Pubertät und Pandemie: eine ganz ungünstige Kombination – Magazin SCHULE
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Pubertät und Pandemie: „Eine ganz ungünstige Kombination“

Schlimm genug, wenn das einst so liebe Kind zum motzigen Teenager wird. Aber das auch noch in der Pandemie? Ein Horror. Unsere Expertin zeigt, wie Eltern sinnvoll auf impulsives Verhalten reagieren, wie Familien auch in Extremsituationen zusammenhalten können und was alles hinter einer Null-Bock-Einstellung stecken kann


Türenknallen, Wutanfälle, ständiges Genörgel, heftige Auseinandersetzungen, gefolgt von eisigem Schweigen: Wenn es zwischen einem Kind und seinen Eltern zu zugeht, ist meist die Pubertät angebrochen. Erziehungsberechtigte befinden sich in dieser Zeit meist am Rande des ganz normalen Wahnsinns. Viele Eltern beschreiben ihr Kind dann als Wesen, das man eigentlich nur noch mit nach unten gesenktem Kopf, den Blick starr auf das Smartphone gerichtet, zu Gesicht bekommt. Ihr einst so braves Kind, ihr Sonnenschein, ist zum abweisenden, motzigen Teenager mutiert. Ausgerechnet jetzt. Willkommen, Pubertät und Pandemie.

Pubertät plus Pandemie – das bringt das Fass zum Überlaufen

Schon in normalen Zeiten ist diese Phase für Kinder sowie Eltern ungemein herausfordernd. Differenzen mit gereizten Teenagern sind an der Tagesordnung und belasten das Zusammenleben. Viele Eltern können nicht verstehen, warum das Kind nur noch faul herumhängt, rotzfreche Antworten abgibt und auf nett gemeinte Angebote einsilbige Kommentare ablässt, um dann direkt wieder in die eigenen vier Wänden zu verschwinden.

Wenn Eltern dann aufgrund der Corona-Pandemie auch noch mit wirtschaftlichen Existenznöten oder der Angst vor einem Jobverlust zu kämpfen haben, bringt die ruppige Begrüßung des Teenies das Fass schon mal zum Überlaufen. Begreift das Kind denn nicht, dass diese Zeit für uns alle schwierig ist? Kann es sich denn nicht einmal ein bisschen zusammenreißen? Pubertät plus Pandemie – eine ganz ungünstige Kombination.

Teenies wirken oft rational – und sind es doch nicht

Doch hier sitzen wir Erwachsene oftmals einem Trugschluss auf. Die bockigen, ja manchmal geradezu überraschend ignorant wirkenden Äußerungen unserer Teenager, gepaart mit ihren durchaus schlüssigen Argumentationsstrategien, veranlassen uns zu der Annahme, dass wir es hier mit rational denkenden Gesprächspartnern zu tun haben.

In der Folge gehen wir davon aus, dass unser Kind doch verstehen müsste, warum es sich jetzt zurücknehmen und auch einmal nachgeben sollte, weil unser Arbeitstag so mies gelaufen ist oder wir gerade mit anderen total wichtigen Dingen beschäftigt sind. (Was natürlich nicht die Aufgabe unserer Kinder ist.) Doch im Gegenteil: Alle Zeichen stehen auf Rebellion. Auch auf nichtige Anlässe hin wird völlig impulsiv reagiert, die genervten Eltern hören fast nur noch: „Kein Bock!“, und sind dann umso verwunderter, wenn das Kind in der nächsten Minute schon wieder mit hysterischer Begeisterung von einem neuen TikTok-Video berichtet, als ob nichts gewesen wäre.

In der Pubertät verändert sich das Leben auf verwirrende Weise

Vielleicht fällt es uns leichter mit dieser Unberechenbarkeit umzugehen, wenn wir uns Folgendes klar machen: Unsere Kinder haben während der Pubertät nicht nur mit hormonellen Veränderungen zu kämpfen, die unter anderem zu Leistungsabfall, Stimmungsschwankungen und Müdigkeit führen können. Sondern ihr bis dato gekanntes soziales und emotionales Leben verändert sich auf verwirrende Weise – manchmal schleichend, manchmal sprunghaft. Und das ist längst nicht alles. Ein Teenie-Gehirn gleicht einer Baustelle, auf der statt neuer Straßen eben neue Verknüpfungen von Nervenzellen gebaut werden. Doch nicht überall gehen die Arbeiten gleich schnell voran.

Ein Teil des Gehirns, das limbische System, das für Gefühle, Impulse und deren Veränderung zuständig ist, reift schneller heran als andere Gehirnareale. Während hier der Umbau schon früh spürbar wird, liegen andere Teile der Baustelle noch brach. Ein höchst verwirrender Prozess für unseren Teenie, der keinen Fahrplan hat und nicht weiß, wie es weitergeht, weil er die Strecke und den Bau nicht selbst in der Hand hat. Da ist Gefühlschaos vorprogrammiert.

Übersetzt kann „Kein Bock“ auch bedeuten: Ich bin gerade überfordert

Das heißt für uns Erwachsene: Weil sich die Psyche unseres Kindes gerade in einer Weise verändert, die für uns kaum nachvollziehbar ist, dürfen wir dessen Reaktionen und Aktionen nicht nur aus einer rationalen Perspektive heraus hinterfragen. „Kein Bock“ kann eben auch bedeuten: „Ich bin gerade überfordert mit der Situation. Ich habe zurzeit keinen richtigen Antrieb oder eben etwas besseres, anderes oder einfacheres zu tun. Ich sehe keinen Anreiz darin, zu tun, was von mir gefordert wird, weil ich den Sinn dahinter nicht sehe und mir auch die Motivation dazu fehlt. Ich kann das Leben schlichtweg gerade nicht rational einordnen.“

Klar ist Null-Bock nervig, aber wenn wir uns bewusst machen, dass unser Kind eben nicht nur faul am PC hängt, sondern gerade mit tausenden neuen Gefühlen und Veränderungen konfrontiert ist, fällt es uns bei der nächsten Reiberei vielleicht leichter, innerlich bis Zehn zu zählen, bevor wir antworten, Ruhe zu bewahren und weiterhin beständig für unser Kind dazusein.

Das Wichtigste, was Eltern tun können? Einfach da sein

Das gelingt am besten, wenn wir Verständnis aufbringen. Natürlich ist das nicht immer einfach, vor allem dann, wenn Eltern selbst gerade emotional aufgewühlt sind. Trotzdem ist es dringend notwendig. Da hilft schon mal das Mantra:

„Allein durch die Tatsache, dass ich da bin, gebe ich schon mein Bestes. Mehr braucht mein Kind im Moment von mir auch gar nicht.“

Denn genau das ist es, was unser Teenie, ohne Fahrplan, gerade braucht: Eltern, die ihnen Halt und Sicherheit in unsicherer Zeit geben. Dabei dürfen wir als Erwachsene durchaus zeigen, dass ein extremes Ereignis wie die Pandemie auch unser Leben auf den Kopf stellt und wir manchmal selbst nicht wissen, wie wir es wieder in Griff bekommen – denn das Geschehen liegt nun einmal schlichtweg außerhalb unserer Kontrolle.

Trotzdem können wir auch in Zeiten von Pubertät und Pandemie unseren Kindern Halt geben, indem wir zum Beispiel an Ritualen innerhalb der Familie festhalten. Gemeinsames Kochen und Essen, Spaziergänge oder Spieleabende helfen dabei, den gewohnten und bekannten Alltag weiterhin als Stütze zu erleben. Denn wenn vieles im Außen wegbricht, das früher Halt gab, wie zum Beispiel Veranstaltungen, Hobbies oder Reisen, ist es wichtig, die Aktivitäten, die Bestand haben, weiter zu zelebrieren. Diese gemeinsame Zeit, in der unsere Kinder die Welt noch als heil und unantastbar wahrnehmen können, ist ungemein wichtig. Auch wenn sich vieles verändert, zu Hause bleibt das Wesentliche (die gemeinsame Zeit) bestehen: Dieses Gefühl trägt unter unsicheren, äußeren Umständen wie einer Pandemie dazu bei, dass wir uns weiterhin sicher und beständig im Leben fühlen können.

Pubertät plus Pandemie: die unterschätzte Kraft der Kleinigkeiten

Wir unterschätzen oft die Kraft von Kleinigkeiten des Alltages. Dabei sind diese es, die uns gut durch Krisen tragen können. Selbst ein gemeinsamer Fernsehabend, mit Popcorn und einem alten Disneyfilm, kann uns das Gefühl geben: „Es wird alles wieder gut werden.“ Wenn wir Eltern auf unser eigenes Leben zurückblicken und womöglich auch Herausforderungen erlebt haben, dann war es meist der Halt, die Geborgenheit und Aufmerksamkeit wichtiger Menschen, der uns weiterhalf, oder eben fehlte. Ersteres führte gewiss dazu, mit deutlich mehr Mut durch schwere Zeiten gekommen zu sein. Deshalb ist das größte Geschenk das wir unseren Kindern nun machen können, dafür zu sorgen, dass entweder wir Eltern weiterhin da sind; oder wenn es uns nicht gelingt, weil wir selber in einer inneren Krise stecken, dafür zu sorgen, dass unser Kind andere Erwachsene als Bezugsperson hat.

Denn wenn wir die Erfahrung im Leben machen, dass am Ende des Tunnels, doch immer wieder Licht kommt, bauen wir eine wertvolle Resilienz auf, die uns durch weitere Krisenzeiten hindurch tragen kann.

 

Buch: Vom Umtausch ausgeschlossen – Katharina Pommer – Magazin SCHULE
Katharina Pommer ist Unternehmerin, fünffache Mutter und Expertin für Familien- und Bindungstherapie. Ihr Buch „Vom Umtausch ausgeschlossen“ (Goldegg, November 2021) ist voll mit Ratschlägen, wie es gelingen kann, den Teenagern – abseits von überhöhten Selbstansprüchen und Druck – weiterhin Halt, Zuversicht und Sicherheit in unsicheren Zeiten zu geben

Deshalb ist es während der Pubertät so wichtig, als Elternteil einfach da zu sein. Auch wenn es nicht immer den Anschein macht: Es vermittelt dem Jugendlichen unheimlich viel Sicherheit, wenn die Eltern seine Stimmungen mit tragen lernen und aufgrund seiner barschen Äußerungen nicht auch noch zum Gegenangriff übergehen und Vorhaltungen machen. Wenn Jugendliche das Gefühl haben: „Die Eltern setzen Vertrauen in mich und können auch meine Irrpfade mittragen oder zumindest aushalten“, dann gehen sie erfahrungsgemäß deutlich weniger stark an die Grenzen, als wir womöglich befürchten würden. In vielen Fällen reicht unser Da-Sein und die liebevolle Annahme jedes noch so irrationalen heftigen Gefühlsausbruchs aus, um die Vertrauensbasis seitens unseres Teenagers wiederherzustellen.

Wenn wir aber bemerken sollten, dass unser Kind zunehmend von Antriebslosigkeit, Traurigkeit oder Ängsten – sei es aufgrund von Pubertät und Pandemie oder aus anderen Gründen – geplagt wird, sollten wir uns notfalls auch nicht davor zu scheuen, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. Sich einen Rat einholen in solch herausfordernden Zeiten hat nichts mit Versagen als Eltern zu tun. Sondern mit echter Fürsorge und Interesse am Gefühlsleben des eigenen Kindes.

 

Pubertät und Pandemie: „Eine ganz ungünstige Kombination“ – Aufmacherbild: pixabay



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