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Das Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun

Das Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun – Magazin SCHULEWir sagen mehr, als wir sprechen – und verstehen mehr, als wir hören: Über den reinen Wortlaut hinaus enthalten Gespräche zwischen zwei Menschen noch diverse weitere Botschaften. Doch ob diese beim Empfänger so ankommen, wie sie von Absender gemeint sind, ist längst nicht sicher.

Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun hat aus diesen Beobachtungen ein Modell für zwischenmenschliche Kommunikation entwickelt, das die Form eines Quadrats hat. Ihm zufolge läuft Kommunikation immer auf vier Ebenen ab:

  • Die Sachebene enthält zum Beispiel Daten und Fakten;
  • die Selbstoffenbarungsebene zeigt, was der Sender durch die Botschaft von sich preisgibt;
  • die Beziehungsebene gibt an, wie der Sender zum Empfänger steht;
  • die Appellebene umfasst, was der Sender beim Empfänger erreichen möchte.

Weil der Empfänger in diesem Modell quasi mit vier unterschiedlichen Ohren hört, was der Sender auf vier unterschiedlichen Ebenen mitgeteilt hat, wird das Modell auch „Vier-Ohren-Modell“ genannt.

 

Erstes Beispiel: Meint sie, ich bin ein schlechter Vater?

Im Elterngespräch sagt die Lehrerin zum Vater: „Ihr Sohn war gestern in einen heftigen Streit verwickelt.“

Die Lehrerin meint:

  • auf der Sachebene: In der Schule gab es einen Streit. Ihr Kind war dabei.
  • auf der Selbstoffenbarungsebene: Das stresst mich. Ich erwarte eine friedliche Konfliktlösung.
  • auf der Beziehungsebene: Das Konfliktverhalten Ihres Sohnes ist Ihre Verantwortung.
  • auf der Appellebene: Reden Sie bitte mit Ihrem Kind!

Möglicherweise versteht der Vater:

  • mit dem Sach-Ohr: In der Schule gab es einen Streit. Mein Kind war dabei.
  • mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr: Die Lehrkraft ist sauer und unzufrieden.
  • mit dem Beziehungs-Ohr: Sie sind kein guter Vater.
  • mit dem Appell-Ohr: Sie müssen Ihr Kind besser erziehen.

Der Vater könnte nun zu dem Schluss kommen: Diese Lehrkraft mag uns nicht.

Nun hat ein Fall wie dieser sicher eine Vorgeschichte. Und diese hat wiederum Einfluss auf die Art, wie kommuniziert wird: Wie wurde das Kind überhaupt in den Streit hineingezogen – war es also Anstifter, Mitläufer, oder wollte es vielleicht sogar einem Freund helfen? Wie gut kennt die Lehrerin die Familie, und ist die Beziehung gut? Hat sich der Vater bislang interessiert an Schule und Kind gezeigt und vertrauensvolle Erfahrungen mit der Lehrkraft gemacht?

Eine wichtige Rolle spielt auch die Kultur: Ein deutscher Vater würde vermutlich die Sachebene, also die Information über den Streit und sein Kind, ganz anders aufnehmen als ein Vater aus dem arabischen Raum, der die Sachlichkeit kaum kennt und es gewohnt ist, sich auf die Beziehungsebene zu konzentrieren. Weil genau die so stark wahrgenommen wird, ist er ständig auf der Suche: Wie hat man mir das gesagt? Und wie ist das gemeint? Diese Lücken füllt er dann auf seine Art und Weise, und so können Missverständnisse und Reibungen entstehen, obwohl keine der Lehrerinformationen böse gemeint waren. Es kann sein, dass der Vater Abstand nimmt, sich zurückzieht, eher nicht mehr kooperieren möchte, und zwar deshalb, weil er alles auf sich als Person bezieht und meint: Die Lehrkraft mag uns nicht.

Zweites Beispiel: Muss ich jetzt Lehrerin spielen?

Bis Menschen, die es so ganz anders gewohnt sind, sich sicher fühlen, dass es hier nicht um ihre Person geht, sondern um die Sache, kann viel Zeit vergehen. Irgendwann – je mehr Vertrauen sie gewinnen und je öfter sie die Erfahrung machen, dass die Sachlichkeit auch eine Erleichterung bringen kann – können sie umlernen. Wenn eine deutsche Lehrkraft aber auf Eltern trifft, die noch neu hier sind, kann dies eine große Herausforderung sein.

Ein weiteres Beispiel kann dies mithilfe des Vier-Ohren-Modells verdeutlichen. Im Elterngespräch sagt die Lehrerin zur Mutter: „Mir ist aufgefallen, dass Ihr Kind immer noch nicht lesen kann.“

Die Lehrkraft meint:

  • auf der Sachebene: Ihr Kind kann noch nicht lesen.
  • auf der Selbstoffenbarungsebene: Das stresst mich. Alle meine Schüler sollten inzwischen lesen können.
  • auf der Beziehungsebene: Sie sind dafür zuständig, dass ihr Kind besser lesen lernt.
  • auf der Appellebene: Üben Sie bitte mit Ihrem Kind!

Möglicherweise versteht die Mutter, wenn sie aus Deutschland kommt:

  • mit dem Sach-Ohr: Mein Kind kann noch nicht lesen.
  • mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr: Die Lehrkraft ist mit dem Lesefortschritt meines Kindes unzufrieden.
  • mit dem Beziehungs-Ohr: Sie brauchen Hilfe.
  • mit dem Appell-Ohr: Üben Sie mit Ihrem Kind!

Möglicherweise versteht die Mutter, wenn sie aus einem arabischen Land kommt, besonders wenn sie neu in Deutschland ist und eher die Personenbezogenheit gewohnt ist:

  • mit dem Sach-Ohr: Mein Kind kann noch nicht lesen.
  • mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr: Die Lehrkraft ist mit meinem Kind unzufrieden.
  • mit dem Beziehungs-Ohr: Sie sind keine gute Mutter./ Ihr Kind ist faul.
  • mit dem Appell-Ohr: Sie müssen Ihrem Kind das Lesen beibringen.

Diese Mutter könnte nun denken: Die Lehrkraft findet, dass mein Kind dumm ist und dass ich schuld daran bin, wie schlecht mein Kind liest. Dabei ist es doch ihre Aufgabe, meinem Kind das beizubringen. Bestimmt mag sie uns nicht, weil wir Ausländer sind.

 

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Bildungsfern? Bildungs-anders! Eine Übersicht aller weiteren Artikel finden Sie hier. Illustration: Ariane Dick Bellosillo/Magazin SCHULE

 



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