Keine Zeit zum Spielen – Magazin SCHULE
Meinen & Sagen

Wenn keine Zeit zum Spielen bleibt

Viele Kinder haben einen Terminplan wie Manager – vollgestopft und ohne Lücken. Magazin-SCHULE-Autorin Viola Herrmann plädiert dafür, Kindern auch Phasen der Entspannung zu gönnen und Stunden nur für sich


Tischtennis spielen, ins Schwimmtraining gehen, Gitarre üben: Hobbys sind etwas Wunderbares. Sie fördern die Talente unserer Kinder, lehren sie neue Fähigkeiten und erweitern dazu noch den Freundeskreis. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden, vielmehr ist es schön, wenn Eltern ihrem Sprössling ein nachmittägliches Hobby ermöglichen können. Doch was passiert, wenn die Aktivitäten nach der Schule zum echten Freizeitstress werden? Wenn keine Zeit zum Spielen bleibt?

Spielen ist Lernen mit allen Sinnen

Ich bin eine große Verfechterin des freien Spiels. Denn Kinder aller Altersstufen lernen dabei viel – das ist meine Erfahrung als Lehrerin und Mutter. Von ­sozialen Komponenten über haptische Erlebnisse bis hin zu naturkundlichen Experimenten bietet das freie Spiel alles, was Kinder brauchen, um sich ihre Lebenswelt zu erschließen. Es ist eben nicht „nur“ Spielen, es ist Lernen mit allen Sinnen.

Keine Zeit zum Spielen?

Besonders als Ausgleich zu einem vollen Schultag ist es wichtig, den Kindern Entspannungsphasen zuzugestehen. Wie diese Phasen aussehen, ist individuell verschieden. Während ein Kind nach der Schule mit einem (Hör-)Buch entspannt, ist das andere vielleicht lieber draußen und sucht sich dort seinen Ausgleich. Richtige oder falsche Entspannung gibt es nicht. Denn ein Kind hat das Bedürfnis nach Ruhe, das andere erholt sich durch körperliche Betätigung von den Anstrengungen eines Schultages. In jedem Fall sollten diese Entspannungsphasen selbstbestimmt sein und sich ausschließlich nach den Bedürfnissen des Kindes richten.

Viola Herrmann – Magazin SCHULE
Viola Herrmann ist Grundschullehrerin, Autorin, Elterncoach und Mutter von vier Kindern. Über ihren Alltag bloggt sie unter mama-und-co.de

Leider bleibt Kindern häufig keine Zeit, um sich auf ihre individuelle Art und Weise von der Schule zu regenerieren. Einige Kinder befinden sich mittlerweile in einem regelrechten Freizeitstress, der ihnen zu wenig Freiräume lässt. Ihre Zeit ist von Montag bis Freitag verplant, teilweise mit mehreren Aktivitäten pro Nachmittag. Von Karate bis Hockey, von Flöte bis Klavier, von Mathe- bis Englischnachhilfe. Am Wochenende kommen noch die Vereinsspiele oder Aufführungen hinzu: Kinder können also manchmal noch nicht mal an Samstagen und Sonntagen frei über ihren Tag verfügen.

Mittwochs hat unser Kind keine Zeit für Hausaufgaben

Freiräume für Verabredungen mit Freunden? Fehlanzeige. Als Lehrerin habe ich Schüler erlebt, die mir erklärten, dass sie für die Hausaufgaben leider keine Zeit gehabt hätten. Sie wurden direkt nach der Schule abgeholt und waren dann so lange unterwegs, dass für die Erledigung der Hausaufgaben schlichtweg keine Möglichkeit bestand. Von den Eltern bekam ich zu hören: „Und übrigens können Sie sich gleich merken, dass dies mittwochs immer so ist.“

Auch das schöneste Hobby kann zu viel werden

Leider kann ich als Lehrerin diese Aussage nicht akzeptieren. Ich habe die fehlende Hausaufgabe einmal durchgehen lassen – allerdings mit dem Hinweis, dass dies in Zukunft nicht mehr möglich sein werde. Mir tut in solchen Fällen das Kind leid, das nicht durch eigenes Verschulden in dieser Situation ist.

Klar, auch meine eigenen Kinder haben Hobbys, die ihre Nachmittage belegen. Ich finde das gut und wichtig – es muss allerdings in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen bleiben. Zweimal Fußballtraining pro Woche ist bei meinem Sohn der Normalfall! Und diese Zeit für Sport tut ihm jedes Mal als Ausgleich zum langen Sitzen in der Schule gut. Zudem bleibt vor und nach dem Training genügend Zeit, um Hausaufgaben zu erledigen oder für Tests zu lernen. Ebenso sieht es beim Reitunterricht meiner Tochter aus.

Schule muss Priorität haben, nicht das Hobby

Wichtig ist also ein gesundes Mittelmaß, bei dem das Kind von seinem Hobby profitiert und sich nicht davon unter Druck gesetzt fühlt. Auch zulasten der Schulleistungen sollten die nachmittäglichen Termine nicht gehen. Die Schule hat Priorität, nicht das Hobby.

Kinder brauchen eigene Zeit

Natürlich meinen es viele Eltern gut, wenn sie ihrem Kind möglichst viele Aktivitäten ermöglichen. Es bekommt somit die Chance, unterschiedliche Hobbys auszuprobieren und selber herauszufinden, was zu ihm passt. Ein guter Gedanke, bei dem jedoch das Zeitfenster bedacht werden sollte. Zum einen muss ein Kind nicht innerhalb eines Schuljahres sämtliche Dinge ausprobieren, die eventuell seinen Interessen entsprechen könnten. Dafür ist auch im Laufe der nächsten Jahre noch Zeit. Zum anderen sollte bei der Anmeldung zu neuen Kursen darauf geachtet werden, dass maximal eine Aktivität pro Nachmittag stattfindet.

Wie immer gibt es Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Zum Beispiel ein Kind, das Leistungssport betreibt und fast jeden Tag Training hat. Und es gibt auch Jungs und Mädchen, die es lieben, jeden Nachmittag ein Hobby zu pflegen, die dazu noch sozial eingebettet und erfolgreich in der Schule sind.

Die Wünsche der Eltern

Doch es gibt eben auch die anderen Kinder, die sich so sehr bemühen, die Wünsche der Eltern zu ­erfüllen. Diese Jungs und Mädchen machen alles mit, was an sie herangetragen wird. Sie sind dann aber oft überfordert und gestresst – das habe ich als Lehrerin häufig gesehen. Deshalb möchte ich diesen Kindern eine Stimme geben und den Eltern zurufen: „Lasst ihnen Zeit, lasst sie spielen, lasst sie einfach Kind sein.“ Wir unterschätzen unsere Kinder viel zu oft. Sie werden sich ihre Hobbys in ihrem eigenen ­Tempo suchen und ihre Interessen schulen – wahr­scheinlich mit großer Ausdauer und viel Enthu­siasmus.

 

„Wenn keine Zeit zum Spielen bleibt“ – Foto: freepik/rawpixel.com



Unsere Themen im Überblick

Kommentieren