Pubertät: Hilfe, mein Kind spricht nicht! Interview Katharina Pommer – Magazin SCHULE
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Pubertät: Hilfe, mein Kind redet nicht!

In der Pubertät mutiert so manches Kind zur Auster: verschlossen und redet nicht. Wie es trotzdem gelingt, mit Teenies im Gespräch zu bleiben: ein Interview mit Familientherapeutin Katharina Pommer


Eltern kennen das: Pubertät ist, wenn mein Kind nicht mehr mit mir redet. Katharina Pommer, als Familientherapeutin und Mutter von fünf Kindern haben Sie viel Erfahrung mit dem Thema Pubertät. Ihr Eindruck: Werden alle Teenies irgendwann einsilbig gegenüber ihren Eltern?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei uns sind aktuell zwei Kinder in der Pubertät, eines hat sie schon hinter sich. Da beobachte ich, dass die Mädels redselig bleiben und die Jungs eher eine Aufforderung bedürfen. Aber letztlich entwickelt sich jedes Kind anders.

Was mache ich als Mutter oder Vater, wenn in der Pubertät ausgerechnet mein Kind nicht redet?

Erst einmal ist es mal ganz wichtig sich bewusst zu machen, dass die Pubertät eine Zeit der Unsicherheit und des Zweifelns ist. Die Pubertierenden fühlen sich nicht mehr als Kind, aber die Welt der Erwachsenen ist ihnen auch noch nicht ganz zugänglich. Sie wünschen sich, von ihren Eltern auf Augenhöhe behandelt zu werden, aber den Eltern fällt das schwer. Hinzu kommt, dass viele Teenager ein Gefühlschaos im Kopf haben, das ganze Gehirn wird ja umstrukturiert. Eltern können das oft nicht nachvollziehen. Sie wundern sich nur: Was passiert da eigentlich mit meinem Kind? Warum ist es plötzlich so schwierig, warum habe ich keinen Zugang mehr zu ihm? Das Kind blockiert plötzlich, verhält sich irrational, oft auch impulsiv. In meiner Praxis fragen viele Eltern mich: Warum reagiert mein Kind so aggressiv, ich habe ihm doch nur eine normale Frage gestellt?

Warum reagiert mein Kind so aggressiv, ich habe ihm doch nur eine normale Frage gestellt?

Eine typische Situation. Was antworten Sie dann?

Ich erkläre den Eltern, dass Teenager Emotionen ganz anders verarbeiten als Erwachsene. Dazu gibt es viele Forschungen: Zum Beispiel hat man Jugendlichen und Erwachsenen Bilder gezeigt von Menschen, die wütend sind oder lachen, die ärgerlich oder aggressiv schauen. Dann hat man die Hirnströme der Teilnehmenden aufgenommen und herausgefunden, dass die Jugendlichen diese Bilder in der Amygdala verarbeiten, einer Gehirnregion, in der Entscheidungen eher emotional und kurzentschlossen getroffen werden. Bei den Erwachsenen hingegen findet die Verarbeitung im Frontalen Kortex statt, der im Gehirn für rationale Entscheidungen zuständig ist. Deshalb ordnen Jugendliche Emotionen anders ein und reagieren schnell impulsiv. Wenn die Mama zur Tür hereinplatzt und ruft: „Kannst du jetzt bitte endlich dein Zimmer aufräumen?“, dann kann es eben sein, dass der Jugendliche die Tür zuknallt und sagt: „Jetzt lass mich mal in Ruhe!“

So etwas passiert oft. Aber aufräumen muss der Teenie eben trotzdem.

Das mag ja sein. Nur dürfen die Eltern so eine Reaktion nicht persönlich nehmen. Hier ist Empathie ganz wichtig: dass man versucht, die Perspektive des Teenagers zu verstehen und sich in seine Lage hinein zu versetzen. Dass man Verständnis zeigt für die Gefühle und Erfahrungen des Kindes. Und dass man nicht mehr so direktiv von oben nach unten agiert, sondern mehr auf Augenhöhe kommt. Wenn ich weiß, dass mein Kind Emotionen gerade ganz anders verarbeitet als ich, fällt es mir leichter, Kritik und Vorurteile zu vermeiden, so gut es geht.

Wie können Gespräche dann besser gelingen?

Zum einen findet echte Kommunikation vor allem dann statt, wenn wir offene Fragen stellen – also solche, die nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden können, sondern zu einer Diskussion, zu einer Reflexion anregen. Das eröffnet den Raum für tiefere Gespräche.

Welche Fragen wären das zum Beispiel?

Nun, es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob ich frage: „Ist auf der Party am Samstag wieder dieser Peter, der sich ständig besäuft und kifft?“ Oder ob ich von dem spannenden Artikel über Teenager und Drogen erzähle, den ich gelesen habe, und mein Kind frage, was es in seinem Freundeskreis zu dem Thema schon erlebt hat.

Pubertät, und das Kind redet nicht? Ins Gespräch kommt man über alltägliche Dinge

Ins Gespräch kann man auch über ganz alltägliche Dinge kommen, etwa indem man fragt: „Ich habe gesehen, dass du diesen Pulli von Snipes sehr oft trägst. Gibt es noch eine andere Marke, die du gut findest? Und magst du mir mal zeigen, welche Farben dir gefallen?“ Es geht darum, dieses ständige Ja-Nein-Verhör zu vermeiden und statt dessen auch über die eigenen Wahrnehmungen und Gefühle zu sprechen.

  • Familientherapeutin Katharina Pommer - Magazin SCHULE

    Katharina Pommer ist Familientherapeutin,
    Autorin und fünffache Mutter. Ihr Elternratgeber „Vom Umtausch ausgeschlossen“ ist bei Goldegg
    erschienen. Mehr Info unter www.mindshift.family

Was hilft sonst noch?

Der nächste Punkt ist aktives Zuhören. Das bedeutet, dem Teenager im Gespräch tatsächlich die volle Aufmerksamkeit zu schenken und nicht parallel am Handy zu wischen oder mit dem kleinen Geschwisterkind zu diskutieren. Stellen Sie Rückfragen, drücken Sie auch mal Ihre Gefühle und Gedanken aus und seien Sie vor allem offen und unvoreingenommen. Und schließlich geht es noch darum, eine gute Gesprächssituation zu schaffen. Ich gehe zum Beispiel mit meinen Teenagern gern spazieren und sage: „Komm, ich würde gerne mit dir ein bisschen quatschen.“ Oder man nutzt die Zeit im Auto, wenn man sein Kind irgendwo abholt: „Verbinde doch mal deinen Spotify-Account mit dem Auto und lass uns die Musik hören, die du gerne hörst. Was ist das denn so?“ Interesse zeigen statt kritisieren, darum geht es.

Es ist allerdings im Alltag nicht immer einfach, solche Situationen zu schaffen. Jeder hat seine Termine, unterschiedliche Interessen oder gerade andere Sachen im Kopf.

Natürlich kann das schwierig sein, weil man zum Beispiel erst abends nach Hause kommt und der Teenager dann schon im Zimmer sitzt und nicht einmal mehr runter zum Essen kommt. Und am Wochenende haben Jugendliche auch keine Lust mehr, mit Fahrradfahren gehen oder einen Familienausflug zu machen. So verstreicht ein Tag nach dem anderen. Aber Familien brauchen einfach regelmäßige Treffpunkte! Wie das gemeinschaftliche Abendessen: Dort erfahre ich als Mutter, ob bei meinem Kind eine Mathearbeit ansteht oder ob es gerade an einem Referat schreibt. Und dann muss ich am nächsten Tag nicht fragen: „Wie war’s in der Schule?“, sondern kann sagen: „Du hast doch heute das Referat gehalten. Wie war das Gefühl, vor der Klasse zu stehen, warst recht aufgeregt oder ging’s?“ Ich kann also viel konkretere Fragen stellen, weil ich im Alltag Räume für Gespräche geschaffen habe und weiß, was im Leben meines Kindes passiert.

Sonntag ist unser Familientag, da unternehmen wir was gemeinsam

Viele Jugendliche gehen solchen Familiengesprächen gern aus dem Weg.

Deswegen müssen Familien Räume schaffen, die wirklich Ritual sind. Rituale geben Halt, geben Sicherheit. Das gemeinsame Abendessen zum Beispiel muss ein fester Termin sein, auf den sich alle kommitten, auch die Erwachsenen. Oder am Wochenende: Kein Problem, du kannst fortgehen und deine Freunde treffen, alles in Ordnung. Aber der Sonntag ist unser Familientag, und da unternehmen wir was gemeinsam. Vielleicht nicht mehr den ganzen Tag, aber es gibt ein Zeitfenster von zwei Stunden, in denen wir was zusammen machen. So etwas schafft Raum für Begegnung.

Haben Sie nicht den Eindruck, dass Teenager so etwas lästig finden?

Im Gegenteil. Studien zeigen, dass Jugendliche sich eher darüber beschweren, keine gemeinsame Zeit mehr mit den Eltern zu verbringen. Sie beklagen, dass die Eltern wenig Interesse zeigen und ihnen das Gefühl geben, jetzt müssten sie alleine klarkommen. Dabei brauchen gerade Teenager ganz viel Zuwendung, nur auf einer anderen Ebene als früher. Man muss ihnen nicht mehr die Zähne putzen und sie wickeln. Aber Jugendliche möchten das Gefühl haben, dass die Eltern sich für sie interessieren und Respekt haben für ihre Person.

Eltern sollten in der Pubertät auf Augenhöhe gehen

Und wie zeigt man Jugendlichen in der Pubertät diesen Respekt?

Indem man sich nicht mehr in der Hierarchie weit über sie stellt und ihnen vorgibt, was sie dürfen und was nicht. Eltern sollten jetzt eher Mentoren sein, mit denen ich als Teenie auf Augenhöhe Gespräche führen und diskutieren kann: Warum ist es jetzt nicht in Ordnung, wenn ich auf dieses Festival gehe? Wovor hast du Angst, Mama oder Papa? Wie kann ich dir die Angst vielleicht nehmen? Für so etwas braucht es gegenseitiges Verständnis und Respekt.

Beim 16-Jährigen kann ich nicht mehr jeden Schritt verfolgen wie beim Kleinkind

Betrachten wir es evolutionsbedingt: Teenager bereiten sich darauf vor, ein eigenständiges Leben zu führen. Da kann ich bei meinem 16-Jährigen nicht mehr jeden Schritt verfolgen wie bei einem Kleinkind, sondern muss ihm auch etwas zutrauen. Ich bleibe wichtig als Stütze und Halt, der Junge muss wissen: Wenn es wirklich brennt, stützen mir meine Eltern den Rücken und hauen mir nicht noch mal eine oben drauf. Aber seine Zeit verbringt mein Teenie jetzt lieber mit seinen Freunden. Und über manche Themen wie etwa den ersten Samenerguss möchte er einfach nicht mit Mama oder Papa sprechen.

Verständlich, wenn man an die eigene Jugend zurückdenkt.

Richtig. Aber viele Eltern schaffen diesen Sprung nicht: Es gelingt ihnen nicht, sich in ihr Kind hineinzuversetzen und sich gleichzeitig daran zu erinnern, wie es früher bei ihnen war. Deshalb fällt es ihnen schwer zu akzeptieren, dass sich in der Beziehung zu ihrem Kind etwas ändern muss. Bei Fünfjährigen kann man vielleicht noch ins Zimmer reingehen ohne zu klopfen. Aber bei einem 16-Jährigen macht man das nicht zweimal. Diesen Entwicklungsprozess müssen die Eltern mitgehen, und das ist nicht einfach. Da passiert ja auch ganz viel in einem selbst. Im Grunde bereitet man sich langsam auf das „leere Nest“ vor, in dem man sich wiederfindet, wenn das eigene Kind schließlich ausgezogen ist.

Kein Wunder, dass auch die Eltern manchmal bedrückt sind. Dann ist es wohl ungerecht, allein dem Teenie die Schuld für schlechte Stimmung zu Hause zuzuschreiben?

Wenn wir mit einem Finger auf unseren Teenager zeigen, zeigen mindestens drei Finger auf uns zurück. Unser Kind hört uns nicht mehr zu und macht nur noch sein Ding? Dann sollten wir uns selbst fragen, wann wir wirklich zuhören und ob wir vielleicht auch nur noch unser Ding machen. Leisten wir wirklich unseren Anteil daran, Begegnungen zu schaffen? Oder ist es ganz bequem, dass man von dem Teenie in seinem Zimmer nicht mehr viel mitbekommt?

Das alles hat viel mit Reflexion zu tun und mit der Fähigkeit, auch eigene Schwächen einzugestehen: Ich bin gerade ein bisschen überfordert, das tut mir leid. Ich habe zuletzt nicht so die Zeit für dich gehabt. Aber in zwei Wochen ist mein Projekt im Job endlich fertig, dann bin ich wieder voll für dich da.

Wenn Eltern eine solche Kommunikation auf Augenhöhe gelingt, kann diese Phase sogar sehr fruchtbar sein: Dann erlebt der Jugendliche den Vater und die Mutter nicht mehr als höhere Instanzen, sondern einfach als Mann und Frau – mit eigenen Visionen, mit eigenen Bedürfnissen, mit Sehnsüchten, auch mit zerbrochenen Träumen. Als Menschen mit Fehlern und Herausforderungen, aber auch mit vielen wunderbaren Eigenschaften. Das ist dann wirklich der Übergang zum Erwachsensein.

 

„Pubertät: Hilfe, mein Kind redet nicht!“ – Mit Teenies im Gespräch bleiben – Foto: Markus Brönner



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