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Senta Berger: „Die Jugend riskiert auch mal ein Scheitern“

Die Schauspielerin Senta Berger über ihre Schulzeit in Wien, die Generation ihrer Söhne und über die mutige und selbstbewusste Jugend von heute


Senta Berger, in dem Animationsfilm „Die Häschenschule – Jagd nach dem verlorenen Ei“ leihen Sie der weisen, strengen Madame Hermine Ihre Stimme. Ist Hermine eine Lehrerin nach Ihrem Geschmack, oder bevorzugen Sie den locker-kumpelhaften Lehrertyp?

Ich hatte es in meiner Schulzeit in Wien mit autoritären Lehrern zu tun, und das war absolut in Ordnung. Damals wie heute gab es gute und schlechte Lehrer, die einen mehr oder weniger für den Unterrichtsstoff begeistern konnten. Ich war jedoch nicht leicht einzuschüchtern, ­setzte mich als Klassensprecherin für alle möglichen Belange ein und hieß bei den Lehrern „die freche Berger“. Daher bin ich sicher keine typische Vertreterin meiner Generation.

Meine Mutter sagte: Lass sie machen, sie hat das Zeug dazu und verdient ihr Geld

Lag das an Ihrer Erziehung?

Bestimmt. Ich bin zwar in kleinbürgerlichen Verhältnissen groß geworden – doch meine Eltern hatten die richtige Mischung aus liebevoller Fürsorge und langer Leine. Ich ­durfte als kleines Mädchen allein mit der Straßenbahn durch Wien fahren oder vom Ballett allein durch den Stadtpark nach Hause gehen. Und als ich mit 16 die Schule verließ, um auf die Max-Reinhardt-Schauspielschule zu gehen, habe ich von den Eltern nichts als Unterstützung erfahren. In anderen ­Familien hätte es geheißen: „Lern lieber was Gscheit’s“. Und als ich mit 17 fest am Theater engagiert, aber trotzdem noch ein recht wilder Teenager war, beruhigte meine Mutter meinen besorgten Vater: „Lass sie nur ­machen. Sie hat das Zeug dazu, und sie verdient ihr Geld.“ Ich hatte die Freiheit, mein Leben so zu gestalten, wie ich es gut und richtig fand. Ein solches Privileg hatten nur wenige Frauen aus ­meiner Generation.

Finden Sie, dass die Schüler heute selbstbewusster, selbstbestimmter sind?

Ich habe kürzlich eine TV-Dokumentation über eine Schule gesehen, da durften die Kinder bei der Umgestaltung mitbestimmen. Sicher gibt es ganz viele Beispiele dafür, dass auf die Bedürfnisse der Schüler eingegangen wird. Das ist wirklich sehr schön. Zu meiner Zeit hatten Kinder keine Stimme. Heute dürfen sie schon früh mitdiskutieren, zu Hause und in der Schule. Auch das Talent, schon in jungen Jahren vor Publikum zu sprechen oder etwas zu präsentieren, imponiert mir sehr. Oder dass ganze Klassen ein Wohltätigkeitsprojekt gemeinsam unterstützen, ist erst in jüngerer Zeit üblich. Generell macht sie das zu selbstbewussten, kritischen und verständnisvollen Menschen. Andererseits unterliegt die Jugend von heute anderen Zwängen, vor allem durch die Medien.

Viel beschäftigt

Senta Berger (75) gehört zu den meistbeschäftigten deutschsprachigen Schauspielerinnen. So spricht sie in „Die Häschenschule – Jagd nach dem verlorenen Ei“ die Lehrerin Hermine; in „Willkommen bei den Hartmanns“, dem populärsten Kinofilm des Jahres 2016, spielte sie die Hauptrolle. Regie führte ihr Sohn Simon. Seit 1966 ist sie mit dem Arzt, Regisseur und Filmproduzenten Michael Verhoeven verheiratet

    Was meinen Sie konkret?

    Ob Musikgeschmack, Mode oder sonstige „Must-haves“ – es ist für die jungen Leute heutzutage fast unmöglich, nicht mit dem Strom zu schwimmen. Sie folgen fast blind den Modebloggern, sie finden die Musik gut, die „man“ hört, sie sind versessen auf ­Labels. Ich war ganz anders. Ich fand es albern, als plötzlich alle diese weiten, wippenden Röcke haben wollten. Und auch später, als ich als junge Schauspielerin in Hollywood von riesigen Limousinen zum Dreh abgeholt wurde, dachte ich mir: „Das macht den Film auch nicht besser.“ Statussymbole waren mir ein Leben lang egal. Wirklich großartig aber finde ich ihre Möglichkeiten, schon in jungen Jahren zu reisen, die Welt und andere Kulturen kennenzulernen. Das ist der Schlüssel zu Toleranz und Verständnis.

    Wie war es um Ihre kindliche Multikulti-Erfahrung bestellt?

    Sie beschränkte sich in der Volksschule auf drei sudetendeutsche Mädchen in meiner Klasse. Die wurden von mir im Sportunterricht gnadenlos gemobbt, weil sie so mager und ängstlich waren und ein merkwürdiges Deutsch sprachen. In der Grundschulklasse meines Enkelsohns David sind Kinder aus allen möglichen Nationen. Regelmäßig bringen die japanischen, türkischen oder afghanischen Mütter etwas Landestypisches zum Essen mit und erzählen aus ihrem Land. So wird Integration von klein auf gelebt. Aber das funktioniert nur, wenn sich auch die zu Integrierenden für unsere Gepflogenheiten öffnen.

    Ich habe schon immer für Wanderjahre plädiert. Das fördert Selbstvertrauen und Selbstständigkeit

    Die junge Senta Berger hat in Italien und den USA gearbeitet und dadurch zwei Fremdsprachen gelernt. Ungewöhnlich für die damalige Zeit, oder?

    Ja, das brachte mein ungewöhnlicher Beruf mit sich. Ich denke, es ist ein großer Gewinn für die ­heutige Generation, dass eine oder mehrere Fremdsprachen selbstverständlich sind. Statt stur Vokabeln zu pauken, werden die Kinder heute mit Filmen, Comics, Popsongs an die fremde Sprache herangeführt. Ebenso selbstverständlich ist es, Schüler für einen Austausch ins Ausland zu schicken. Das fördert das Selbstvertrauen und die Selbstständigkeit. Ich habe schon immer für Wanderjahre plädiert, wie es früher bei den Zimmerleuten üblich war. Gerade in der heutigen Flüchtlingsdiskussion ist oft von der Angst der Menschen vor dem Fremden die Rede, die dann in Ablehnung bis zum Hass mündet. Wer früh die Welt und fremde Kulturen kennenlernt, ist davor sicher gefeit.

    Wo sehen Sie den größten Vorsprung bei den jungen Leuten von heute?

    Das kann man schwer pauschalisieren. Aber ich finde, sie trauen sich mehr zu, haben den Mut, etwas ganz Neues auszuprobieren. Sie riskieren auch ein Scheitern, können mit Niederlagen besser umgehen.

    Ein gutes Beispiel ist Ihr Sohn ­Simon Verhoeven. Er hat in der erfolgreichen Filmkomödie „Willkommen bei den Hartmanns“ die deutsche Flüchtlingskrise mit Witz und Mut zur politischen Aktualität als Regisseur umgesetzt. Sicher ein ­Risiko, ein so brisantes, kontroverses Thema anzupacken und mit leichter Hand auf die Leinwand zu bringen.

    Ich bewundere die Art und Weise, wie unverkrampft, politisch inkorrekt und komödiantisch Simon dieses kontroverse Thema in den Griff bekommen hat. Der Film ist überhaupt keine „Refugees welcome“-Verklärung, sondern teilt nach allen Seiten kräftig aus. Das zeigt doch, wie wichtig es ist, dass das tagespolitische Geschehen in den Unterricht einbezogen wird. Ich erinnere mich daran, dass ich mir 1982 einen Termin bei Simons Geschichtslehrer habe geben lassen. Damals war es in einem Flüchtlingslager am Stadtrand von Beirut zu einem Massaker von christlichen Milizen gegen palästinensische Flüchtlinge gekommen. Bis zu 3 000 Zivilisten sind damals auf grausamste Weise ums Leben gekommen. Ich sagte dem Lehrer: „Darüber müsst ihr im Unterricht sprechen.“ Er winkte nur ab: „Frau Verhoeven, für Politik haben wir keine Zeit“. Ich weiß nicht, wie Vorfälle dieser Art heute im Unterricht behandelt werden. Ich ­hoffe, dass das aktuelle Tagesgeschehen schon besser einbezogen wird.

    Ich weiß noch, wie mein Vater sich geniert hat, den Kinderwagen zu schieben

    Beherrschen Ihre Söhne Simon und Luca die Vaterrolle besser als etwa Ihr Mann oder Ihr Vater?

    Ich weiß definitiv, dass sich mein Vater geniert hat, den Kinderwagen zu schieben. Mein Mann Michael hat das zwar gern gemacht, sich jedoch bei anderen Kinderaufgaben weitgehend rausgehalten. Meine Söhne haben ­alles drauf, was die Versorgung und Beschäf­tigung ihrer Kinder betrifft – ob Wickeln, Spielen, Kochen oder Hausaufgabenbetreuung. Wenn Väter sich so in die Erziehung einbringen, entlasten sie ja nicht nur die Mutter. Sie nutzen die einmalige Gelegenheit, eine vertrauliche und liebevolle Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen.

    Finden Sie es nicht großartig, dass Mädchen heute immer stärker in berufliche Männerdomänen eindringen?

    Als mein Mann Michael in den 1960er-Jahren Medizin studiert hat, habe ich ihn öfter in den Hörsaal zu Vorlesungen begleitet. Da saßen rund 300 Studenten, davon vielleicht drei Mädchen. Heute sind die Frauen im Fach Medizin in der Überzahl. Aber auch für technische Studiengänge interessieren sich immer mehr Mädchen. Sie werden Bauingenieurinnen, Autodesignerinnen … Es hat lange ­gedauert, bis hier ein Umdenken stattgefunden hat.

    Sollten Mädchen und Jungs getrennt unterrichtet werden?

    Ich kann mir vorstellen, dass Schüler effizienter lernen, wenn dieses ­pubertäre Imponier- und Kokettiergehabe außen vor bleibt. Ich denke, wenn Mädchen und Buben unter sich blieben, käme das der Konzentration und dem Klassenfrieden zugute.

     

    Senta Berger: „Die Jugend riskiert auch mal ein Scheitern“ – Foto: Universum Film / Andreas Büttner

     



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