Denken & Diskutieren

Ein Lob auf die Leistung!

Wer von seinen Kindern schulischen Erfolg verlangt, gilt schnell als „Tigermom“ oder „Drilldad“. Dabei sind anspruchsvolle Ziele auch bei Schülern ein wesentlicher Faktor für gute Leistungen. Aber wie finden Eltern und Schulen die richtige Balance zwischen Fordern und Überfordern?


Als die Amerikanerin Amy Chua vor einigen Jahren den Drill ­ihrer Töchter öffentlich als Erfolgsmodell anpries, war die Empörung groß. Zur Erinnerung: Die selbst ernannte „Tigermom“ schilderte in ihrem Buch unter anderem, wie sie einem der Mädchen gedroht hatte, alle Kuscheltiere zu verbrennen, wenn es sein Klavierspiel nicht verbesserte. Die Juraprofessorin verlangte Bestnoten und ultimative Disziplin, Spielen erschien ihr als Zeitverschwendung.

Deutsche Eltern fanden das überwiegend skandalös. Wie konnte man Kinder nur so erbarmungslos auf Leistung drillen – war das nicht schon Kindesmisshandlung? Aber was man Chua lassen musste: Ihr so drangsalierter Nachwuchs reüssierte.

Trotz der fragwürdigen Methoden der Mutter, muss man wohl sagen. Denn zahlreiche wissenschaftliche Studien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass eine harte Erziehung nicht nur der Persönlichkeit, sondern auch dem Schul­erfolg schaden kann. „Druck und Strenge“, erklärt der Berliner ­Lerncoach Benjamin Schmitt, „können zu Stress, ­Demotivation und Lernblockaden führen.“

Deutsche Familien geben sich gern mit Mittelmaß zufrieden

Das bedeutet allerdings nicht, dass hohe Erwartungen grundsätzlich negativ wären. Auch die Münchner Autorin Isabelle Liegl lehnt eine Erziehung à la Chua ab. Sie hält deutsche Familien aber für naiv, wenn sie sich mit Mittelmaß zufriedengeben. ­Zumindest dann, wenn die Kinder später einmal an einer amerikanischen Top-Universität studieren oder ein anderes hochgestecktes Ziel in unserer globalisierten Welt erreichen wollen.

In ihrem Buch berichtet Liegl über die Erfahrungen ­ihrer eigenen Söhne, die über den Umweg einer deutschen Kita in der Internationalen Schule München landeten und dort bis zum Abitur blieben. In den Jahren dort traf ­Familie Liegl auf Eltern aus aller Welt, die den ­Bildungserfolg ihres Nachwuchses klar im Blick hatten – und auf hoch motivierte Kinder und Jugend­liche, die viel Zeit damit verbrachten, zu lernen, ihre ­Instrumente zu üben und sich sozial zu engagieren. Dabei wurden sie von den Lehrern nach Kräften unterstützt. „Die Atmosphäre war freundlich und ­positiv, dabei aber auch leistungsorientiert“, erzählt Liegl. „Du zeigst, dass du dein Ziel erreichen willst, und ich bin für dich da, wenn du Hilfe brauchst – das war die Haltung der Lehrer.“

Die Töchter und Söhne ihrer deutschen Bekannten, hat die Autorin beobachtet, würden dagegen gern „den leichten Weg nehmen“. Erst kurz vor dem Abi­tur wachten viele auf und begännen zu überlegen, wo und was sie studieren wollten. Für eine Bewerbung an einer ausländischen Spitzenuni fehle ihnen dann der Elan und die Zeit, benötigten die Aufnahmetests doch oft eine jahrelange Vorbereitung.

Talente werden oft nicht wahrgenommen – geschweige denn gefördert

Auch viele Eltern und Lehrer klagen, dass es Kindern und Jugendlichen hierzulande an Motivation fehle. Nicht wenige Schüler haben damit zu kämpfen, den vielen Stoff überhaupt zu bewältigen – kein Wunder, schließlich hat ihnen niemand vermittelt, wie man sich Wissen effizient und strukturiert aneignet.
Von den Lehrern werden sie mit ihren Pro­blemen oft allein gelassen. Noten scheinen nicht selten das einzige Mittel zur Motivation zu sein. Nach dem Motto: Hat sie eine Fünf kassiert, wird sie sich schon anstrengen. Talente werden oft nicht wahrgenommen – und wenn doch, dann nicht unbedingt gefördert. Und wer sich zu auffällig reinhängt, bekommt – auch an guten Gymnasien und nicht selten auch von Lehrern – den Streberstempel verpasst.

Wie erfolgreich die Kinder die Schule durchlaufen, hängt daher stark vom Einsatz der ­Eltern ab; ihre Unterstützung wird von vielen ­Lehrkräften stillschweigend vorausgesetzt. Die Eltern nehmen die Aufgabe zwar an, verzweifeln oft aber an der Frage, wie sie ihre Kinder zum Lernerfolg bringen und wie sie ihnen Drive vermitteln können – und den Wunsch, ihr ­Leben selbst in die Hand zu nehmen und die eigenen Potenziale zu entfalten.

Begleiten statt kontrollieren, heißt die Lösung

Elke Wild ist Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Bielefeld und forscht seit mehr als 20 Jahren zum Thema „Elternhaus und Motivation“. Regelmäßig kommen ­Eltern in ihre Beratungsstelle und wollen wissen, wie sie ihre Kinder unterstützen können. „Da gibt es Eltern, die starke Kontrolle ausüben, indem sie zum Beispiel ständig die Hausaufgaben überwachen“, erzählt sie. „Die meinen es gut, aber es kann sein, dass die ­Kinder die Lust am Lernen verlieren.“ Andere griffen dem Nachwuchs zu sehr unter die Arme. Doch wenn Papa die Rechenaufgaben erledigt und Mama die Powerpoint-Präsentation gestaltet, „dann schadet das dem Kompetenzerwerb des Kindes“. Nicht kontrollieren, sondern begleiten, das hält die Psychologin für die richtige Lösung. Und wenn es mal in der Schule nicht gut laufe, dann seien Optimismus und Motivation angebracht: „Die Eltern sollten dem Kind klarmachen, dass eine schlechte Note nicht das Ende der Welt bedeutet, und es an seine früheren Erfolge ­erinnern.“

Erfolgserlebnisse hält auch Lerncoach Schmitt für immens wichtig. Als Referent des Bildungsvereins LVB Lernen hat er lange Zeit er Eltern in Vorträgen an Schulen erläutert, wie sie ihre Kinder beim „Lernen Lernen“ unterstützen können. „Der Treibstoff für Leistung ist Motivation“, erklärt er dann. Und: „Erfolgserlebnisse sind der maßgebliche Schlüssel für Motivation.“

Den Kindern Erfolge zu ermöglichen und diese auch herauszustellen, damit tun sich viele Schulen in Deutschland noch schwer. Beispiel Wettbewerbe: Mathe­matik und Informatik, Geografie und Geschichte, Schach und Debattieren – das Angebot ist riesig. Weiterführende Schulen ermöglichen zwar in der Regel die Teilnahme an Wettbewerben, an welchen und wie ­vielen, hängt jedoch davon ab, ob sich Lehrer für die Organisation finden, denn die ist oft aufwendig: Material anfordern, Kollegium und Schüler informieren, den Wettbewerb durchführen, Ergebnisse an den Veranstalter melden, Urkunden und Preise verteilen. Steht die Teilnahme an einem Wettbewerb dann tatsächlich an, bereiten nur wenige Schulen die Kinder systematisch auf die zu erwartenden Aufgaben vor. Eher heißt es dann plötzlich: „Auf geht’s in den Computerraum. Ihr dürft jetzt den Informatik-Biber machen!“ oder allenfalls: „Nächste Woche gibt es den Känguru-Wettbewerb in Mathe. Wer Zeit hat, kann sich ja mal die App herunterladen und zu Hause ein bisschen üben.“

Die USA haben eine Kultur des Best-of

In den USA, hat Isabelle Liegl beobachtet, sind die Kinder schon zu Schulzeiten häufig Wettkämpfen ausgesetzt: „An amerikanischen Schulen ist der Wettbewerb geradezu institutionalisiert. Es gibt eine Kultur des Best-of, die den Kindern vermittelt, dass es sich lohnt, gut zu sein, dass man an seinen Aufgaben wächst, und dass es neben der Wissensvermittlung und -wiedergabe auch andere sehr wichtige Lernbereiche gibt.“ Als ihre Söhne einen internationalen Wirtschaftswettbewerb gewannen, durften sie anschließend vor der ganzen Schule von ­ihren Erfahrungen berichten – und wurden für ­ihren ­Erfolg begeistert beklatscht.

Leistungen angemessen anzuerkennen, das versuchen inzwischen auch staat­liche Schulen in Deutschland, indem sie zum Beispiel die Namen von erfolgreichen Wettbewerbsteilnehmern auf ihre Webseiten stellen. Das Humboldt-Gymna­sium in Potsdam geht noch einen Schritt weiter und hat gleich zwei Veranstaltungen ins Leben gerufen, bei denen Schülerinnen und Schüler Anerkennung ­erfahren. Vier- bis fünfmal im Jahr finden Vollversammlungen statt, bei denen soziales Engagement an der Schule sowie Einzelleistungen bei Wettbewerben geehrt werden.

In der „Probierstunde“ zeigen Kinder, was sie können

„Es ist schon ein bisschen aufregend, nach vorn gerufen zu werden“, erzählt Schulsprecherin Luisa Becker, die auf die Bühne durfte, als sie einen Preis beim Bundeswettbewerb Fremdsprachen gewonnen hatte. „Das Tolle ist: Jeder hat die Möglichkeit, dort zu stehen, wenn er will und sich anstrengt. Dieses Wissen motiviert ungemein.“ Daneben findet jeden Herbst die sogenannte Probierstube statt, bei der die Kinder und Jugend­lichen vor Mitschülern, Eltern und Lehrern zeigen können, womit sie sich in ihrer Freizeit beschäftigen: Sie spielen ­Theaterszenen vor, tanzen Hip-Hop, lassen Musikinstrumente erklingen oder demonstrieren ihren Lieblingssport. „Meist dauert die Probierstube zweieinhalb oder sogar drei Stunden“, berichtet Luisa. „Aber das ­Publikum ist trotzdem aufmerksam und respektvoll.“

Eine besondere Anerkennung erhielt kürzlich eine Schülerin der Evangelischen Schule in Berlin-Frohnau: Als das Mädchen beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten einen Preis gewann und anschließend zu seinem Thema eine Stadtführung organisierte, meldete sich gleich das gesamte Kollegium dafür an. „Unsere Lehrer wissen eben, was sie für ­tolle Schüler haben“, sagt Schulleiterin Christine Behnken und ­lächelt. Bei den Abiturergebnissen gehört die Privat­schule jedes Jahr zu den besten Gymnasien in Berlin. Gemeinschaft und Engagement werden hier großgeschrieben. So gibt es alle zwei Jahre ein Musical, das bis zu 120 Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Klassenstufen gemeinsam einstudieren. Wer mitmachen darf, wird durch ein Casting ermittelt.

Es ist nicht beschämend, wenn man etwas gut kann

„Viele unserer Schüler haben Lust, sich einzubringen“, hat Behnken festgestellt. Die Kinder und Jugendlichen werden dabei nicht ­gebremst, ­sondern ermuntert. Es ist nicht beschämend, wenn man etwas gut kann. Das wird hier bei uns akzeptiert und anerkannt, auch wenn es etwas Eigenwilliges ist.“ Wenn ein Fünftklässler zum Beispiel gut Witze erzählen kann, „dann darf er das auch mal vor der ganzen Schule tun.“ Auf die Frage, warum Leistungen an vielen Schulen so wenig anerkannt werden, schweigt Behnken einen Augenblick. „Vielleicht denkt man, die Gemeinschaft könnte Schaden nehmen, wenn ein Einzelner zu sehr herausgestellt wird“, überlegt sie dann laut. „Dabei sind die Talente des Einzelnen doch ein Schatz, der für die Gemeinschaft gehoben werden kann!“

Die Söhne von Isabelle Liegl sind mittlerweile 23 und 25 Jahre alt. Der eine arbeitet bei einer Bank in New York, der andere forscht zu künstlicher Intelligenz in Kalifornien. Liegl sagt, aus beiden seien zufriedene Menschen geworden und als Mutter habe sie wohl vieles richtig gemacht. Sie habe nichts Unmögliches von ihren Jungs gefordert, sie aber auch nicht unterfordert. Sie hätte viel mit ihnen gelacht, sie viel gelobt und ermutigt. Und zwei Leitsätze hätte sie gehabt und auch vorgelebt: „Was ich mache, mache ich gut. Und: Was ich anfange, bringe ich zu Ende.“



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