Wundern & Wissen

Pubertät: Das Chaos im Kopf

Englisch-Klassenarbeit verpennt, Omas Geburtstag vergessen oder die nagelneue Jacke? Wenn Kinder zu Teenagern werden, droht die gefürchtete Pubertäts-Demenz


Am Montag war es das vergessene Deutschbuch, am Dienstag schafften es die Duschsachen nicht in die Sporttasche, am Mittwoch hatte Oma Geburtstag, diesmal ohne Gratulationsanruf vom Enkel. Und am Donnerstag machte der Hund ins Haus. „Ach ja, die Gassirunde! Die habe ich voll vergessen!“ Jan, ist 14, in der Pubertät und hat es gerade nicht leicht im Leben. Ständig gehen Dinge schief. „Mir fallen die Sachen einfach wieder aus dem Kopf, ich kann mir das auch nicht erklären“, sagt er schulterzuckend. Eigentlich ist Jan nämlich sehr zuverlässig und bemüht. „Ich will schon alles auf die Reihe kriegen“, sagt er. „Aus irgendeinem Grund funktioniert es nur nicht.“

Oh shit, Oma hatte Geburtstag…!

Jans Schusseligkeit ist für seine Eltern immer wieder ein Ärgernis. „Wir müssen ihn ständig erinnern, ihm teilweise die Sachen auch hinterhertragen“, schimpft Madeleine, Jans Mutter. „Und wenn der Hund dann den ganzen Nachmittag nicht rauskommt oder Jan vergisst, den Herd nach dem Kochen auszuschalten, bin ich auch echt sauer!“

Rolle rückwärts. Viele Eltern pubertierender Kinder kennen dieses Phänomen: Wenn mit zwölf, 13 Jahren endlich viele Alltäglichkeiten funktionieren, die Schultasche selbstständig gepackt und das Haustier eigenverantwortlich gefüttert werden kann, macht die Entwicklung plötzlich eine Rolle rückwärts, und der Teenie wird wieder zum Turnbeutelvergesser. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass Jan seinen Kopf gar nicht eingeschaltet hat. Der ist irgendwo im Offline-Modus“, beschreibt es Madeleine.

„Diese Unorganisiertheit ist ganz normal in diesem Alter, da brauchen Eltern sich nicht zu sorgen“, sagt Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinderpsychiatrie und -psychosomatik im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der Professor erklärt: „In der Pubertät kommt es im Gehirn zu vielfältigen neuronalen Umbauprozessen, die sich auch auf das Verhalten auswirken.“ Wissenschaftlich seien die Veränderungen im Kopf noch nicht vollständig geklärt, bekannt sei aber, das sich die weiße Hirnsubstanz erweitert. Alte Nervenverbindungen aus der Kindheit werden aufgelöst, neue entstehen. Der Umbau ist ein Tuning fürs Gehirn – es soll schneller und flexibler werden, um in der Welt der Erwachsenen bestehen zu können.

Doch: Wo umgebaut wird, dort herrscht Unordnung. In der vorderen Hirnregion, dem Stirnlappen, der für strategisches Denken, Planung und Organisation zuständig ist, fliegen in der Phase der Pubertät regelmäßig die Sicherungen raus. „Auch die Verbindungen zwischen Kontroll- und Emotionssystem sind noch sehr dünn, sie bilden sich erst bis zum 25. Lebensjahr vollständig aus“, sagt Schulte-Markwort. Die Folge: Die Gefühle können das Verhalten nur begrenzt beeinflussen. Ein schlechtes Gewissen wegen des vergessenen Geburtstags der Oma hält nur kurz an, einen nachhaltigen Lerneffekt hat es in der Regel kaum.

Mathe-Klausur, morgen?

Leben im Jetzt. „Denk dran – morgen ist der Zahnarzttermin!“ Das sind Worte, wie in Mehl geblasen. „Das Zeitgefühl von Jugendlichen ist mit dem von Erwachsenen nicht zu vergleichen“, erklärt der Kinderpsychiater. Ihre innere Uhr tickt nicht in den Zeitvorstellungen, die für die Eltern grundlegend sind. „Teenager leben sehr stark auf den Augenblick bezogen, sie haben Tage oder Wochen noch nicht im Gefühl.“ Besonders auffällig sei das in der Berichterstattung. Wer Jugendliche bittet, zum Beispiel von der vergangenen Klassenfahrt zu erzählen, erfahre zunächst oft nur die Erlebnisse unmittelbar vor der Rückkehr. Was in den ganzen Tagen zuvor passiert ist, sei schon mit dem Nebel des Vergessens belegt. „Die Kinder müssen dann echt grübeln, um noch auf die Geschehnisse in den Tagen davor zu kommen“, sagt Schulte-Markwort. Auch das beliebte Wörtchen „gleich“, das für Erwachsene einen relativ konkreten Zeitrahmen in der nächsten Viertelstunde vorgibt, ist für Jugendliche ein Wort ohne Substanz: „Für sie ist gleich auch noch in fünf Stunden.“

Bei 30 oder mehr Unterrichtsstunden pro Woche, Hausaufgaben und Klausurenvorbereitungen, vielleicht noch einem Hobby, ist es für viele Teenager generell schon schwer, alles im Blick zu behalten – auch ohne Baustelle im Kopf. „Der Leistungsdruck für Jugendliche ist heute enorm“, sagt der Experte. Dass in der Pubertät neben Lateinvokabeln und Matheformeln die Absprache mit der Mutter vergessen wird, sei aus diesem Blickwinkel ganz normal: „Irgendwann läuft das Fass eben über. Auch Kinder können nur begrenzt Informationen speichern.“

Erinnerungshilfen für Traumtänzer

  • Handy-Support:
    Aufs Handy zu schauen vergessen die meisten Jugendlichen garantiert nicht. Es ist also sinnvoll, kleine Erinnerungen auf den mobilen Begleiter zu schicken, etwa über SMS oder als Chatnachricht bei WhatsApp.

  • Memo-Wand:
    Gibt es eine Wand im Haus, auf die immer der Blick fällt? Ein Beispiel wäre die Flurwand neben der Garderobe. Hier können Memo-Zettel für wichtige Tagesaufgaben geklebt werden: „15 Uhr Zahnarzt!“, „Müll rausbringen“, „Katze füttern“. Ist die Aufgabe erledigt, kann der Zettel abgenommen werden.

  • Frühstücks-Planung:
    Besprechen Sie morgens den anstehenden Tag. Was liegt an? Lassen Sie Ihr Kind die Termine noch mal wiederholen, das hilft beim Abspeichern.

  • Familienkalender:  
    Die Termine und Aufgaben der ganzen Familie sollten in einem Kalender festgehalten werden. Auch Schultermine wie die nächste Mathearbeit gehören dort hinein. Setzen Sie sich einmal die Woche, am besten am Sonntag, zusammen, und besprechen Sie die nächsten Tage. Wann ist es klug, mit dem Üben für Mathe anzufangen? Wer kann dabei helfen?

  • Arbeit und Vergnügen:
    Verknüpfen Sie bestimmte Tätigkeiten mit Belohnungen, frei nach dem Motto: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Der Fernseher darf zum Beispiel erst nach dem Spaziergang mit dem Hund angeschaltet, das Handy nach Erledigung der Hausaufgaben herausgeholt werden.

Schulte-Markwort rät Eltern deshalb, auch mal einen Blick auf die Verpflichtungen der Kinder zu werfen, bevor die Vergesslichkeit zum Streitthema gemacht wird. „Vielleicht bewirkt ein bisschen Entlastung auch schon eine ganze Menge.“

Daneben gilt: Eltern sollten sich nicht selbst zu viel Stress machen. Wer sich keine Regenjacke einpackt, wird eben nass. Wer sein Schulbrot liegen lässt, muss den knurrenden Magen aushalten. Oder einen Plan B finden. „Eltern können ihre Kinder auch einfach unterstützen, in dem sie zum Beispiel still und leise das Schulbrot in die Tasche packen“, sagt Schulte-Markwort. „Aber sie dürfen nicht wegen jeder vergessenen Kleinigkeit eine Diskussion anzetteln. Das hat keinen pädagogischen Effekt.“

Die Aufgabe der Eltern sieht der Experte im Blick auf das große Ganze. „Die Kunst wäre es, die Kinder so durch die Jugendzeit zu geleiten, dass sie die führende Hand gar nicht bemerken.“ Im Alltag bedeutet das: erinnern, wenn die nächste Klausur ansteht, mal einen Blick in die Sporttasche werfen, bevor es zum Endspiel geht. „Natürlich ist es für Eltern anstrengend, immer im Hintergrund die Fäden zu ziehen, aber das gehört nun mal dazu. Man darf Kinder nicht vor die Wand laufen lassen.“

Sorgen, dass ihre Teenies durch dieses Back-up nicht selbstständig würden, bräuchten Eltern sich dabei nicht zu machen. Das passiere nämlich von ganz allein, sagt Michael Schulte-Markwort: „Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.“



Unsere Themen im Überblick

  1. von Armin Zettler

    An unserer Schule setzen wir hierzu die App von schultermine.de ein. Sie ist zwar fokussiert auf Eltern von Grundschülern, lässt dich aber auch hervorragend in weiterführenden Schulen einsetzen. In Absprache mit den Lehrern, die uns Eltern darin die Termine posten, können wir Eltern dezent nachfragen, ob es bei der Vorbereitung auf eine bestimmte Klassenarbeit oder Hausaufgabe Hilfsbedarf gibt.
    So lässt sich das „Kind“ unauffällig begleiten und lenken.

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