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Frühe Einschulung: Hetz mich nicht!

Eine zu frühe Einschulung kann Kinder überforden, weiß Leser-Autorin Angelika Hesse: Es leiden nicht nur die Noten, sondern vor allem auch Motivation und Selbstbewusstsein


Als ich im Jahr 1978 eingeschult wurde, konnte ich es kaum erwarten. Als Novemberkind hatte mich der Kindergarten so angeödet, dass ich das letzte halbe Jahr zu Hause blieb. In der Grundschule marschierte ich dann problemlos durch.

Viele Experten befürworten daher eine frühe Einschulung. Doch ob der Schulstart immer so erfolgreich verläuft, hängt auch davon ab, ob das Kind überhaupt schon reif fürs Lernen ist. Diese Erfahrung machte ich, als vor vier Jahren meine eigene Tochter zum Vorschulkind wurde. Es fiel schnell auf, dass sie mit den neuen Anforderungen, die sie erwarteten, noch nicht viel am Hut hatte. LÜK-Kasten, Vorschulhefte und -spiele verstaubten im Schrank. Vor den Vorschulwochen im Kindergarten weinte sie, wollte nicht auf ihr freies Spiel verzichten.

Die Einschulungsuntersuchung war ein Desaster. Ich wartete draußen, während die Tests mit der Schulärztin liefen. Nachdem ich hineingebeten worden war, teilte man mir mit, mein Kind solle mehr malen und weniger fernsehen. Ich war schockiert und sauer: Wie konnte uns eine Ärztin, die mich und mein Kind nicht einmal kannte, innerhalb von einer Viertelstunde in diese Schublade stecken?

Es gibt Kinder, die noch etwas Zeit brauchen

Tatsächlich lief das erste Schuljahr noch einigermaßen. Im zweiten Jahr aber häuften sich die Probleme, vor allem in Mathe. Meine Tochter hatte außerdem Konzentrationsprobleme. Ich versuchte, die Defizite durch zusätzliches Üben zu kompensieren, besorgte Lernmaterialien, saß zuletzt bei den Hausaufgaben täglich daneben. Ein Test beim psychologischen Dienst bestätigte eine Rechenschwäche. Sie machte sich schließlich selber nieder, nannte sich „dumm“ und „wollte nicht mehr auf der Welt sein“. Ein größerer Infekt führte dazu, dass meine Tochter fast fünf Wochen zu Hause blieb. Zweimal schickten wir sie wieder in die Schule, weil sie inzwischen genesen schien. Zweimal kam sie mit hohem Fieber und Bauchschmerzen zurück.

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Die Signale waren deutlich. Es war offensichtlich, dass sie seelisch litt. Es ist bestürzend zu sehen, wie sehr schon Kinder mit Selbstzweifeln und sinkendem Selbstbewusstsein kämpfen. Wir beschlossen, einen Antrag auf freiwillige Wiederholung der zweiten Klasse zu stellen. Die Klassenlehrerin riet ab, doch wir blieben dabei. Nach den Sommerferien wechselte meine Große die Klasse.

(Zu) frühe Einschulung: Meine zweite Tochter, die Ende September und somit kurz vor dem Stichtag ihren sechsten Geburtstag hatte, kam als jüngstes Kind in ihre Klasse. Sie verlor innerhalb kürzester Zeit den Anschluss in Mathe und konnte ohne Hilfe auch die Hausaufgaben in anderen Fächern nicht erledigen. Sie fühlte sich oft verloren und traute sich nicht allein auf die Schultoilette. Wir griffen deutlich früher ein und ließen sie ebenfalls zurücksetzen.

Heute weiß ich: Es gibt eben Kinder, die noch etwas Zeit brauchen. Wie sehr hätte ich mir für meine Töchter ein weiteres Kindergartenjahr und einen schöneren Start ins Schulleben gewünscht. Denn so einfach, wie sich die Möglichkeit der freiwilligen Wiederholung anhört, so schwer ist es für das Kind, das sich fragen muss, ob es dümmer ist als die anderen. Die Hänseleien und Betitelungen als „Erstklässlerin“ der ehemaligen Klassenkameraden ertrug meine Jüngste übrigens tapfer und weinte erst zu Hause am Mittagstisch …



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