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Werd mal erwachsen, Mama!

Kinder sind unstrukturiert, albern und lieben Unordnung. Moment mal, stimmt das überhaupt? Unsere Autorin bekennt: Ihre 13-jährige Tochter verhält sich reifer und erwachsener als sie selbst. Ein Geständnis


Morgens um kurz vor acht. Hahaha. Die über das Smartphone gebeugten Rücken zittern vor Heiterkeit. Das Ballett „Schwanensee“ – getanzt von zwei Herren, die sich lediglich ein Handtuch vor den nackten Körper halten. „Noch mal, noch mal, bitte!“ Das Lachen will schier kein Ende nehmen.

Eine Alltagsszene auf dem Schulhof? Mitnichten. Stadtpark, Hundewiese. Es sind gestandene Damen, die sich hier ihre Lieblingsvideos auf YouTube zeigen und dabei wie die Teenager giggeln. Ich gestehe: Ich war auch dabei. Und heilfroh, dass meine 13-jährige Tochter nicht Zeuge dieser albernen Zusammenkunft wurde. Sonst hätte ich mir wieder ihre Ermahnung anhören können: „Mama, sei doch nicht so peinlich . . .“

. . . Achten Sie gar nicht auf meine  Mutter. Ihr fehlt leider noch der nötige Ernst!

Ja, die Leute werden immer kindischer. Selbst gestresste Eltern bilden da keine Ausnahme. Erfahrene Mütter tragen tiefsitzende Jeans mit Löchern im XL-Format, Väter mit weißen Haaren im Bart blockieren stundenlang „Solitär“ spielend das Klo. „Die Sphäre der Erwachsenen, die von Vernunft, Selbstbeherrschung, Diskretion und allgemein von situativer Rücksicht gekennzeichnet ist, schwindet wie die Polkappen“, beklagt die ernste FAZ und hat vermutlich mal wieder recht. Müssen wir womöglich eine grassierende Infantilisierung fürchten?

Tröstlich finde ich immerhin: Das Wirken der Werbe- und Unterhaltungsindustrie macht zwar auch aus Müttern und Vätern zuweilen die reinsten Spielkinder, aber ihrem Nachwuchs schaden sie damit nicht unbedingt. Ob jemand das Talent zum Erwachsenen hat, liegt allein an den Genen. Zugegeben, diese steile These speist sich ausschließlich aus privat gemachter Erfahrung und entbehrt jeder Wissenschaftlichkeit. Wir können es beschwören: Unsere jüngste Tochter kam schon erwachsener und würdevoller auf die Welt, als es ihre Eltern jemals sein werden. Andere Familien mögen sich über ihren unordentlichen, unorganisierten, chaotischen Nachwuchs aufregen – bei uns läuft es genau umgekehrt.

Unsere Tochter kam schon würdevoller auf die Welt, als es ihre Eltern je sein werden

Mit drei Jahren konnte unsere heute 13-jährige Tochter beim Spazierengehen an keinem nachlässig offen stehenden Gartentor einfach vorbeigehen. Einem inneren Drang zur Ordentlichkeit folgend, schloss sie Tür um Tür. Schuhe, die vom Rest der Familie nach dem Heimkommen rituell vom einen Fuß nach links, vom anderen Fuß nach rechts gekickt werden, sammelt sie seit jeher ein und parkt sie paarweise. Selten war sie quengelig, nie vorlaut, rüpelhaft oder uneinsichtig. Ein aufgeräumtes Zimmer, ein frisch gemachtes Bett und ein strukturierter Kleiderschrank sind ihr ein Grundbedürfnis. Um all das kümmert sie sich selbst. Sonst macht es allerdings auch keiner. Mit acht Jahren mahnte unsere Tochter eindringlich die Renovierung des heruntergekommenen 70er-Jahre-Bades an, „weil man sich sonst echt schämen muss“.

Ab der Grundschule übernahm sie früh Verantwortung und machte Karriere als Klassen-, Jahrgangsstufen-, Hort- und schließlich Schulsprecherin. In den Pausen jobbte sie als Streitschlichterin. Bis heute erledigt sie schulische Angelegenheiten gewissenhaft. Sie arbeitet mit To-do-Listen und Wochenplänen!

Bevor Neid aufkommt: Uns wird das so geliebte Töchterchen zuweilen unheimlich. Früher haben wir gescherzt, sie sei vernünftiger als ihre um Jahre ältere Schwester. Mittlerweile wissen wir: Sie ist vernünftiger als wir alle. Ihren etwas verpeilten Eltern begegnet sie zum Glück trotzdem mit Respekt, wenn auch nicht ohne milde Strenge („Schon die zweite Zigarette?“ „Ihr müsst die Rechnungen mal aufheben!“).

Mama, jetzt  habt ihr bestimmt schon zwei Stunden Netflix geschaut!”

Hobby-Psychologen werden einwenden, dass dem armen Kind angesichts seiner unreifen Eltern gar nichts anderes übrig bleibe, als schnell erwachsen zu werden. Das ist natürlich Unsinn. Unsere ältere, schon volljährige Tochter dient uns als bester Beweis des Erwachsenen-Talent-Gens: Sie ist und bleibt ein Kind wie wir.

Gleichwohl haben wir drei Großen uns vorgenommen, die „Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und dem Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung“ (Neil Postman) engagierter zu kultivieren. Unsere Jüngste dagegen will in Zukunft öfter mal Fünfe gerade sein lassen und sich auch in der Kunst verwegener Unbeschwertheit üben. Klingt vernünftig! Die Kindheit ist ein Paradies. Wäre doch ein Jammer, wenn ein junger Mensch daran vorbeiliefe.



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  1. von Christiane

    das Zauberwort heißt Strukturieren. Man hat es oder hat es nicht. Am Kindsein gehen diese Menschen nicht vorbei.Ihnen geht auch nichts verloren.

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