Foto: Heldenherzen
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Cosplay mit Mission

Ihr Auftrag: Kinder glücklich machen. Was diese modernen Superhelden mit ihren Besuchen in Krankenhäusern und Kinderhospizen leisten, ist mindestens so wichtig, wie die Welt zu retten


Kannst du fliegen?“, fragt Hannah. Peter Pan stemmt die Hände in die Hüften und hebt das Kinn: „Natürlich!“ Die Sechsjährige bleibt skeptisch. „Zeig!“ Zum Glück ist der Junge, der nie erwachsen werden will, um keine Ausrede verlegen: „Dafür brauche ich meine Tinkerbell, und die ist gerade beschäftigt.“ Die Fee mit dem grünen Kleidchen und den durchsichtigen Flügeln steht ein paar Schritte entfernt beim Gehege mit den Meerschweinchen. Dass ihr Freund mal wieder ihre Hilfe braucht, merkt sie gar nicht. „Dann musst du’s mir später zeigen“, fordert Hannah. „Mach ich.“ Peter Pan steht auf und hüpft davon. Mit ziemlich großen Sprüngen. Denn eigentlich ist er schon längst erwachsen.

Die Maske ist auch Schutz. Wenn es Kindern schlecht geht, geht mir das sehr nah Kevin Specht, Gründer „Helden für Herzen“

In Wirklichkeit heißt Peter Pan Adrian Niebel und arbeitet als Büroassistent bei einem Chemiekonzern. In seiner Freizeit schlüpft er in Leggins, zieht eine feuerrote Perücke über die dunkelblonden Haare und verwandelt sich in Peter Pan. Der lebt in den Kindergeschichten von James Matthew Barrie auf der Insel Nimmerland und kämpft gegen den Piraten Käpt’n Hook. Seit zehn Jahren ist Niebel ein sogenannter Cosplayer, der ins detailgetreue Kostüm seines Comic- oder Märchenhelden schlüpft. „Beim Cosplay kann ich mich kreativ ausleben und Leute treffen, die das Gleiche toll finden“, erklärt Niebel seine Begeisterung für das Hobby.

Meist kommen Cosplayer auf Messen wie der Frankfurter Buchmesse zusammen. Heute aber hat Niebel eine ganz besondere Mission: Er besucht den „Tag der offenen Tür“ des Kinderhospizes Bärenherz bei Leipzig. Seine Mitstreiter: Sandy Fichter alias Tinkerbell und Florian Pietsch, Rukshan Nandakumar und Kai Dreßler als die Comic-Helden Iron Man, Nick Fury und Hawkeye. Die fünf engagieren sich in der Initiative „Helden für Herzen“, die sich für kranke Kinder einsetzt.

Was ist Cosplay?

  • Der Trend schwappte in den Neunzigern aus Asien nach Europa: Der Begriff vereint die englischen Begriffe „costume“ und „play“. Fans verkleiden sich detailgetreu als ihre Vorbilder, zum Beispiel als Märchenfigur Tinkerbell oder als Comic-Held Spiderman. Cosplayer treffen sich auf sogenannten Con-
    ventions – und nutzen das Phänomen neuerdings für soziale Zwecke

Während sie durch den Park schlendern, in dem das Hospiz liegt, ziehen sie in ihren Kostümen viele Blicke auf sich. Manche zücken das Smartphone, um ein Foto von der bunten Truppe zu machen. Doch die Helden sind heute nicht nur zum Posieren da. „Lasst uns tun, wofür wir hier sind!“, ruft Peter Pan, assistiert von Tinkerbell: „Wir klemmen uns ein Kind unter den Arm und bespaßen es!“

Anders als die fünf ist Kevin Specht, Gründer von „Helden für Herzen“, kein eingefleischter Cosplayer. „Ich bin da eher reingerutscht“, erzählt er über sein soziales Engagement. Im Internet entdeckte er Videos von Menschen, die als Superhelden verkleidet kranke Kinder besuchen, damit diesen ein Herzenswunsch erfüllt wird: endlich ihre Idole zu treffen. Weltweit bekannt wurde das „Batkid“: ein krebskranker Junge, der mit seinem Helden Batman auf Verbrecherjagd ging. Specht, selbst Vater einer kleinen Tochter, sah das Video und fand es grandios: „Ich habe mir überlegt: Wie kriegen wir das aus den USA nach Deutschland?“ Er gründete eine Facebook-Gruppe und besorgte sich ein Spiderman-Kostüm. Damit ging er auf Messen, um Cosplayer für seine Idee zu gewinnen, und hatte selbst seine ersten Einsätze als Held.

Das Projekt ist noch jung: Anfang Mai ging die eigene Website online (heldenherzen.de). Die Leipziger Hospizleiterin Ulrike Herkner hatte noch nie davon gehört, als Specht vorschlug, ein paar Helden vorbeizuschicken. Sie war sofort begeistert. „Ich finde es toll, dass die etwas machen, das speziell auf Kinder zugeschnitten ist“, sagt sie. „Und sie versprühen wahnsinnige Freude. Das ist es, was man gerade im Kinderhospiz braucht.“

 

Im Peter-Pan-Kostüm hüpft Adrian Niebel auf Kinder zu, kurvt mit ihnen beim Fangenspiel um die Bäume. Es sind auch viele gesunde Kinder wie Hannah auf dem Fest. Fast könnte man vergessen, dass im Haus dahinter Kinder liegen, die vor jeder Infektion beschützt werden müssen und nicht mitspielen dürfen.

Plötzlich steht Peter Pan neben Klara. Er wird ganz ruhig, nimmt ihre verkrampften Finger in seine Hand. Sie schaut ihn kaum an, wirft den Kopf hin und her. Die Zehnjährige sitzt im Rollstuhl, kann nicht sprechen. Schuld ist ein Gen-Defekt. Heute ist sie zu Besuch im Kinderhospiz Bärenherz, aber sie hat auch schon ein paar Wochen hier verbracht. Ob sie Peter Pan erkennt? Ihr Vater Thilo Storm schüttelt den Kopf. „Aber Menschen sind für sie immer spannend. Und wenn sie noch interessant aussehen, umso besser.“

Auch wenn sie vor allem ihretwegen hier sind – gegenüber den Kindern im Rollstuhl werden die fünf Cosplayer bisweilen scheu. Manchen Kleinen ist nicht anzusehen, ob sie die Helden überhaupt wahrnehmen. Besonders schwer haben es die drei Avengers-Darsteller. Die Figuren sind unter den Besuchern weniger bekannt. „Wir gehören zu den Guten“, versichern sie daher immer wieder, sobald sie einen bangen Blick auffangen.
Es ist heiß, die feuchte Luft hängt zwischen den Bäumen. Die Helden schwitzen. Auf zwei Bänken gönnen sie sich eine Pause. Nick Fury piekst ein Stück russischen Zupfkuchen auf. Vor Iron Man liegt ein Pappteller voller Schokokrümel. Die fünf grübeln, welche Kostüme bei den Kindern besser ankommen. Super Mario vielleicht, die Ghostbusters oder Scooby Doo?

Für die Familien ist es eine moralische Unterstützung, dass Leute sich engagieren Ulrike Herkner, Kinderhospiz Bärenherz

„Die Akzeptanz für Cosplay ist in Deutschland noch nicht so groß. Habt ihr von dem gehört, der im Assassin’s-Creed-Kostüm herumgelaufen ist?“, fragt Iron Man. „Der musste am Ende doch sein ganzes Kostüm abgeben“, erinnert sich Tinkerbell. Der Fan hatte eine ganze Kleinstadt in Panik versetzt: In der mönchsähnlichen Kutte des Hauptcharakters aus dem Spiel „Assassin’s Creed“ war er an Schulen aufgetaucht. Die Polizei schaltete sich ein, daraufhin stellte sich der 25-Jährige. Eigentlich kein Wunder, dass er Kindern und Eltern unheimlich war – immerhin ist der Charakter im Spiel ein Meuchelmörder.

„Cosplay ist eben etwas ganz anderes als Fasching“, meint Niebel alias Peter Pan. „Im Fasching ziehst du dir was an, egal, was es ist.“ Sein Kollege Iron Man stimmt ihm zu: „Du verkörperst nicht die Rolle.“ Cosplay bedeutet viel mehr, als sich ein Kostüm von der Stange überzuwerfen. Es geht um die Einfühlung in die Rolle des Helden. Die meisten Cosplayer wenden viel Zeit und Geld auf, um perfekte Verkleidungen zu kreieren. Sie schminken sich exakt so, wie es die Figur erfordert. Kein Wunder, dass sie gerade für kleine Zuschauer so glaubwürdig wirken.

Hannah hat der Darsteller von Peter Pan jedenfalls von sich überzeugt. Immer wieder rennt sie zu ihm, präsentiert stolz ihren Feenstaub, Goldflitter auf den sommerbraunen Armen. Ihr Vater Sebastian Franke lächelt: „Sie steht voll auf Peter Pan und Tinkerbell.“ Dass auch die zehnjährige Klara, das Mädchen aus dem Rollstuhl, die sagenhafte Peter-Pan-Figur berührt hat, kann Adrian Niebel nur erahnen.

Manchmal sei er ganz froh, sich hinter seiner Spiderman-Maske verbergen zu können, bekennt „Helden für Herzen“-Gründer Kevin Specht: „Wenn es Kindern schlecht geht, geht mir das sehr nah.“ l  Susanne Dickel



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