Meinen & Sagen

Wie reden wir mit Kindern über den Krieg?

Von unserem Haus aus ist die Ukraine näher als Sylt. Wie reden wir mit unseren Kindern über Krieg, wenn er kein fernes Ereignis mehr ist? Gedanken von Magazin-SCHULE-Autor Mathias Brüggemeier


Wie in vielen anderen Familien herrschte bei uns am Frühstückstisch gedrückte Stimmung. Jetzt hatten Putins Truppen tatsächlich die Ukraine angegriffen. Für unsere Kinder war Krieg immer weit weg gewesen, aber plötzlich war er ganz nah: „Erinnert ihr euch, vor ein paar Jahren in der Slowakei: Da hätten wir beim Wandern in die Ukraine rüberlaufen können.“

Mein Ältester erinnert sich noch gut. „Stimmt, da wären wir ja aus Versehen fast zum Grenzübergang gefahren.“ Jetzt sucht er die Zeitung, die wir schon lange offline abbestellt haben – in diesem Moment reicht ihm Instagram doch nicht mehr als Informationsquelle. Er findet statt dessen die Zeitungswebsite und fliegt fassungslos durch die Artikel.

Was will der Putin überhaupt mit der Ukraine?

Die Jüngste hat noch vom Bett aus im Radio gehört, was Sache ist – auch die Hit-Sender kommen offenbar ihrem Informationsauftrag nach. Sie kann sich an den Urlaub im Osten kaum noch erinnern, der Krieg scheint ihr weit weg – zum Glück, denn sie macht sich in unserer Familie am schnellsten Sorgen. „Was will der Putin überhaupt mit der Ukraine?“, stellt sie die Frage, auf die niemand gerade eine gute Antwort hat. „Will der die einfach nur haben, oder was? Und das lässt man den jetzt einfach machen?“ Krieg als Kampf auf Kindergartenniveau, vielleicht liegt meine Sechstklässlerin damit näher an der Wahrheit als viele kluge Leitartikler in den Wochen vor dem Angriff.

Ukraine: Wie reden wir mit Kindern über den Krieg?

Wer Kinder hat, muss jetzt mit ihnen auch über Krieg sprechen. Und zwar nicht abstrakt, weil am anderen Ende der Welt etwas passiert ist – sondern sehr konkret: Hunderttausende Menschen mit ukrainischem Pass oder Migrationshintergrund leben in Deutschland, viele Deutsche haben Freunde oder Verwandte dort. Von unserem Haus aus ist die Ukraine näher als Sylt. „Werden wir hier was von dem Krieg merken?“, fragt meine Tochter noch, bevor sie zur Schule geht. „Der Sprit wird noch teurer“, antworte ich, „aber der Kanonendonner kommt sicher nicht bis hierher.“ Das beruhigt sie etwas. Aber natürlich macht sie sich Sorgen. Wie gehen wir als Eltern damit sinnvoll um? Meine Frau und ich machen das so:

1. Sorgen zulassen. Wenn nur eine Tagesreise weit weg Raketen auf Städte fliegen, ist Angst eine vernünftige Reaktion. Auch wir Erwachsenen machen uns Sorgen – und das darf auch sein. Kinder sollten ihre Bedenken äußern dürfen und spüren, dass wir Eltern diese ernst nehmen. Angst wächst, wenn sie heruntergeschluckt wird.

2. Über Bilder sprechen. Mehr als Texte können Fernsehbilder und Videos auf Kinder verstörend und verängstigend wirken. Darum ist es wichtig, sie mit solchen Eindrücken nicht allein zu lassen. Reden hilft, das Gesehene einzuordnen – und auch der Hinweis darauf, dass nicht alles wahr sein muss, was wir jetzt sehen und lesen.

3. Fragen ernsthaft beantworten. Kinder bekommen viel mehr mit, als wir Erwachsenen meinen. Sie schnappen Dinge von anderen auf, sehen ein Video auf TikTok, sprechen im Unterricht über die Krise. Vieles können sie vielleicht noch nicht verstehen – dabei können wir ihnen helfen. Zwar mag es anstrengend, sein, mit Kindern über Russland, die EU und die NATO zu sprechen, und natürlich sind Mama und Papa keine Verteidigungsexperten. Aber Kinder merken schnell, wenn die Eltern sie mit oberflächlichen Antworten abspeisen oder um das eigentliche Thema herumdrucksen. So etwas macht ihre Sorgen nur größer. Besser:

4. Ehrlich sein. Niemand von uns kann voraussagen, wie weit Putin noch gehen wird. Wie lange die Krise dauert, wohin sie noch führt. Und was für Auswirkungen der Krieg auf unseren Alltag hat. Auch uns Erwachsenen liegt das alles auf der Leber – und das dürfen wir unseren Kindern auch sagen. Denn diese spüren sowieso, wie es uns geht. Aber:

5. Kontrolle erhalten. Für alle Menschen, nicht nur Kinder, ist es wichtig, Auswege zu sehen. Der Gaspreis steigt? Gut, dass der Winter mild ist. Das Benzin wird teuer? Dann fahren wir halt Bahn. Was, wenn Putin noch ein anderes Land „haben“ will? Die NATO-Staaten beschützen sich gegenseitig. Entscheidend ist nicht, einen wirksamen Plan für alle Eventualitäten zu haben, sondern das Gefühl zu vermitteln: Was immer passiert, es gibt Lösungen, uns fällt schon was ein.

6. Alltag hilft. In unsicheren Zeiten helfen uns zudem Dinge, die immer gleich sind. Familienrituale wie gemeinsame Abendessen, Spaziergänge oder Spieleabende geben Kindern Halt – und den Eltern auch. Wichtig ist, dass wir uns Zeit füreinander nehmen, gern noch mehr als sonst. Und zwar am besten ohne Ablenkung durch Breaking News auf dem Handy – auch wenn mir das selbst manchmal schwer fällt.

 

Haben Sie andere Erfahrungen, Meinungen oder Anregungen dazu, wie Eltern mit ihren Kindern über Krieg reden können? Dann schreiben Sie mir gern – als Kommentar zu diesem Artikel oder per Mail an redaktion@magazin-schule.de

 

Ukraine: Wie reden wir mit Kindern über den Krieg? Foto: Pixabay



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  1. Guten Tag. Heute hat und die Klassenlehrerin angerufen und erzählte, dass sie in der Klasse (6) über Politik mit Kindern diskutiert hat. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man darüber in der Schule redet. Zwei Kinder in der Klasse werden ständig gemobbt, weil die russischsprachig sind.. Meine Frage: soll man das natürlich zu Hause besprechen, aber in der Schule?!

    • von magazinschule

      Liebe Lisa, ich persönlich finde es sogar wichtig, dass in der Schule über den Krieg gesprochen wird. Das Thema beschäftigt die Kinder so sehr, dass es geradezu absurd wäre, wenn es in der Schule ausgeklammert würde. Die Kinder haben viele Fragen, und manche davon können vielleicht die Eltern nicht gut beantworten. Aber selbstverständlich müssen die Lehrkräfte sehr sensibel damit sein, weil die Kinder unterschiedliche Erfahrungen, Vorgeschichten, Gedanken und Sorgen haben. Und, ganz wichtig: Auf keinen Fall dürfen Kinder ausgegrenzt werden, weil sie russisch sprechen oder einen russischen Migrationshintergrund haben. Wir dürfen russische und russischstämmige Menschen nicht in Geiselhaft nehmen für das, was der russische Präsident tut. Sollte ein solchen Mobbing in der Klasse Ihres Kindes tatsächlich passieren (auch wenn es unter den Schülerinnen und Schülern selbst passiert), empfehle ich ein Gespräch mit der Klassenleitung. Freundliche Grüße, Mathias Brüggemeier

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