Wie negative Emotionen dem Lernen schaden - Magazin SCHULE
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Frust, Angst, Langeweile: Wie negative Emotionen dem Lernen schaden

Je länger Kinder zur Schule gehen, umso mehr negative Emotionen haben sie beim Lernen – und umso weniger positive. Das schadet ihren Leistungen. Die Gründe dafür liegen auch in unserem Schulsystem


Der erste Elternabend für neue Schulkinder ist etwas ganz Besonderes. Oft sind dabei noch alle Familien vertreten, und die Eltern berichten erfreut von stolzen Schulkindern, die gerne lernen und sich jeden Tag freuen, in ihre Klasse zu gehen. Wenn es nur möglich wäre, diese Situation in einen Rahmen zu stecken und in der Aula aufzuhängen! So könnte sie Eltern, Kinder und Lehrkräfte jeden Tag daran erinnern, mit welchen positven Emotionen fast alle Kleinen einmal in ihre Schulzeit gestartet sind.

Denn leider ändert sich das schnell. Die Lernfreude wird kleiner, der Teilnehmerkreis an den Elternabenden ebenfalls; und die Kinder lernen in ihrer Schule auch Ärger, Sorgen und Langeweile kennen. So ist das Leben nun einmal? Vielleicht. Aber erschreckend ist es schon, dass diese Entwicklung einfach so weiter geht.

Positive Emotionen beim Lernen werden seltener – und negative häufiger

Forschende um die Tübinger Michiko Sakaki und Kou Murayama haben sich die emotionalen Erfahrungen von Fünft- bis Neutklässlern in Mathematik angesehen – und festgestellt: Je weiter die Schülerinnen und Schüler vorrücken, umso weniger positive Gefühle erleben sie in der Schule. Und umso mehr negative.

Vor allem in den Klassenstufen 5 bis 7 werden Freunde und Stolz über die eigenen Leistungen immer seltener. Wut und Langeweile erleben die Jugendlichen dafür häufiger. Auch von Hilflosigkeit berichten sie vermehrt. Und das alles ist bei den Jungs noch deutlicher als bei den Mädchen.

Vier Klassen von Lern-Emotionen

Nun sind negative Gefühle nicht immer schlecht fürs Lernen – und positive nicht immer gut. Die Forschung unterscheidet vier Klassen von so genannten Leistungsemotionen:

  1. Positiv aktivierende Emotionen machen Menschen beim Lernen Lust auf mehr. Lernfreude gehört hierzu, oder auch die Hoffnung auf ein gutes Prüfungsergebnis. Solche Gefühle haben den größten positiven Einfluss auf die Lernleistung, vor allem wenn sie „aktivitätsbezogen“ sind (wie die Freude am Lernen) und nicht nur „ergebnisbezogen“ (wie die Hoffnung auf eine gute Note).
  2. Positiv deaktivierende Emotionen fühlen sich ebenfalls gut an – können aber die Lernleistung sogar bremsen. Ist ein Kind erleichtert über eine gerade noch gut ausgefallene Prüfung, geht es die nächste Lernphase vielleicht zu entspannt an, nach dem Motto: Läuft ja eh. Und dann läuft es beim nächsten Mal doch nicht mehr.
  3. Negativ aktivierende Emotionen hingegen wünscht man sich nicht – und trotzdem können sie einen antreiben. Wer Angst hat, bei einer weiteren Fünf sitzenzubleiben, fängt vielleicht endlich an zu arbeiten; und wer sich über seine unnötig schwache Leistung ärgert, gibt sich vielleicht beim nächsten Mal mehr Mühe.
    In diese Kategorie fällt auch die erstaunliche Wirkung von „Verwirrung“ (englisch: confusion) für das Lösen schwieriger Aufgaben: Der Ärger darüber, eine Aufgabe nicht gleich lösen zu können, treibt manche Lernende gerade zu Höchstleistungen an. Allerdings nur, solange sie die Zuversicht behalten, es trotzdem schaffen zu können – andernfalls kippt die Stimmung in die vierte Gefühlsklasse:
  4. Negativ deaktivierende Emotionen sind die größten Lernbremsen. Ist eine Schülerin verzweifelt, traut sie sich selbst einfache Denkaufgaben nicht mehr zu und kann dem Unterricht kaum folgen. Langweilt sie sich hingegen ständig, schenkt sie dem Lernstoff zu wenig Aufmerksamkeit – und lernt ebenfalls kaum hinzu.

Gefühle haben also einen enormen Einfluss auf den Lernerfolg. Ist ein Kind heute gut oder schlecht drauf? Fühlt es sich in seiner Schule wohl oder unter Druck gesetzt? Findet es die Inhalte gerade interessant oder eher langweilig? Je nachdem werden seine Lernleistungen besser oder schlechter ausfallen – und damit auch die Noten.

Zu ganzen 27 Prozent hängt der Leistungsunterschied zwischen starken und schwachen Schülerinnen und Schülern von der Gefühlslage der Betreffenden ab, konnten US-amerikanische Forscher schon im Jahr 2004 zeigen (diese Studie zeigt auch die oben erwähnte konstruktive „Verwirrung“). Auch dass positive Emotionen mit guten Lernleistungen und negative mit schlechten zusammenhängen, ist wissenschaftlich belegt – und zwar in beide Richtungen: Positive Emotionen führen zu guten Lernleistungen, und gute Lernleistungen ihrerseits zu positiven Emotionen.

Unser Schulsystem sorgt eher für negative Lern-Emotionen

Das klingt nun alles wenig überraschend? Dann ist es umso überraschender, wie wenig Wert in Schulen auf positive Gefühle gelegt wird. Und zwar gerade in den so wichtigen Jahren kurz vor und zum Start in die Pubertät. Ob in einer Klasse eine freundliche, positive Stimmung herrscht, hängt vor allem von der Lehrkraft ab. Von unserem Schulsystem bekommt sie dabei wenig Unterstützung. Das sorgt im Gegenteil sogar eher für negative Stimmungen:

1. Kinder wünschen sich mehr Autonomie – aber bekommen weniger davon.

Heranwachsende Kinder haben ein verstärktes Bedürfnis nach Autonomie. Sie möchten ihr Leben mehr und mehr selbst bestimmen können – was die wenigsten Schulen möglich machen. Im Gegenteil: In weiterführenden Schulen erfahren Jugendliche eher Strenge als Freiraum. Offene Unterrichtsformen, die individuelles Lernen zulassen, finden sie dort sogar seltener als in Grundschulen. Was wann und wie gelernt wird, darauf haben Schülerinnen und Schüler in der Unter- und Mittelstufe meist keinen Einfluss. Statt dessen werden sie engmaschig geprüft, abgefragt, kontrolliert. Und Möglichkeiten wie eine offene Kurswahl, Freistunden und Gemeinschaftsräume sind erst für die Oberstufen vorgesehen. Je nachdem, wie groß das individuelle Autonomiebedürfnis eines Kindes ist, kann dieser Mangel an Freiheit einen grundlegenden Frust erzeugen, der das Lernen schwieriger macht.

2. Kinder entwickeln eigene Interessen – mit denen die Lehrpläne aber wenig zu tun haben.

In der Pubertät bilden die jungen Menschen verstärkt ihre Persönlichkeit heraus. Sie grenzen sich von ihren Eltern ab und entwickeln eigene Interessen. Schade nur, dass sie diese Interessen kaum im Lehrplan wiederfinden. Die jungen Leute hören Deutschrap oder K-Pop, aber analysieren im Musikunterricht Sonaten. Sie informieren sich auf TikTok und Instagram, aber lesen in der Schule Tageszeitungskommentare. Sie fragen sich, wie sie nach der Schulzeit ihre Steuererklärung machen sollen, aber haben in Mathe zuletzt Funktionsgleichungen bestimmt.

„Immer schwieriger, aber auch immer weniger sinnvoll“ erscheinen Jugendlichen ihre schulischen Aufgaben, schreiben die Autorinnen und Autoren der Tübinger Studie. Die Inhalte der Bildungspläne haben sicher in vielerlei Hinsicht ihre Berechtigung. Aber sie haben auch wenig zu tun mit dem erlebten Alltag der Schülerinnen und Schüler – was eher Langeweile als Lernfreude bringt.

3. Der Vergleich mit anderen erzeugt Stress – und wird doch von der Schule noch befördert.

Ihre Identität suchen die meisten Jugendlichen auch und vor allem im Vergleich mit Peers, also Gleichaltrigen. Was ist in meiner Gruppe angesagt? Was davon passt zu mir selbst? Wie finden mich die anderen? Wie finde ich mich selbst? Bin ich cool, schön, beliebt genug? Solche Fragen erzeugen Druck – der durch die Schule noch verstärkt wird. Denn auch dort geht es ständig um Vergleiche: Die Lernleistungen eines Kindes werden in ein vorgegebenes Schema eingeordnet, mit jenen der anderen in der Klasse verglichen und durch Noten sichtbar gemacht. Ob ich ein guter Schüler oder eine schlechte Schülerin bin, kommt also noch zum Vergleichsstress hinzu.

4. Jugendliche verlieren leichter den Glauben an sich – aber werden von den Lehrkräften zu selten aufgebaut.

Dass Heranwachsende den Notendruck in der weiterführenden Schule verstärkt spüren, hat auch damit zu tun, dass ihr Selbstbild realistischer wird. Kleinere Kinder neigen zu einem optimistischen Blick auf sich selbst, sie trauen sich noch sehr vieles zu. Je größer die Kinder werden, desto klarer werden ihnen jedoch ihre eigenen Grenzen. Für eine positive Lernstimmung wäre es daher umso wichtiger, dass jedes Kind an seinen eigenen Möglichkeiten gemessen wird. Nur so kann es auch kleine Fortschritte in einem Bereich, der ihm schwerfällt, als Erfolg werten – und weitere Lernfreude gewinnen. Für so eine individuelle Begleitung ist allerdings in den wenigsten Schulen Zeit. Statt dessen nehmen Schülerinnen und Schüler ihre Lehrkräfte nach der Grundschulzeit immer distanzierter wahr. So werden sie mit dem Glauben an ihre Fähigkeiten ziemlich allein gelassen.

Was Schülerinnen und Schüler sich von ihren Schulen wünschen

Kein Wunder also, dass Kinder und Jugendliche im Laufe der Jahre immer mehr negative Gefühle für ihre Schule entwickeln und weniger positive. Sehr wahrscheinlich bleiben viele dadurch unter ihren Leistungsmöglichkeiten. Dabei ließe sich einiges tun, um unseren Kindern mehr Lernfreude zu ermöglichen. Der erste Schritt dafür: ihnen zuhören, was sie sich selbst von ihrer Schule wünschen.

Genau das hat der „Bürgerrat Bildung und Lernen“ getan. In den vom Deutschen Bundestag eingesetzten Bürgerräten entwickeln Teams von zufällig ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern Empfehlungen für die Politik. Und siehe da: Die Schülerinnen und Schüler möchten tatsächlich mehr mitentscheiden, wie und was sie lernen. Sie wünschen sich kleinere Klassen, möglichst mit mehreren Lehrkräften, damit diese individuell besser auf die Lernenden eingehen können. Und sie wollen auch schönere Schulen, eine freiere Fächerwahl und mehr Praxis im Unterricht. Insgesamt 21 konkrete Vorschläge haben die Kinder und Jugendlichen zusammengestellt, bis hin zur IT-Pflichtausbildung für Lehrkräfte.

Es kann also niemand behaupten, vom Lernfrust unserer Kinder überrascht zu sein. Und auch Vorschläge, wie es besser gehen kann, liegen vor. Fehlt also nur noch die Umsetzung – in 16 Bundesländern, bei wechselnden Koalitionen und politischen Zuständigkeiten. Vielleicht würde es helfen, die allerersten Elternabende der Erstklässler in die Kultusministerien zu verlegen?

Wie negative Emotionen dem Lernen schaden – Foto: Freepik

 



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