seien einfach genervt von dem perfekten Bild, mit dem die Medien Mutterschaft darstellen. „In der Realität lösen sich die Schwangerschaftspfunde nach der Geburt aber nun mal nicht in Luft auf, Kinder nerven manchmal, und die Partnerschaft leidet – in vielen Blogs gibt es die nackte Wahrheit, das schätzen die Leser“, sagt die Berlinern. Diese Wahrheit kann freilich auch zu weit gehen: Gerade auf amerikanischen Seiten wie lovetaza.com oder girlsgonechild.net finden sich oft intimste Details aus dem Familienleben, gespickt mit unzähligen Bildern der Kinder aus allen Lebenslagen. „Ich lese viele dieser Blogs gern, aber mir persönlich ginge das zu weit“, sagt Nina Massek, die mit viel Humor über die „Kinderaufzucht“ ihrer Sprösslinge Sebastian, 7, und Constanze, 3, bloggt (www.frau-mutter.de). Fotos von den beiden findet man auf ihrer Seite kaum – und wenn, dann leicht verschwommen oder aus ungewöhnlichen Perspektiven. „Ich möchte nicht, dass sie jeder einfach auf der Straße erkennen könnte“, so PR-Fachfrau Massek.

Damit spricht sie ein Problem an, das in der Blogger-Szene selbst heiß diskutiert wird: Wie viel darf man preisgeben? Will ich, dass wildfremde Menschen wissen, wo mein Kind zur Schule geht? Wie es aussieht? Auf welchem Spielplatz es nachmittags Freunde trifft? Das Dilemma liegt auf der Hand: Nicht nur, dass es genug Menschen gibt, die mit Kinderfotos und entsprechenden Informationen Schindluder treiben könnten – Stichwort Pädophilie. Auch den Kindern selbst könnte es später einmal nicht recht sein, wenn Fotos, die sie auf dem Töpfchen, nackt am Strand oder in vermeintlich süßen Posen zeigen, für alle zugänglich im Internet kursieren – Stichwort Cybermobbing. Sie sind darauf angewiesen, dass die Eltern ihre Persönlichkeitsrechte wahren, doch konkrete Regeln gibt es dafür nicht. Mierau findet die Begrifflichkeiten ohnehin schwierig. „Privatsphäre ist ein gesellschaftliches und kulturelles Konstrukt, das sich über die Zeit verändert. Unsere Kinder werden in zehn Jahren schon ganz anders darüber denken als wir.“ So oder so: Rein rechtlich ist es in Ordnung, wenn Eltern Bilder ihrer Kinder ins Netz stellen und über ihr Leben schreiben.

Geborgen-wachsen
Nachdenkliche Zeilen über Schwangerschaft, Stillen und Co. sind die Spezialität von Susanne Mierau

In der Praxis aber ist es ein Drahtseilakt zwischen dem Schutz der Kinder, den Bedürfnissen der Leser und dem Selbstdarstellungsdrang der Eltern. Die drei Bloggerinnen sind sich deshalb einig, dass es Grenzen geben muss. Für alle sind zum Beispiel Bilder tabu, die Kinder bloßstellen oder nackt zeigen. „Man sollte aber vor lauter Fokus auf die Bilder die Texte nicht vergessen“, gibt Mierau zu bedenken. Zwick stimmt ihr zu: „Es gibt Seiten, auf denen kaum Fotos gezeigt, dafür aber Geburtsberichte bis ins Detail veröffentlicht werden.“ Und Massek ergänzt: „Man muss die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre der Familie wahren. Streits in der Partnerschaft verarbeite ich zum Beispiel gern satirisch. So kann man davon erzählen, ohne zu intim zu werden.“

Trotzdem ist natürlich eine gewisse Offenheit nötig. Sonst würde es auch das Familienalbum im Wohnzimmerschrank tun. Wobei Familienblogs letztlich auch eine Art moderne Chronik sind. Der Wunsch, Erinnerungen festzuhalten, eint viele Eltern – und wo könnte man dies lebendiger tun als in einem Blog? Vielleicht ist das auch der Grund, warum es trotz aller Bedenken so viele informative, liebevoll gestaltete und inspirierende Seiten gibt. Gut möglich, dass künftig so manches Bloggerkind gebannt verschlingen wird, wie das damals eigentlich alles so war. Susanne Mierau jedenfalls ist sich sicher: „Hätte meine Mutter gebloggt, ich würde dieses Stück dokumentierte Kindheit gern lesen und bewahren.“

Nina Himmer



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