Denken & Diskutieren

Handy weg vom Schreibtisch!

Den ganzen Tag auf Stand-by sein, dauernd erreichbar und bereit für jede Ablenkung – kann das noch gesund sein? Ganz bestimmt nicht, ist Informatikprofessor Alexander Markowetz überzeugt


Herr Markowetz, Sie sind Informatikprofessor und prophezeien in Ihrem aktuellen Buch den „digitalen Burnout“, vor dem es unsere Kinder zu schützen gilt. Was macht Sie so sicher, dass es sich beim Thema Handy nicht um Fortschritt, sondern um ein wirkliches Problem handelt?
Jede technische Neuerung hat Nebenwirkungen. Der Buchdruck beispielsweise führte zur Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg, aber das nur nebenbei. Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass es sich bei Smartphones um ein echtes Problem handelt. Wir tragen jetzt alle einen Hochleistungsrechner in der Tasche, mit dem sich unendlich viel anstellen lässt. Vor drei Jahren haben wir „Menthal“ entwickelt, eine App, die aufzeichnet, was ein User mit seinem Smartphone wann und wie lange tut. Die Ergebnisse sind erschreckend. Jugendliche nutzen ihr Handy circa drei Stunden, und das, obwohl es während der Schulzeit verboten ist. Aber schon die Resonanz auf die Pressemitteilung, mit der wir die App ankündigten, war überwältigend. Neben der medialen Dauerberichterstattung melden sich Leute sämtlicher Bildungs- und Einkommensschichten und berichten uns von ihrem Unbehagen. Sie haben das Gefühl, die Kontrolle im Umgang mit dem Handy zu verlieren. Neu an diesem Diskurs: Es wollte niemand mit dem Finger auf die nachfolgende Generation zeigen. Nein, man wollte über sich selbst sprechen, über den eigenen Zwang, über den eigenen Kontrollverlust.

Kinder mit Handy auf dem Schreibtisch werden sich nie voll auf eine Aufgabe konzentrieren könnenAlexander Markowetz

Was bedeutet die Smartphone–Manie fürs Lernen?
Multitasking und Lernen schließen sich aus. Wer seine Hausaufgaben macht und alle paar Minuten von einer WhatsApp-Meldung rausgerissen wird, kann die Schule knicken. Kinder mit Handy auf dem Schreibtisch werden sich nie voll auf eine Aufgabe konzentrieren. Sie werden nie die Erfahrung machen, in einen Flow zu kommen, also in den glücklich machenden Zustand völliger Vertiefung. Schlimmer noch: Kinder, die noch keine Aufmerksamkeitsstörung haben, trainieren sie sich mit den pausenlosen Unterbrechungen und ständigen Ablenkungen regelrecht an.

Und Sie setzen noch eins drauf: Sie behaupten, Handys könnten genauso süchtig machen wie Spielautomaten . . .
. . . weil Smartphones einarmige Banditen im Miniformat sind. Die Mechanismen, die einen Spieler in Abhängigkeit führen, sind auch bei Handynutzern am Werk. Mit jedem Entriegeln entfachen wir in unserem Gehirn Glücksgefühle, Dopamin, das uns noch weiterklicken lässt. Klick, Überraschung, Dopamin, noch ein Klick. Das ist immer derselbe Mechanismus bei repetitivem Checken von E-Mails, Facebook und Online-News oder auch in Handyspielen. Wir haben es geschafft, den Glücksspielautomaten auf Taschenformat zu verkleinern und so zu dekorieren, dass man ihn nicht erkennt.

Manche Eltern hoffen, dass die „Digital Natives“, also junge Menschen, die mit digitalen Geräten aufwachsen, gut für die Zukunft gerüstet seien. Sind wenigstens diese Hoffnungen berechtigt?
Smartphones sind ja super. Schritt eins: Wir haben diese großartigen Kisten geschaffen. Schritt zwei: Wir lernen, damit umzugehen. Der reine Umgang mit den Geräten rüstet aber sicher nicht für den Arbeitsmarkt. Es bringt gar nichts, wenn man geübt darin ist, auf Facebook herumzuklicken. Die heutigen Erfahrungen sind außerdem schon in ein paar Jahren nichts mehr wert. Die Technik wird uns überholen, es zählt also profunderes Wissen. Ich sehe mich aber keineswegs als realitätsfernen Moralisten. Ich möchte auch keine Debatte über Inhalte führen.

Sondern?
Über die Frage, wie wir die Kontrolle über das Smartphone zurückgewinnen. Digitale Diäten, also die Selbstbeschränkung im Umgang mit dem Smartphone, sind das eine, aber es braucht auch eine Diskussion über Fragen der Etikette. Also zum Beispiel über die Frage, innerhalb welcher Zeit wir auf eine WhatsApp-Nachricht antworten müssen.

Was halten Sie davon, Kindern einfach das Smartphone abzunehmen?
Im Zeitalter der Digitalisierung ist es schlicht unmöglich. Es wäre auch grausam und pädagogisch unsinnig. Wir müssen den Kindern vor allem Techniken vermitteln, wie man die Zeit ohne Smartphone überhaupt ausfüllt – also positive Offline-Erlebnisse schaffen. Und dann müssen wir uns wahrscheinlich eingestehen, dass unser eigenes erwachsenes Verhalten völlig erratisch ist. Damit sind wir kein gutes Vorbild.

Früher haben Erwachsene auch dauernd geraucht, und den Kindern war es trotzdem verboten.
Rauchen oder angesagte Turnschuhe mögen bei den Kids als cool gelten, und man kann sie verbieten. Aber das Smartphone ist der Draht zur Welt und das Zentrum des Soziallebens im Klassenverband. Das soziale Netzwerk hat den Schulhof ersetzt. Da hinzugehen können Sie einem Kind nicht verbieten.

Haben Sie andere Ideen?
Danach werde ich dauernd gefragt. Einmal rief sogar ein Manager einer Mobilfunkfirma an und wollte wissen, wie er seine beiden Jungs vom Handy loseisen soll. Die Ratlosigkeit ist also weit verbreitet.

Was fällt Ihnen dazu ein?
Mit Patentrezepten kann ich leider nicht dienen. Ein erster Vorschlag wäre aber das Einrichten von handyfreien Zonen in der Wohnung. Am Esstisch sollten sie tabu sein und im Kinderzimmer auch. Wenn Ihre 14-jährige Tochter stundenlang mit ihrer besten Freundin chattet, verabreden sie gemeinsam mit den Kindern und den Eltern der besten Freundin verbindliche Regeln. Statt des üblichen Chats bieten sie den Mädels 3-Stunden-Telefonate nach dem Abendessen an. Das hört sich obszön an, ist aber besser als ein komplett verklickter Tag. Für die fröhlichen WhatsApp-Klassenpartys, die täglich bis in die Puppen gefeiert werden, müssen sie alle Eltern ins Boot holen. Setzen Sie das Thema auf die Agenda beim nächs-ten Elternabend. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Mindestens ebenso wichtig: Melden Sie Ihren achtjährigen Sohn bei den Pfadfindern an. Gehen Sie mit Ihrer 17-jährigen Tochter meinetwegen zum Gleitschirmfliegen. Das sind dann die positiven Offline-Erlebnisse.

VITA

  • Alexander Markowetz, 39, studierte Informatik in Marburg, Kalifornien und New York und promovierte in Hongkong. Derzeit arbeitet er als Juniorprofessor für Informatik an der Universität Bonn. Im Rahmen des „Menthal“ -Projekts untersucht er das Mobilfunkverhalten von 300 000 Nutzern. Sein Buch „Digitaler Burnout“ (Droemer Verlag) beschreibt die Mechanismen, Auswirkungen und Lösungswege im Umgang mit digitalen Medien. Seine Warnung: Wer alle paar Minuten auf sein Handy guckt, kommt nie in den Flow der konzentrierten Vertiefung in eine
    Beschäftigung.

Wenn Sie Vater eines Schulkinds wären, wofür würden Sie als passionierter Informatiker sich im Zweifelsfall entscheiden: für die Laptopklasse oder die Waldorfschule?
Ich setze auf Informatik plus Kreativität – also die Waldorfschule. Da würde ich dann knallharte Informatikkurse durchsetzen. Aber wir wissen ja dank John Hattie . . .

. . . dem neuseeländischen Pädagogen, der sich vor allem mit Einflussfaktoren auf gelingende Schülerleistungen beschäftigt . . .
. . . dass Konzepte, Klassengrößen und Methoden kaum eine Rolle spielen. Es kommt auf den Lehrer an. Die Wahl der Schule ist also sehr wahrscheinlich nicht entscheidend. Eltern, die an die Zukunft ihrer Kinder denken, sollten sich aber klarmachen, dass in der nächsten Zeit vermutlich 50 Prozent aller Jobs wegfallen, allen voran die Sachbearbeitertätigkeiten. Diese Arbeit werden Computer machen. Programmieren und kreativ Nachdenken können Computer aber nicht. Deshalb wäre mein Tipp: Motivieren Sie Ihre Kinder zu einer doppelten Ausbildung, also beispielsweise zu Informatikstudium und Kunstgeschichte. Das Zielbild ist eine interdisziplinäre Kreativität: Gefragt werden der umfassend gebildete Informatiker oder der Humanist mit profunden Informatikkenntnissen sein. Kinder, die
man für beide Bereiche begeistern kann, schauen in eine glorreiche Zukunft.

 

Lesen Sie in unserer Ausgabe 6/2016 (erscheint am 23.3.16) den letzten Teil unseres Smartphone-Reports: Erfahrungberichte von Eltern – drei Berichte von der Telekommunikationsfront.



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