Wie werden unsere Schulen besser? – Magazin SCHULE
Denken & Diskutieren

Wie werden unsere Schulen besser?

Was macht eine gute Schule aus? Diese Frage begleitet unser Magazin seit seiner Gründung. Ein Essay von Chefredakteur Mathias Brüggemeier über die vielfältigen Antworten, die wir darauf bekommen haben


Besonders beeindruckt war ich von Matthias Steiner. Der Weltmeister und Olympiasieger im Gewichtheben hat 2014 mit unserer Redaktion über seine Schulzeit geplaudert. Solche Gespräche haben wir viele geführt, meist mit Schauspielerinnen oder anderen Künstlern, die ihren neuen Film, eine CD oder ein Buch vorstellen wollen. Im günstigen Fall finden die Gesprächspartner es lustig, statt über die Arbeit mal über Lieblingslehrer und Hassfächer zu sprechen. Dann wird ein nettes Interview daraus. Oft wird es aber ein erwartbares: im Gymnasium eher so mitgeschwommen, Schwierigkeiten in Mathe, aber eine tolle Lehrerin in Deutsch/Kunst/Theater; danach ein Studium mit wenig Elan und/oder Schauspielschule und jedenfalls erste Engagements.

Da versprach Steiner Abwechslung: Er hatte seine Schulzeit zwar auf dem Gymnasium begonnen, aber auf einer Hauptschule beendet. Und danach war er nicht zum Film oder mit seiner Band auf Tour gegangen, sondern hatte Gas- und Wasserinstallateur gelernt. Was der wohl für Lieblingsfächer hatte? Vielleicht mal Mathe oder Physik? Nein:

Am liebsten habe ich getöpfert und genähtMatthias Steiner, ehemaliger Gewichtheber

„Am liebsten habe ich getöpfert und genäht.“
Wie bitte?
„Ja, tatsächlich. Als nach den neun Pflichtschuljahren die Entscheidung anstand, wo ich weitermachen soll, habe ich mich nicht für den polytechnischen Zweig entschieden, sondern wollte mal was ganz anderes machen: Ich bin dann als einziger Junge mit 27 Mädels auf die Hauswirtschaftsschule gegangen. Dort habe ich Nähen, Kochen, Backen und Putzen gelernt. Fähigkeiten, die mehr Männer habe sollten, wie ich finde. Meine Frau begeistert das bis heute.“

Die Essenz einer Schulzeit, sie kann sehr unterschiedlich sein. Die einen erinnern sich später daran, wie sie mit ihrer AG an der Robotik-Weltmeisterschaft teilgenommen haben. Andere danken im Job dafür, als zweite Fremdsprache Chinesisch gelernt zu haben. Vielleicht denken manche sogar gern an die Achtsamkeitsmeditation in den Pausen zurück. All das ist an unseren Schulen längst nicht mehr exotisch. Im Gegenteil, wir Redakteurinnen und Redakteure haben uns so sehr an das Außergewöhnliche gewöhnt, dass wir uns schon wundern, wenn jemand stattdessen einfach lebenspraktischen Unterricht genießen konnte.

Vieles, was Schulen besser machen soll, ist nur Schaufensterdekoration

Dabei sind solche speziellen Angebote oft kaum mehr als Schaufensterdekoration, mit denen Schulen ihre Websites für interessierte Eltern aufhübschen. Dieser Wettstreit zwischen den Einrichtungen ist eine Folge der PISA-Studien, die ab dem Jahr 2000 die deutsche Bildungspolitik aufgeschreckt haben. Damals hatten deutsche Schüler im Vergleich der OECD-Staaten nur unterdurchschnittliche Leistungen gezeigt. Den Schulen mehr Selbstständigkeit zu geben schien Experten notwendig, damit die Lehrkräfte sich gezielter auf ihre Schüler einstellen und deren Lernleistungen verbessern konnten. So sagte der damalige Koordinator der deutschen PISA-Tests, der Bildungsforscher Michael Prenzel, uns 2004 in der allerersten Ausgabe unseres Vorläufermagazins FOCUS-SCHULE:

„Wir brauchen Schulen mit mehr Pro‘fil und Identität, Schulen, in denen sich alle wohlfühlen.“

Prenzels Kollege Hans-Peter Füssel vom Deutschen Institut für Pädagogische Forschung sagte mir drei Jahre später für einen Artikel zum „Zukunftsthema selbstständige Schule“:

„2017 werden die Schulen ho–ffentlich viel pro‘filierter sein. Wenn die Schulen inhaltlich stärker auseinandergehen, haben wir eine buntere Landschaft mit tollen Ideen!“

Heute, eineinhalb Jahrzehnte später, sind die Schulen tatsächlich angehalten, sich ein Profil zu geben und von anderen Einrichtungen zu unterscheiden. Wenn es gut läuft, passt ihr Konzept zur jeweiligen Schülerschaft, erzeugt ein positives Wir-Gefühl bei Kindern und Lehrkräften und befeuert deren Kreativität und Lernlust. Dann fällt es Eltern leichter, die passende Schule für ihr Kind zu finden. Wenn es nicht so gut läuft, verheddern sich die Schulen jedoch in einem „Das-müssen-wir-auch-noch-Machen“ und lassen Eltern wie Schüler ratlos zurück.

Nicht leicht: zwischen all dem Besonderen das Richtige finden

Unsere Autorin Martina Hagemann, selbst Gymnasiallehrerin in Schleswig-Holstein, hat die Suche nach einer passenden Schule für ihren Sohn einmal sehr eindrucksvoll in unserem Magazin geschildert:

Was ich vermisse: eine ganz normale GrundschuleMartina Hagemann, Lehrerin und Mutter

„Die Grundschule in unserem Wohngebiet bietet bilingualen Unterricht ab der ersten Klasse an. Fünf Kilometer entfernt be‘findet sich eine Sportgrundschule (der lange Schulweg sollte für sportlich begabte Kinder kein Hindernis sein). Zehn Kilometer in die andere Richtung liegt die Waldorfschule. Und Freunde von uns haben sich letztes Jahr nach einem Tag der o–ffenen Tür, einer Probewoche für ihr Kind und einem Bewerbungsgespräch mit Eltern und Kind für eine demokratische Grundschule in 25 Kilometer Entfernung entschieden: Die Kinder dürfen dort lernen, wann und was sie wollen.

Nach einem wahren Schnuppermarathon vermisse ich in dieser vielfältigen Schullandscha‡ nur eines sehr: eine ganz normale Grundschule. Die, in der man weder kleine Hochbegabte noch Frühdemokraten noch Sportgenies fördern möchte, sondern in der schlicht und ergreifend das Durchschnittskind lesen, schreiben und rechnen lernt.“

Wahlfreiheit und Wettbewerb können uns Eltern auch überfordern. Zumal es von außen beileibe nicht einfach ist abzuschätzen, was eine Schule innen wirklich leistet. Was also machen gute Schulen wirklich besser? Und wie kann man erkennen, dass man eine vor sich hat?

Einen viel beachteten Maßstab dafür hat die Robert Bosch Stiftung für ihren Deutschen Schulpreis entwickelt, um den sich seit 2006 rund 2500 Schulen beworben haben. Seine Kriterien reichen von der Unterrichtsqualität und den Leistungen der Schülerinnen und Schüler über das Schulklima und den Umgang mit Vielfalt bis hin zur Lösung von Konflikten und der Schulentwicklung.

Was macht gute Schulen aus?

Die Kriterien des Deutschen Schulpreises, kurz erklärt. Mehr Info: www.deutscher-schulpreis.de

  • Leistung:

    Welche Leistungen erzielen die Schülerinnen
    und Schüler gemessen an ihrer Ausgangslage?

  • Umgang mit Vielfalt:

    Geht die Schule produktiv mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen und kulturellen oder sozialen Hintergründen um, gleicht sie Benachteiligungen aus und fördert sie das individuelle Lernen planvoll?

  • Unterrichtsqualität:

    Sorgt die Schule dafür, dass Schülerinnen und Schüler ihr Lernen selbst in die Hand nehmen? Ermöglicht sie ein verständnisintensive und praxisorientiertes Lernen, auch an außerschulischen Lernorten? Verbessern die Lehrkräfte ihre Arbeit kontinuierlich mithilfe neuer Erkenntnisse?

  • Verantwortung:

    Besteht ein achtungsvoller Umgang miteinander und werden Konžflikte gewaltfrei gelöst? Wie und wie weit fördert die Schule Mitwirkung, demokratisches Engagement, Eigeninitiative und Gemeinsinn?

  • Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner:

    Besteht ein anregungsreiches Schulleben, das Schüler, Lehrerkräfte sowie Eltern gern wahrnehmen? Werden pädagogisch fruchtbare Beziehungen zu außerschulischen Partnern und zur Öffentlichkeit gepflžegt?

  • Schule als lernende Institution:

    Wie steht es um die Zusammenarbeit im Kollegium und um die Führung der Schule? Wie gelingt es der Schule, sich selbstständig und nachhaltig zu verbessern?

Auf den ersten Blick sieht diese Liste wie ein bunter Strauß völlig unterschiedlicher Faktoren aus. Bei genauem Hinsehen haben diese aber eine große Gemeinsamkeit: dass Schulleitung und Lehrkräfte aus den Rahmenbedingungen, die sie nicht ändern können, das Bestmögliche
machen.

Auf die Lehrkräfte kommt es an!

Wer macht eine Schule besser? Ihre  Lehrkräfte – davon sind Bildungsforscher heute überzeugt. Das klingt wenig überraschend? Nun, so selbstverständlich ist diese Erkenntnis nicht. Vor den PISA-Studien kreiste die pädagogische Debatte in Deutschland vor allem um neue, offene Unterrichtsformen, in denen die Lehrkraft nur noch eine Nebenrolle zu spielen schien. Kinder brauchen nur die passende Lernumgebung, dann eignen sie sich Wissen und Kenntnisse von selbst an, das war grob gesprochen die Theorie. Fortschrittsbegeisterte erwarteten damals (wie heute immer noch) fast sehnsüchtig, dass elektronische Medien endlich die Lehrkraft ersetzen (Sprachlabore! Telekolleg! Laptopklassen! Lernvideos! Tablets!).

Dass sich diese Diskussion verändert hat, verdanken wir maßgeblich dem Neuseeländer John Hattie. In einer unglaublichen Fleißarbeit hat der Bildungsforscher die Daten aus etwa 50 000 Bildungsstudien mit 250 Millionen Schülerinnen und Schülern weltweit zusammengetragen. Dank der riesigen Datenmenge und der immer wieder ähnlichen Fragestellungen konnte er viele Störeinflüsse herausrechnen, welche die einzelnen Studien oft verzerrt hatten. Unter dem Namen „Visible Learning“ veröffentlichte Hattie 2009 eine Liste mit häufig diskutierten pädagogischen und bildungspolitischen Maßnahmen und deren statistischen Auswirkungen auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Sie war ernüchternd.

Die tollen, offenen Unterrichtsformen? Praktisch wirkungslos.

Klassischer, lehrerzentrierter Unterricht? Auch nicht besser.

Die Klassengröße? Egal.

Alte oder neue Medien? Kein Unterschied.

Was wirklich zählt? Das ist das Elternhaus – und die Qualität der Lehrkraft.

Doch was genau lernen Kinder bei guten Lehrkräften? Eine Antwort auf diese Frage gibt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Beywl, der Hatties Bücher ins Deutsche übersetzt und ergänzt hat:

Das ‚Lernen des Lernens‘ ist überraschend wichtigWolfgang Beywl, Sozialwissenschaftler

„Überrascht hat mich, wie überaus wichtig das ‚Lernen des Lernens‘ ist. Die Kinder nehmen dabei eine Art Vogelperspektive auf ihr Lernen ein. Ich habe das in Neuseeland zum Beispiel bei einer Fünfjährigen erlebt, die mit einem Tablet gearbeitet hat. Ihre Aufgabe war es, verschiedenen Tieren das richtige Futter zuzuordnen, also zum Beispiel der Kuh das Heu. Auf meine Frage, was sie da tut, antwortete sie mir: ‚Ich stelle Verbindungen her.‘ Es ist so wichtig, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, in dieser Weise über ihr Lernen zu sprechen!

Ein anderes Beispiel ist das ‚laute Denken‘. Während Kinder zum Beispiel mathematische Textaufgaben lösen, sprechen sie laut zu sich selbst oder mit ihren Peers. Im Klassenzimmer muss das natürlich im Flüsterton stattfinden. Auch das ist enorm erfolgreich! Aber an diesem Beispiel sehen Sie, welches Umdenken erforderlich ist, um den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, sich solche wirksamen Lernstrategien anzueignen.“

Individuelle Förderung kann Schulen besser machen – ist aber ein schwieriges Feld

Der wohl wichtigste Schritt ist seit Langem bekannt und daher auch ein zentrales Kriterium des Deutschen Schulpreises: individuelle Förderung. Wer erreichen möchte, dass Kinder besser lernen, muss sich darauf konzentrieren, dass jedes einzelne Kind besser lernen kann: nach seinen Fähigkeiten, in seiner Geschwindigkeit und auf seine eigene Weise.

Auch das klingt selbstverständlich – ist es aber nicht:

„An deutschen Schulen herrscht das Einser-Prinzip: ein Lehrer, eine Klasse, eine Unterrichtsmethode“, erklärt Thea Stroot vom Oberstufen-Kolleg an der Uni Bielefeld. „Diese Art der Pädagogik basiert auf der Fehlannahme, dass eine Lerngruppe eine homogene Einheit ist.“ Um den einzelnen Schüler richtig fördern zu können, sei ein grundsätzliches Umdenken nötig – eine Revolution. „Wir müssen das Lernen entschulen“, fi‘ndet Stroot. Ihre Vorstellung: „Im Idealfall geben wir Schülern nur einen auf Abschlüsse ausgerichteten Lernrahmen vor. Wie sie diesen ausfüllen, liegt dann in einer gemeinsamen Verantwortung von Lehrer und Schüler.“

Diese Aussagen stammen aus einem Artikel unserer damaligen Mitarbeiterin Anke Helle aus dem Jahr 2009. Tatsächlich hat sich seitdem das Augenmerk verschoben: Lehrpläne geben heute in der Regel keine präzisen Inhalte mehr vor, sondern Kompetenzen, welche die Schülerinnen und Schüler bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben haben sollten. Wie sie dieses Ziel genau erreichen, ist den einzelnen Schulen und Lehrkräften überlassen.

So berichtete unsere Autorin Claudia Steiner genau zehn Jahre später:

Ohne Differenzierung wäre Unterricht gar nicht mehr möglichAnke Bichler, Schulleiterin

An der Grundschule an der Dachauer Straße in München arbeiten die Lehrkrä‡fte mit unterschiedlichsten Methoden daran, ihren Schülern Kompetenzen zu vermitteln. „Jeder Lehrer tickt anders“, erklärt Schulleiterin Anke Bichler. „Nicht alle arbeiten mit einem Wochenplan, manche legen mehr Wert auf Gruppenarbeit oder Tagespläne.“ Reiner Frontalunterricht mache aber höchstens noch 25 Prozent aus, schätzt die Rektorin. „Wir haben eine große Bandbreite an Schülerinnen und Schülern – von Inklusionsbeschulung bis Hochbegabung sitzen alle in einer Klasse.“ Die Lehrkräfte müssten deshalb sehr di–fferenziert arbeiten: „Sonst wäre Unterricht gar nicht möglich.“

Wie zukunftsfähig Wochenpläne und Lernlogbücher sind, hat gerade erst die Corona-Pandemie gezeigt. Diejenigen, die es gewohnt waren, dass man sich auch ohne ständige Belehrung Wissen und Kenntnisse aneignen kann, kamen mit dem Distanz- und Wechselunterricht viel besser klar als jene, die auf klassischen Lehrervortrag gesetzt haben.

Individuelle Förderung heißt auch. Nicht jedes Kind schafft es alleine

Und damit meine ich nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern gerade auch die Lehrkräfte. Denn individualisiertes Lehren und Lernen erfordert eine ganz andere Vorbereitung und ein anderes Verhältnis zu den Kindern. Wer seine Schützlinge gezielt fördern möchte, muss ihre Stärken und Schwächen genau kennen – und darauf zugeschnitten Lernmaterial, Übungen und Aufgaben zur Verfügung stellen.

Und er oder sie muss auch wissen, wann direkte Hilfe oder doch einmal Frontalunterricht erforderlich ist: Nicht jedes Kind tut sich leicht damit, Inhalte eigenständig zu erfassen, seine Übungen diszipliniert zu erledigen und die eigenen Leistungen und Fähigkeiten ehrlich zu betrachten. Einem meiner Kinder fiel einst am Tag vor Abgabe eines mehrwöchigen Lernplans auf, dass es von 23 Aufgaben noch 21 erledigen musste – es wurde ein intensiver Nachmittag und Abend.

Über die zentrale Bedeutung der Selbstdiziplin in der Pandemie habe ich mit Lorenz Haase, dem Geschäftsführer des Nachhilfeanbieters Studienkreis, gesprochen:

Es fehlte die soziale Interaktion mit der LehrkraftLorenz Haase, Studienkreis-Geschäftsführer

„Bei der Selbstdisziplin hat ein 16-Jähriger natürlich andere Voraussetzungen als eine Grundschülerin. Das haben wir im Nachhilfeunterricht gesehen, als wir selbst nur Online-Kurse anbieten konnten: Je jünger die Kinder waren, umso schwieriger war es, sie bei der Stange zu halten. Im Grundschulbereich haben wir deswegen die Eltern gebeten, sich dazu zu setzen und darauf zu achten, dass das Kind konzentriert bleibt und seine Aufgaben macht. Ansonsten driften die Kleinen früher oder später gedanklich ab. Da fehlt einfach die soziale Interaktion mit der Lehrkraft, die für konzentriertes Arbeiten sorgt. Aber welche Eltern konnten schon während des Fernunterrichts ständig bei ihren Kindern sein?“

Die Lehrerin oder der Lehrer ist eben nicht die Wissensvorbeterin oder der Aufgabenverteiler. Eine gute Lehrkraft leitet zum eigenständigen Lernen an, kann anschaulich erklären und Menschen für die Inhalte ihres Fachs begeistern, sie ist Mentorin, Integrationsfigur, Vorbild und oft auch Seelsorgerin. Kein leichter Job – und deswegen so wichtig, siehe oben.

Schule ist nicht nur Lernort, sondern auch Lebensraum

Gerade in Sachen soziale Interaktion hat uns Corona außerdem noch etwas Wichtiges gelehrt: dass Schule weit mehr ist als ein reiner Lernort. Sie ist auch ein Lebensraum, in dem unsere Kinder einen erheblichen Teil ihrer Kindheit verbringen. Deshalb ist es zu wenig, nur auf Lernkonzepte und Leistungsdaten zu blicken, wie die Pädagogin Katharina Saalfrank uns schon 2008 sagte:

„Eine gute Schule sollte einen lebendigen Lebensraum für Kinder und Jugendliche scha–ffen, in welchem eine vertrauensvolle und warme Atmosphäre entstehen kann, in der sich Schüler neugierig und interessiert entwickeln können.“

Das zu schaffen, trauen viele Eltern der Regelschule um die Ecke nicht mehr zu. Besonders Mütter und Väter, die selbst einen hohen Bildungsstand haben (und sich die Schulgebühren leisten können), hoffen darauf, dass das private Schulen besser machen. Und tatsächlich ist dort gerade bei der Atmosphäre einiges anders.

Was an Privatschulen oft anders ist: das Schulklima

So kann es das Schulklima zum Beispiel erheblich verbessern, wenn die Eltern wie an Waldorf- oder Montessorischulen in das Schulleben eingebunden sind. Auch wenn es manchmal nervt, schon wieder einen Samstag mit dem Streichen des Klassenzimmers zu verbringen: Eine vertrauensvolle und produktive Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule ist ein wesentlicher Gelingfaktor für das Lernen, wie auch John Hattie in seiner großen Studie herausgestellt hat.

Noch intensiver wird Schule als Lebensraum natürlich in Internaten erlebt. Wenn die Schülerinnen und Schüler sogar ihre Freizeit an der Seite der Mitschüler und Lehrkräfte verbringen, prägt das viele Kinder fürs Leben. So erklärte mir einmal der Leiter der Urspringschule, Rainer Wetzler:

Lehrer sind nicht von Natur aus Feinde der SchülerRainer Wetzler, Leiter der Urspringschule

„Wir leben unsere Schule als Gemeinde – weniger im religiösen Sinn, sondern vielmehr gesellscha‡ftlich motiviert. Man teilt ein Stück seines Lebens und seiner Biogra‘fie miteinander, und dann hat man auch Sorge zu tragen für den jeweils anderen. Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, ist es einfach wichtig, sich gegenseitig ernst zu nehmen und zu respektieren.

Das zeigt sich auch stark im Verhältnis zwischen Lehrkrä‡ften und Schülern. Wenn neue Schüler zu uns kommen, müssen wir denen als Erstes den Zahn ziehen, dass Lehrer von Natur aus Feinde der Schüler sind. Nein: Lehrkrä‡fte haben vielleicht einen Vorsprung an Wissen und Lebenserfahrung, aber sie sind bei uns nicht per se die Herren im Ring. Dies drückt sich im Alltag zum Beispiel durch unser Schülergericht aus, vor dem die Schüler selbst Verstöße gegen Regeln besprechen und ahnden.

Und auch der Unterricht läu‡ft anders ab, wenn man sich eher auf Augenhöhe begegnet. Wenn bei uns eine Stunde im Suppenkoma nach dem Mittagessen versinkt, kann es durchaus sein, dass die Lehrkra‡ft sagt: ‚So, jetzt gehen wir erst mal eine Viertelstunde raus und machen Schneeballschlacht.‘ Danach kommen dann alle mit roten Backen wieder rein, und man kann intensiver arbeiten.“

Weil ich als Journalist so viel mit so besonderen Schulen zu tun habe, ist es mir fast unangenehm zuzugeben, dass meine eigenen Kinder nur an die normale Schule um die Ecke gehen. Aber ich weiß, dass die drei nirgendwo anders hingewollt hätten. Zwei Kilometer mit dem Rad, die Freunde alle in der Nähe, das war für sie einfach unschlagbar.

Und ganz ehrlich: Dass hin und wieder die Chemie zwischen Lehrkraft und Kind nicht stimmt, dass der eine Lehrer schon wieder krank ist, der andere nur Filme zeigt und die Kollegin eindeutig den falschen Beruf gewählt hat: Das kann einem an jeder Schule passieren, egal, ob staatlich oder privat.

Deswegen gebe ich das Schlusswort gern Matthias Steiner, der seine Schulkarriere selbst gesteuert hat – weil er auf dem renommierten Privatgymnasium der Schulbrüder in Wien einfach unglücklich war.

Wäre doch schade drum, wenn ich Matura hätteMatthias Steiner

Ging es Ihnen auf der Hauptschule im Nachbarort besser als in Wien?

„Viel! Die Schule war spätestens um 15 Uhr aus, ich konnte raus und mit dem Fahrrad, Moped oder Traktor – natürlich nur auf Privatgelände – rumfahren. Meine Hausaufgaben hab ich dann immer abends oder nachts unter der Schreibtischlampe erledigt, als es draußen eh nichts mehr zu erleben gab.“

Haben Sie je bedauert, dass Sie kein Abitur gemacht haben?

„Nein, im Gegenteil: Es wäre doch schade, wenn ich die Matura – wie es in Österreich ja heißt – in der Tasche hätte und damit nichts anfangen würde. Für meine Berufe brauchte ich keinen Gymnasialabschluss. Auch meinen Eltern war das egal – sie sagten immer: ‚Mach, was dir gefällt, aber mach es ordentlich.‘“

 

„Wie werden unsere Schulen besser?“– Foto: Drazen Zigic auf Freepik



Unsere Themen im Überblick

  1. von Peter Hammelbacher

    Ich stimme Ihren Überlegungen völlig zu, aber leider scheitern viele Ihrer guten Ideen bereits an den Basics, den drei großen L´s. Licht – zu dunkel, keine LED, Luft – CO2-Werte die durch die Decke gehen und müde machen und Lärm – durch schlechte Akustik, die Kommunikation verhindert oder erschwert und Lärm der agressiv macht. Keine guten Voraussetzungen für die verschiedensten Konzepte.

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