Kennen & Können

„Latein ist so einfach!“

Gute Noten im Horrorfach sind kein Hexenwerk. Latein-Coach Nikolaus Haeusgen verrät die fünf wichtigsten Lerntipps für Einsteiger und Fortgeschrittene.


Können Sie sich noch an Ihren ersten Satz im Lateinbuch erinnern?
Agricola arat, ancilla cantat. Der Bauer pflügt, die Magd singt. Ein wundervoller, weil simpler Satz: Substantive in der A-Deklination, Verben in der A-Konjugation.

Der erste Satz in meinem Lateinbuch lautete: Marcus currit.
Für Anfänger weniger geeignet: O-Deklination und konsonantische Konjugation. Die modernen Bücher sind durchweg so. Alles geht durcheinander. Schwierige Sachen werden vor leichten, also z. B. unregelmäßige vor regelmäßigen Verben behandelt. Zweite und dritte Schritte kommen so unlogischerweise vor den ersten. Usus ist das übrigens nicht nur im Fach Latein.

Latein erklären allerdings auffallend viele Gymnasiasten zu ihrem Horrorfach. Warum?
Wer nicht aufpasst, hat im Nullkommanix den Anschluss verpasst. Meinen Kindern habe ich zweimal die Woche gepredigt: Wenn ihr in der Schule schon stillsitzen müsst, nutzt bloß die Zeit. Dem Unterricht aktiv zu folgenbedeutet bereits die halbe Miete.

Woraus besteht die andere Hälfte?
Ich bin ein ausgesprochener Fan des Vokabelkastens . Lernsoftware wie „Phase 6“ ist auch in Ordnung, allerdings droht Ablenkungsgefahr durch den Computer. Wenn dauernd ein Fenster aufpoppt mit Nachrichten, wer jetzt wieder im Chat ist, bleiben Konzentration und Motivation schwerlich bei den Vokabeln. Im Fach Latein aber wird hauptsächlich übersetzt. Wer keinen passablen Wortschatz hat, wird nie gut übersetzen können.

In höheren Klassen darf ein Wörterbuch benutzt werden. Was sagen Sie jenen, die darauf hoffen, dass die Sache dann einfacher wird?
Keine übertriebenen Hoffnungen, bitte. Wenn man jede zweite Vokabel umständlich nachschlagen muss, sind Übersetzungen ein mühsames Geschäft. Mit Einführung des G8 wurde der Wortschatz für Lateinschüler erheblich reduziert. Das muss man bedauern. Je größer der Wortschatz, desto leichter fällt das Übersetzen, umso mehr Spaß macht es.

Kennen Sie Kinder, denen Latein Spaß macht?
Selbstverständlich. Einen Satz zu dechiffrieren ist wie eine Denksportaufgabe, eine Knobelei. Es gibt klare Regeln und keinen Raum für Interpretationen und Diskussionen. Das sind Vorteile, die manche sehr zu schätzen wissen. Jawohl, Latein ist ein Paukfach, aber viele Kinder pauken ganz gern, wenn man sie nur lässt. Es gibt enorme Sicherheit, etwas wirklich dauerhaft gelernt zu haben.

Wie lautet Ihr Tipp zum Auswendiglernen?
Den Vokabelkasten habe ich bereits erwähnt. Was Tabellen und Formen angeht, muss jeder seine eigene Methode finden. Als Schüler bin ich immer im Zimmer auf und ab gegangen, während ich Formen laut aufgesagt habe. Grundsätzlich gilt: Den Kindern kann man enorm helfen, indem man sie Vokabeln und Formen abfragt. Das können alle Eltern.

Zumindest jene mit humanistischem Abitur.
Unsinn. Um in Latein gute Noten zu haben, braucht man keine Mutter aus dem Bildungsbürgertum. In den modernen Fremdsprachen haben jene einen Vorteil, deren Familien sich teure Sprachferien leisten können. Da muss man Latein geradezu demokratisch nennen. Da es gesprochen wird, wie man es schreibt, kann jeder, der des Lesens kundig ist, seine Kinder auch ordentlich abhören. Da gibt es keine Ausreden.

 

VITA

Latein-Coach Nikolaus Haeusgen - Magazin SCHULE
  • NIKOLAUS HAEUSGEN, 49, ist einer von zwei Machern des Arbeitsmaterials „Wenn schon, denn schon“. Die Übersetzungsübungen sind unter Lateinschülern, die nach den Schulbüchern „Latein mit Felix“ lernen, der absolute Renner. Haeusgen ist eigentlich Rechtsanwalt. Beim Lateinlernen mit seinen vier Kindern ärgerte er sich über fehlende präzise Aufgaben und fertigte selbst welche an.

 

„Ein Partizip kann auch als Adverbiale zur Umstandsbestimmung der Prädikatshandlung verwendet werden.“ Diesen Satz haben wir dem Grammatikteil für Sechstklässler aus dem Lehrbuch „Comes“ entnommen. Schätzen Sie mal, wie viele Eltern ihren elfjährigen Kindern diesen Satz erklären können?
Die wenigsten, nicht mal ich verstehe ihn. Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Bei diesem Satz handelt es sich schlicht um eine Unverschämtheit. Um ein guter Lateiner zu werden, braucht man keinen überragenden IQ. Ich kenne das Buch und halte es für eine Katastrophe. Unter den schlechten Lateinbüchern ist es das allerschlechteste. Schülern, die mit diesem Buch arbeiten müssen, wünsche ich viel Glück und einen konservativen Lateinlehrer. Dann klappt’s womöglich trotzdem.

Wie sind Sie eigentlich zum Lateinexperten geworden?
Schon als Schüler habe ich Latein geliebt. Als dann mein ältestes von vier Kindern anfing, Latein zu lernen, habe ich mich dafür interessiert, was und wie Schüler heute Latein lernen. Leider habe ich feststellen müssen, dass es in den Büchern meines Sohnes viel zu wenig Aufgaben gab.

Wie bitte?
Klingt hoffnungslos altmodisch, ich weiß. Zugegeben, ich bin kein Didaktiker, aber ich weiß aus Erfahrung: Bunte Bildchen, Sprechblasen und Kreuzworträtsel im Buch bringen Schüler keinen Schritt nach vorn. Mit dem ganzen Firlefanz ist nämlich spätestens in den Klassenarbeiten Schluss. Da zählt nur noch, wie gut ein Schüler übersetzen kann. Das kann aber nur können, wer es vorher geübt hat. Weil es zu wenig geeignetes Übungsmaterial gab, habe ich eben selbst welches erarbeitet.

Hat Ihr Sohn geflucht, oder war er etwa dankbar?
Er hatte jedenfalls plötzlich gute Noten. Nach und nach wurden dann die Freunde hellhörig und baten um die Übungen. Außerdem begann ich, für die Kinder von Bekannten Nachhilfe zu geben. Frau Pellegrine-Theiss, eine befreundete Mutter von drei Lateinschülern, war eine ähnlich Berufene. Gemeinsam haben wir „Wenn schon, denn schon“ entwickelt, reine Übersetzungsaufgaben mit Lösungen für Lateinschüler, die mit dem Buch „Latein mit Felix“ arbeiten.

Wie erfolgreich sind Sie damit?
Ich kann Ihnen hunderte Dankesbriefe von begeisterten Eltern und erleichterten Schülern zeigen. Wer regelmäßig und ernsthaft mit dem Programm arbeitet, dürfte eigentlich nie schlechter als zwei stehen. Wirtschaftlich gesehen fällt der Erfolg für uns Autoren sehr viel bescheidener aus. Es war doch eine Heidenarbeit, und der Schulbuchverlag bekommt selbstverständlich Lizenzgebühren.

Dürfen Eltern darauf hoffen, dass Sie und Ihre Kollegin dennoch an vergleichbaren Übersetzungsheften für weitere Lateinbücher arbeiten?
Nein. Das wäre die reinste Sisyphusarbeit. Es gibt viel zu viele Lateinbücher, und immer wieder kommt auch noch ein neues dazu. Was ich besonders unverschämt finde: Nicht mal innerhalb eines Bundeslands können sich die Schulen auf ein Buch einigen. Eltern von Lateinschülern sollten es sich zweimal überlegen, bevor sie umziehen und ihr Kind an einem anderen Gymnasium anmelden.

Was raten Sie Eltern ganz generell?
1. Reagieren Sie auf schlechte Noten keinesfalls mit Liebesentzug. Das ist grausam und kontraproduktiv. Schauen Sie sich lieber die Anmerkungen des Pädagogen auf der Klassenarbeit genau an, oder lassen Sie sich vom Lehrer erklären, woran es hapert. Liegt es z. B. an mangelndem Wortschatz, muss der systematisch nachgeholt werden.
2. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind regelmäßig lernt. Idealerweise auch am Wochenende und in den Ferien. Das muss ja nicht lang sein. Fünf bis zehn Minuten sind nicht viel, wirken aber Wunder.
3. Ziehen Sie rechtzeitig Nachhilfe in Erwägung. Das ist keine Bankrotterklärung, sondern eine Dienstleistung wie jede andere auch.
4. Glauben Sie jenen Lehrern nicht, die behaupten, es sei für Schüler ausreichend, die Hausaufgaben zu machen. Es reicht nicht. Es muss mehr Übungsmaterial her.

Tipps vom Profi

  • Im Unterricht zuhören
    Wenn Schulkameraden laut übersetzen müssen, nicht abschalten, sondern im Stillen immer mit übersetzen, bei Verständnisfragen den Lehrer um Rat bitten.

  • Vokabeln lernen
    Zusätzlich zu den neuen Vokabeln, die gelernt werden müssen, drei bekannte Wortschätze vergangener Lektionen wiederholen. Sich am Wochenende mit den Vokabeln beschäftigen, die nicht sicher sitzen.

  • Abfragen lassen
    Grundsätzlich gilt: Sicherheit geht vor Geschwindigkeit. Zeigt sich ein Kind unsicher, beim Stoff z. B. der A-Deklination bleiben und nicht gleich die nächste Deklination abfragen.

  • Übersetzen üben, üben, üben
    Wenn geeignete Übersetzungsübungen fehlen: andere Eltern überzeugen und gemeinsam auf dem Elternabend vom Lehrer/der Schule einfordern. Wenn das nichts nützt: das Herstellen von Übungsmaterial organisieren z. B. mithilfe von lateinkundigen Eltern oder Nachhilfelehrern.

  • Der Ding(el)-Trick
    Der Dingel-Trick funktioniert nicht nur bei Verben. Auch bei Substantiven lässt sich das Wort oft aus dem Zusammenhang erschließen. Unbekannte Substantive erst mal mit „Ding“ übersetzen.

Ihr Lieblingsratschlag an Schüler?
Erfolg in Latein hat, wer lernt und sich nicht bange machen lässt. Auch dann nicht, wenn einem z. B. die
Bedeutung des Verbs partout nicht einfällt. Da man beim Übersetzen immer mit dem Prädikat des Hauptsatzes anfängt, geben manche den Satz schon verloren, wenn ihnen die Wortbedeutung des Verbs fehlt.
Der Trick: einfach für das Verb ein Fantasiewort einsetzen, z. B. dingeln. Ich nehme immer „dingeln“. Beispiel: Miles hostem gladio necat. Wenn man necat nicht kennt, ersetzt man es einfach durch „er dingelt“. An der Endung erkennt man die Person und die Zeit. Danach fragt man wie üblich:
Wer oder was dingelt? Miles, also der Soldat.
Wen oder was dingelt der Soldat? Hostem. Den Feind.
Womit dingelt der Soldat? Gladio, mit dem Schwert.
Wie lautet wohl der ganze Satz?

Der Soldat tötet den Feind mit dem Schwert.
Was heißt necare?

Töten.
Sehr gut! Sehen Sie: Und so einfach ist Latein . . .



Unsere Themen im Überblick

  1. von Norbert Bräuninger

    Alles klar, aber : Latein bedeutet lernen, Physik verstehen. Wer lernt schon gerne.
    P.S. Habe das Latinum und Physik im Abi !

  2. von Brandis Helke

    Den Hinweis von Eva Poster halte ich für besonders wichtig. Das wird an der Schule überhaupt nicht mehr geübt. An der Uni (Heidelberg) wird die gesamte Grammatik mit Deutsch-Latein-Übungen geübt. Nur so kann man ein Gefühl für „lateinische „Strukturen bekommen. Außerdem wird den Schülern immer vermittelt , sie müssten Wörter nur lateinisch-deutsch lernen. Also ein passives Lernen , das auf Wiedererkennung beruht. Würde man auch deutsch-lateinisch lernen , wie in allen modernen Sprachen , wäre die Sprache gleich nicht mehr so „tot“. Das Gelernte vernetzt sich besser im Gehirn. Außerdem macht es auch Spass , kreativ mit der Sprache umzugehen.

  3. von Sandra Hörr

    Sehr geehrter Herr Haeusgen,
    das betrifft nicht nur die Übersetzung. Auch Übungen zur Grammatik (Konjugation/Deklination) gibt es so gut wie keine, verglichen mit Englisch – da gibt es sehr gute Seiten im Internet. Die Übungen in den Lehrbüchern (bei uns ist es CURSUS) sind teilweise zu schwer und nicht zielorientiert.
    Ich behelfe mir beim Üben mit meinem Sohn (7. Klasse) mit der Begleitgrammatik, mit deren Hilfe man eben Übungen selbst zusammen stellen muss.
    Eigentlich schade, Latein ist eine so tolle Sprache!

  4. von B.Yaman

    Ich finde es interessant mit welch einem Elan, Sie sich für die Sprache Latein interessieren, die mir seit meiner letzten Klausur schwer auf dem Herzen liegt.. ich weiß nicht, wie ich lernen soll, denn seit Anfang des Schuljahres in 2016 benutzen wir kein Schulbuch mehr und mit dem Lexikon komme ich in keiner Weise zurecht. Irgendwelche Tipps? (Abi Jahrgang 2018)

  5. von Eva Poster

    Hallo Herr Haeusgen,

    Da sind wir gleicher Meinung. Mit meinen Kindern habe ich genauso Latein gelernt wie Sie, bin halt auch Juristin….. Wichtig ist, das System zu kapieren, Verbindungen zum bereits gelernten herzustellen, das gleiche Thema in verschiedenen Zusammenhängen darzustellen (erkennen zu lassen) und Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. Man soll es nicht glauben: Meine Kinder lieben Latein. Was ich auch nur empfehlen kann: Übersetzung vom Deutschen ins Lateinische – das ist eine hervorragende Übung!

    Viele Grüße
    Eva Poster

Kommentieren