Wundern & Wissen

Positives Denken hilft Schülern – nicht.

Großer Optimismus hindert Kinder und Jugendliche daran, ihre Lernziele zu erreichen – Pessimismus allerdings auch. Erfolgreiche Schüler setzen sich realistische Ziele, rechnen mit Hindernissen und entwickeln Lernstrategien, um diese zu überwinden. Dabei ist es wichtig, immer den Weg im Auge zu behalten


Niko kennt positives Denken. Denn er hat einen Traum: Der 15-jährige Gymnasiast aus Karlsruhe will im nächsten Schuljahr nach Brüssel gehen. Über den Hausaufgaben brütend baut er Luftschlösser, wie er auf dem „Grand Place“ im Stadtzentrum steht und sich den Wind der Freiheit um die Nase wehen lässt. Einzige Hürde: Niko benötigt in Französisch eine Zwei im Halbjahreszeugnis, damit der Aufenthalt bewilligt wird. Deshalb soll er Grammatik und Vokabeln pauken, aber wochenlang geschieht nichts: Niko feiert Partys, hängt mit Freunden ab, zockt am Computer. Sein Vater kann es nicht fassen: „So wird das nichts mit Brüssel!“

Viele Eltern kennen diese Situation: Ihr Kind setzt sich ein Ziel, wirkt hochmotiviert – unternimmt aber nichts, um es zu verwirklichen. Warum Menschen lieber Luftschlösser bauen, als die Ärmel hochzukrempeln, hat die Psychologieprofessorin Gabriele Oettingen 20 Jahre lang an den Universitäten Hamburg und New York erforscht. Ausgerechnet positives Denken hat sie als Widersacher des Erfolgs ausgemacht: „Oft meinen wir, positives Denken führe zum Erfolg, weil wir uns dann so verhalten, dass das gewünschte Ereignis eintritt. Das ist aber nicht so einfach.“ Im Gegenteil: Wer ständig träumt und darüber die steinige Wirklichkeit vergisst, scheitert leichter – das hat die Psychologin in zahlreichen Studien belegt.

Positives Denken nimmt Schülern die Energie, ihre Pläne umzusetzen

Dafür ließ sie Schüler, Studenten und Erwachsene in Wunschträumen schwelgen und 14 Tage später Bilanz ziehen: Was hatten die Probanden unternommen, um ihre Ziele zu verwirklichen? Das Ergebnis ernüchterte: nicht viel. Gabriele Oettingen erklärt das so: Den Träumern fehlt die Energie für die Umsetzung ihrer Wünsche, sie haben sie verbraucht, als sie sich ihre rosa Traumwelt zimmerten. „Menschen, die eine positive Zukunft imaginieren, fühlen sich, als hätten sie ihr Ziel schon erreicht: ‚Ahhh, die Vokabeln sind gelernt. Der Konflikt ist gelöst. Ich bin mit meinem Schwarm zusammen – toll!‘ Diese Vorstellung entspannt, macht zufrieden, senkt den Blutdruck – und lässt die Motivation schwinden.“ Positives Denken schön und gut, aber damit verpufft auch die Energie, Widerstände zu überwinden.

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„Den meisten Schülern ist nicht klar, dass und wie sie ihren Lernfortschritt selbst überwachen können Heidrun Stöger, pädagogische Psychologin

Niko stolpert Mitte Dezember über sein erstes Hindernis: Vor die Entscheidung gestellt, für den wichtigen Französischtest zu lernen oder mit Freunden ins Kino zu gehen, zieht er das Kinoevent vor. Unwahrscheinlich, dass er die Zwei im Halbjahreszeugnis jetzt noch erreicht. Der Brüsseler Traum droht zu zerplatzen. Wüsste Niko, wie man reguliert lernt, hätte er der Versuchung widerstanden und die zielführende Entscheidung getroffen, Vokabeln zu pauken.

Wenn Motivation auf Widerstände und Konflikte stößt, entscheidet die Fähigkeit zur Selbstregulation darüber, ob jemand sein Ziel erreicht. Schüler, die selbstreguliert lernen, bestimmen ihre Lernziele selbst, wählen angemessene Strategien und setzen sie ein. So motivieren sie sich auch dann zum Lernen, wenn lärmende Geschwister oder Partyeinladungen die Konzentration stören. Widerstreitende Interessen koordinieren sie: lernen oder Freunde treffen? Einfach gemeinsam lernen! Kurz: Schüler, die ihr Lernen regulieren können, übernehmen die Verantwortung für ihren Lernprozess selbst und verwirklichen zielstrebig ihre Träume.

Leider verfügen nur wenige Schüler von vornherein über die Gabe der Selbstregulation – ein Grund, warum viele ihre Talente nicht in Leistung umsetzen können. Die gute Nachricht: Selbstregulation kann man durch gezielte Übungen erlernen.

„Restless“ heißt das Selbstregulationstraining für Lese- und Schreibstrategie, das Pädagogen derzeit an 66 bayerischen Grund- und Mittelschulen lehren: ein Forschungsprojekt der Universität Regensburg unter der Leitung der Professorinnen Anita Schilcher und Heidrun Stöger, das durch das Mercator-Institut gefördert wird. „Den meisten Schülern ist nicht klar, dass und wie sie ihren Lernfortschritt selbst überwachen können“, beobachtet Heidrun Stöger. „Restless“ will Viert- und Fünftklässler durch ein systematisches Training befähigen, selbstreguliert zu lernen: Drei Monate lang üben sie im Fach Deutsch täglich, Stärken und Schwächen einzuschätzen, sich angemessene Lernziele zu setzen, den Lernprozess strategisch zu planen, bereits erlernte Strategien auszuwählen, anzuwenden und so anzupassen, dass sie ihr Lernziel erreichen.

So können Eltern ihren Kindern helfen, Ziele zu verfolgen

  • Emotional helfen
    Eltern zeigen Interesse an den schulischen Belangen ihres Kindes und vermitteln ihm das Gefühl, dass es akzeptiert und wertgeschätzt wird. Bei Misserfolgen wie schlechten Noten trösten sie und machen ihm Mut fürs nächste Mal.

  • Autonomie unterstützen
    So wenig Unterstützung wie möglich, so viel wie nötig: Kinder sollte man ermutigen, Probleme selbstständig zu lösen – und dabei auf klein-
    schrittige Anweisungen verzichten. Bei Leistungsproblemen gemeinsam mit dem Kind die Gründe herausfinden und Lösungsmöglichkeiten suchen.

  • Struktur geben
    Die Lernumgebung von Schülern sollte so strukturiert sein, dass das Kind nicht mit Wahlmöglichkeiten
    überfordert wird. Dazu schaffen Eltern transparente Regeln und Standards: „Wenn du aus der Schule kommst, machst du erst einmal Hausaufgaben.“ Regeln wie diese sollten unbedingt konsequent eingehalten werden.

  • Druck nehmen
    Leistungsorientierter Druck sollte tabu sein: Eltern verzichten möglichst darauf, die Anstrengungen und Leistungen des Kindes zu kontrollieren, und versuchen nicht, sein Lernverhalten durch
    Belohnungen oder Bestrafungen zu steuern.

Die Grundschullehrerin Gabriele Stier hat „Restless“ erfolgreich an der Regensburger Theo-Betz-Grundschule angewendet: „Einige Schüler blühten regelrecht auf, als sie realisierten, dass ich ihre Leistung nicht bewerte, sondern mit ihnen zusammen erforsche, wie sie besser werden und ihren eigenen Lernweg gehen können. Alle Kinder entwickelten sich zu Experten ihres eigenen Lernens.“

Leider wird Selbstregulation nur an wenigen Schulen in Deutschland gelehrt. Damit auch andere Schüler wie Niko nicht nur positives Denken üben, sondern ihre Ziele auch planmäßig umsetzen können, hat Gabriele Oettingen die Selbstregulationstechnik „Woop“ entwickelt. Die Methode ist schnell erlernt, lässt sich gut in den Alltag integrieren, kostet wenig Zeit, kein Geld und macht sogar Spaß.

Die Alternative heißt „Woop“

Am Anfang steht der Wunsch (engl. „wish“). Schüler formulieren ein realistisches Ziel, etwa „Französischnote verbessern“. Anschließend identifizieren sie das bestmögliche Ergebnis („outcome“) und malen es sich lebhaft aus. Dann kommt das Umlegen des Schalters: Welches innere Hindernis („obstacle“) steht mir im Weg? Zuletzt kommt das P für „plan“ – man überlegt, wie sich das Hindernis überwinden lässt, und entwickelt einen ganz konkreten Wenn-dann-Plan: Wenn ich versucht bin, mit meinen Freunden auszugehen, dann sage ich Nein und verschiebe es aufs Wochenende.

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„Purer Optimismus hindert uns daran, Ziele zu erreichen Gabriele Oettingen, Psychologin

Wer sich auf diese Weise seinen Wunsch und mögliche Hindernisse bewusst macht, verknüpft automatisch Zukunft und Realität miteinander und fügt mit dem Plan-Schritt auch noch konkretes Verhalten hinzu. Am Ende kann man sich seinen Wunschtraum nicht mehr ohne Hindernis und zugehörigen Lösungsplan vorstellen – und verbindet das mit dem Alltag: „Das Treffen mit Freunden erhält den Stempel ‚Hindernis‘ und kann leichteren Herzens verschoben werden“, beobachtet Gabriele Oettingen. Die Verknüpfung Ziel-Hindernis-Lösung hilft, Versuchungen zu widerstehen und den Lernprozess auf das Ziel auszurichten. Wobei die Reihenfolge wichtig ist: „Woop funktioniert zum Beispiel nicht, wenn man sich zuerst das Hindernis und dann das Ergebnis vorstellt“, betont Oettingen.

Aber eignet sich Woop auch für mutlose Kinder? Michaela Brohm von der  Universität Trier ist skeptisch: „Kinder, die sich selbst unter Druck setzen und bereits unter Ängsten oder Stress leiden, könnten resignieren, wenn sie sich auch noch die Hindernisse vorstellen. Eine positive Zielvorstellung, bei der die Zwischenziele dann Stück für Stück geplant werden, halte ich für effektiver und gesünder.“ Gabriele Oettingen teilt diese Bedenken nicht. Sie ist überzeugt, dass selbst Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten davon profitieren und Selbstvertrauen gewinnen, wenn sie innere Hindernisse kennen und aktiv selbst nach Lösungen suchen. Und Niko? „Als Mutter würde ich ihn nach seinem Herzenswunsch fürs nächste Schuljahr fragen“, rät Brohm. Vielleicht will er lieber ein Praktikum als Autodesigner absolvieren? „Kinder und Jugendliche liefern überraschende Antworten, wenn Eltern sie, was viel zu selten vorkommt, nach ihrem größten Wunsch fragen.“

Autorin: Monika Holthoff-Stenger



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